European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0130OS00072.22W.1019.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * H* des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 25. Februar 2022 in K* * L* vorsätzlich (dazu RIS‑Justiz RS0113270) zu töten versucht, indem er ihn mit einer Rasierklinge am Hals schnitt und ihm mit einem Speisemesser Stiche gegen Kopf, Hals und Oberkörper versetzte, wodurch der Genannte mehrere oberflächliche Schnitt‑ und Stichwunden am linken Scheitel, am linken Ohr, im Gesicht, am linken Arm und an der seitlichen Brustwand sowie eine Blutunterlaufung am rechten Oberarm erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wendet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 8, 10a und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] In der Hauptverhandlung hatte die Vorsitzende den Beschwerdeführer während der Vernehmung des L* als Zeugen aus dem Sitzungssaal abtreten lassen (§ 250 Abs 1 erster Satz StPO). Nach dem darüber aufgenommenen, ungerügten Protokoll wurden dem Beschwerdeführer nach seiner Wiedereinführung „die wesentlichen Angaben des Zeugen L* zur Kenntnis gebracht“ (ON 61 S 40).
[5] Der Einwand der Verfahrensrüge (Z 4), die angesprochene Zeugenaussage sei dem Beschwerdeführer „entgegen § 250 Abs 2 StPO nicht mitgeteilt“ worden (weil sie ihm, „[w]ie sich in einer Nachbesprechung der Hauptverhandlung zwischen dem Angeklagten und der Verteidigung herausgestellt“ habe, „nicht vollständig und richtig […] übersetzt“ worden sei), geht demnach ins Leere.
[6] Hinzugefügt sei, dass der Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls in Hinsicht auf die von § 250 Abs 2 StPO verlangte Mitteilung nur den Anforderungen des § 271 Abs 1 Z 4 StPO genügen muss, die Beurkundung daher – zu Recht – nur durch einen knappen Hinweis erfolgte. Dass die Verteidigerin – nicht zuletzt, um so eine vollständige Information zu erreichen – gemäß § 271 Abs 1 zweiter Satz StPO eine entsprechende Feststellung zur Wahrung der Rechte des Beschwerdeführers verlangt hätte (dazu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 249), behauptet die Beschwerde (aktenkonform) nicht.
[7] Indem sie die Information des Beschwerdeführers über (bloße) Einschätzungen des Zeugen vermisst, weshalb ihn jener habe „[t]öten […] wollen“, bezieht sie sich im Übrigen ohnedies auf Aussageinhalte, die – von vornherein – keinen Gegenstand des Zeugenbeweises bilden (RIS‑Justiz RS0097540 [insbesondere T21]; zur – hier wie auch in der Regel – Bedeutungslosigkeit des Tatmotivs für die Schuldfrage siehe außerdem RIS‑Justiz RS0088761).
[8] Die weitere Verfahrensrüge (Z 5) beanstandet, die Abhörung des Zeugen L* sei „trotz Widerspruchs der Verteidigung, ohne Notwendigkeit und ohne nähere Begründung“ in vorübergehender Abwesenheit des Angeklagten (§ 250 Abs 1 erster Satz StPO) erfolgt.
[9] Sie geht schon deshalb fehl, weil der – vielmehr seinerseits unbegründet gebliebene – „Widerspruch“ der Verteidigerin (ON 61 S 21) nicht darlegte, aus welchem Grund die kritisierte Maßnahme nach Lage des Falles unstatthaft gewesen sein sollte (zum Begründungserfordernis RIS‑Justiz RS0130796 [T3] und Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 333 f sowie [in Bezug auf Anträge auf Abstandnahme vom Vorgehen nach § 250 Abs 1 StPO] 12 Os 144/05a und Kirchbacher, WK‑StPO § 250 Rz 14).
[10] Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS‑Justiz RS0099618).
[11] Soweit die Rüge beanstandet, „[d]as Erstgericht“ habe einen „in der Hauptverhandlung“ gestellten Antrag auf „Einvernahme des Zeugen * B*“ zu Unrecht abgewiesen, versäumt sie bereits die zur prozessförmigen Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes erforderliche (RIS‑Justiz RS0124172) genaue Bezeichnung der Fundstelle der behaupteten Antragstellung in den – umfangreichen – Akten.
[12] Die Geschworenen bejahten die nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte Hauptfrage. Eventualfragen nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB, den Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB (zu insoweit möglicher echter Idealkonkurrenz RIS‑Justiz RS0132358 [T1]) sowie dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB blieben folgerichtig unbeantwortet. Die (alternativ gefasste) erste Zusatzfrage nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (§ 3 Abs 2 StGB), Putativnotwehr (§ 8 StGB) und Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (analog § 3 Abs 2 StGB) hingegen verneinten sie. Ebenso die nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) gestellte zweite Zusatzfrage. Demgemäß unterblieb die Beantwortung mehrerer weiterer, für den Fall der Bejahung jeweils einer der Zusatzfragen gestellter Eventualfragen (zum Grundsatz der Totalabstimmung bei der Stellung von Zusatzfragen nach den in Rede stehenden Straflosigkeitsgründen siehe Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 11 ff und § 317 Rz 12 mwN).
[13] Gestützt auf die Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach dieser, weil ihn L* „sexuell belästigt und mit einem Messer bedroht“ gehabt hätte, „sehr erregt“ gewesen sei und „aus Angst um sein Leben und vor einer Vergewaltigung gehandelt“ habe, reklamiert die Fragenrüge (Z 6) die Stellung einer Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags nach §§ 15, 76 StGB.
[14] Indem sie dabei nicht von der – Tötungsvorsatz in Abrede stellenden, die vermisste Fragestellung somit gerade nicht indizierenden (vgl RIS‑Justiz RS0092113) – Einlassung des Beschwerdeführers in ihrer Gesamtheit ausgeht, verfehlt sie die prozessförmige Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0120766 [insbesondere T5]; zum Verhältnis der – ohnehin erfragten – Straflosigkeitsgründe der Notwehr [§ 3 Abs 1 StGB] und der Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt [§ 3 Abs 2 StGB] zu § 76 StGB siehe im Übrigen Birklbauer in WK2 StGB § 76 Rz 25 ff]).
[15] Gegenstand der Instruktionsrüge (Z 8) ist der auf die Darlegung der gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf welche die Fragen an die Geschworenen gerichtet sind, die Auslegung der in den einzelnen Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes, das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander und die Folgen der Bejahung oder Verneinung jeder Frage bezogene Inhalt der von §§ 321, 323 Abs 1 und 327 Abs 1 StPO genannten Belehrung (RIS‑Justiz RS0125434).
[16] Mit dem Vorwurf, die Geschworenen seien „nicht ausreichend zur Unschuldsvermutung und dem Grundsatz 'in dubio pro reo' belehrt“ worden, wird keiner dieser Inhalte angesprochen.
[17] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 10a StPO zielt darauf, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) aufzuzeigen, die nahelegen, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO iVm § 302 Abs 1 StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben (RIS‑Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 470 und 490).
[18] Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Tatsachenrüge (Z 10a), indem sie ihre Einwände
‑ aus der Niederschrift der Geschworenen (vgl dazu RIS-Justiz RS0115549 und RS0100809 sowie Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 16) und
‑ aus dem angeblichen Fehlen von Beweisen (RIS‑Justiz RS0128874 [T1]) entwickelt,
‑ die vom Zeugen L* gebotene „Darstellung der Tat und des Mordmotivs“ als „widersprüchlich“ oder „unlogisch“ bezeichnet sowie
‑ anhand eigenständiger Bewertung von Verfahrensergebnissen und daran geknüpften Plausibilitätserwägungen den „Tötungsvorsatz“ und das Fehlen von Straflosigkeitsgründen bezweifelt.
[19] Gleiches gilt, soweit das Rechtsmittel die Fachkunde des „zur Frage der Zurechnungsunfähigkeit“ beigezogenen medizinischen Sachverständigen infrage stellt sowie dessen (ohne „persönliche Exploration“ erhobenen) Befund und dessen Gutachten bemängelt.
[20] Auf eine diesbezügliche (aus Z 5 geschützte) Antragstellung in der Hauptverhandlung beruft sich die Beschwerde übrigens – aktenkonform – nicht (zu prozessförmiger Geltendmachung von Mängeln an Befund und Gutachten sowie mangelnder Fachkunde von Sachverständigen siehe RIS‑Justiz RS0126626 [insbesondere T1], RS0117263 [insbesondere T1] und Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351 ff).
[21] Nach den Strafzumessungserwägungen des Geschworenengerichts bedürfe es der verhängten Freiheitsstrafe (von 15 Jahren), um sowohl dem Beschwerdeführer „als bereits einschlägig vorbestraften Verurteilten, als auch potentiellen Tätern deutlich zu signalisieren, dass derartige Taten in Österreich keinesfalls hingenommen werden, sondern mit der Verhängung massiver unbedingter Gefängnisstrafen zu rechnen ist“ (US 4 f).
[22] Entgegen dem Vorwurf der Sanktionsrüge (Z 13) hat das Geschworenengericht damit – sinnfällig – nicht die „Eigenschaft des Angeklagten als Ausländer“ als Kriterium für die Strafzumessung herangezogen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0120234), sondern die Geltung der österreichischen Strafgesetze (hier § 62 StGB) betont.
[23] Vorangegangene Aburteilungen des Beschwerdeführers wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten wiederum hat das Geschworenengericht – zu Recht (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) – als erschwerend gewertet (US 4). Daher war es – dem weiteren Vorbringen zuwider – nicht „unzulässig“, sondern vielmehr geboten (§ 32 Abs 2 StGB), die Strafe gerade im Hinblick darauf auszumessen (US 4 f).
[24] Mit dem Einwand, „[r]echtsrichtig“ hätte die Strafe „niedriger ausgemessen werden müssen“, wird bloß ein Berufungsvorbringen erstattet.
[25] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[26] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).
[27] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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