OGH 10ObS53/22z

OGH10ObS53/22z18.10.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Claudia Biegler, M.A. (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Christoph Arnold, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Februar 2022, GZ 25 Rs 62/21 k‑22, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. September 2021, GZ 16 Cgs 67/21k-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00053.22Z.1018.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger hat ab dem Stichtag 1. 1. 2021 Anspruch auf eine unbefristete Invaliditätspension. Er begehrt die Gewährung dieser Pension ohne Abschläge. Er habe zum Stichtag 1. 1. 2021 540 Beitragsmonate aufgrund von Erwerbstätigkeit erworben, weil die aufgrund des von ihm geleisteten Präsenzdienstes erworbenen Ersatzzeiten von acht Monaten gemäß § 236 Abs 4b ASVG als Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit zu gelten hätten.

[2] Die Beklagte hält dem entgegen, die Abschlagsfreiheit nach § 236 Abs 4b ASVG setze den Erwerb von 540 Beitragsmonaten aufgrund einer Erwerbstätigkeit voraus, wobei Zeiten des Präsenz- oder Zivildienstes nicht zu berücksichtigen seien.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab und stellten den Inhalt des angefochtenen Bescheids wieder her. Rechtlich behandelten sie die aufgrund des Präsenzdienstes des Klägers erworbenen Ersatzzeiten nicht als Beitragsmonate aufgrund einer Erwerbstätigkeit.

[4] Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Vorliegens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu „den zu beantwortenden Rechtsfragen“ zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Revision des Klägers ist nicht zulässig.

1.1. § 236 Abs 4b ASVG (idF PAG BGBl I 2019/98, aufgehoben durch das SVÄG 2020, BGBl I 2021/28, vgl § 745 Abs 2, 4 ASVG) lautete:

„Hat die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben, so ist eine Verminderung der Leistung nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem APG unzulässig; § 261 Abs. 4 dieses Bundesgesetzes sowie die §§ 5 Abs. 2 und 6 Abs. 1 APG sind nicht anzuwenden. Als Beitragsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten auch bis zu 60 Versicherungsmonate für Zeiten der Kindererziehung (§§ 8 Abs. 1 Z 2 lit. g, 227a oder 228a dieses Bundesgesetzes oder §§ 3 Abs. 3 Z 4, 116a oder 116b GSVG oder §§ 4a Abs. 1 Z 4, 107a oder 107b BSVG), wenn sie sich nicht mit Zeiten einer Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit decken.“

[6] 1.2. Der Oberste Gerichtshof stellte bereits in der Entscheidung 10 ObS 175/21i (DRdA 2022/46, 520 [Pasz] = DRdA-infas 2022, 122, 253 [Weißensteiner]) zu der dem § 236 Abs 4b ASVG inhaltsgleichen, ebenfalls mit dem PAG BGBl I 2019/98 eingeführten Bestimmung des § 120 Abs 7 GSVG klar, dass Ersatzzeiten aufgrund der Leistung des Präsenz- oder Zivildienstes nicht im Sinn dieser Bestimmungen als Beitragszeiten aufgrund von Erwerbstätigkeit gelten. Daran hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 10 ObS 24/22k und 10 ObS 28/22y jeweils zu § 236 Abs 4b ASVG festgehalten.

[7] Dieses Auslegungsergebnis wurde mit dem klaren Wortlaut der Norm, aber auch damit begründet, dass eine Gesetzeslücke im Sinn einer planwidrigen Unvollständigkeit, die einen Analogieschluss erst ermöglichen würde, nicht vorliegt (10 ObS 175/21i Rz 15 ff mwN).

[8] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hegte auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die unterschiedliche Behandlung von Kindererziehungszeiten und Zeiten des Präsenz- oder Zivildienstes oder wegen des Umstands, dass Männer, die keinen Präsenz- oder Zivildienst leisten müssen, allenfalls früher in der Lage sind, 540 Beitragsmonate aufgrund von Erwerbstätigkeit zu erwerben, als Versicherte, die Präsenz- oder Zivildienst leisten mussten (10 ObS 175/21i, Rz 21 f mwN; vgl die aufgrund eines Normenkontrollantrags des Klägers gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit b B-VG ergangene Entscheidung G 326/2021 des Verfassungsgerichtshofs; so auch G 107/2021; G 140/2021; G 200/2021; G 278/2021).

[9] 1.4. Soweit in der Revision eine Analogiebasis in § 607 Abs 12 ASVG und in § 299a Abs 7 ASVG erblickt wird, ändert dies nichts daran, dass ein Analogieschluss schon wegen des Fehlens einer planwidrigen Unvollständigkeit des § 236 Abs 4b ASVG ausscheidet (vgl RS0098756 [T1]; 10 ObS 175/21i, Rz 17 zur Parallelbestimmung des § 298 Abs 12 GSVG).

[10] 2. Die Voraussetzung des § 502 Abs 1 ZPO muss als Zulässigkeitsvoraussetzung noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegeben sein (RS0112769 [T11]). Die Revision ist daher unzulässig, wenn in einer – wenngleich nach der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen – Entscheidung zur maßgeblichen Rechtsfrage bereits Stellung genommen wurde (RS0112769).

[11] Da die in der Revision des Klägers ausgeführten Rechtsfragen bereits in der Entscheidung 10 ObS 175/21i umfassend behandelt wurden, ist die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen.

[12] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt.

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