European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00025.22B.0914.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1 Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Sofern keine auffallende Fehlbeurteilung, also eine krasse Verkennung der Auslegungsgrundsätze vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss, entziehen sie sich zufolge ihrer Einzelfallbezogenheit im Allgemeinen generellen Aussagen. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, sofern nicht eine krasse Fehlbeurteilung zu erkennen ist (RS0112106 [insb T3]; RS0042936 [insb T17]; vgl RS0042776).
[2] 1.2 Eine unvertretbare Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen, die im Hinblick auf den festgestellten Willen der Streitteile und den Wortlaut der anwaltlich errichteten Vertragsurkunde die Vereinbarung dahin auslegten, dass die Einräumung des Fruchtgenussrechts an der Liegenschaft zugunsten der Beklagten unentgeltlich erfolgte und dadurch die Darlehensschulden des Klägers bei der Beklagten nicht erlöschen sollten, zeigt die Revision nicht auf. Die schenkungsweise Einräumung des Fruchtgenussrechts durch den Kläger entspricht im Übrigen auch seinem eigenen erstinstanzlichen Prozessstandpunkt.
[3] 2.1 „Wirkliche Übergaben“ im Sinne des Gesetzes (§ 943 ABGB, § 1 lit d NotAktsG) sind die körperliche Übergabe, die Übergabe durch Zeichen, die Besitzauflassung und die Besitzanweisung, grundsätzlich nicht aber die Besitzauftragung (Besitzkonstitut; 7 Ob 128/19b; RS0011143). Bei Liegenschaften genügt die außerbücherliche Übergabe (RS0011228 [T11]). Das Erfordernis der „wirklichen“ Übergabe dient dem Übereilungsschutz (2 Ob 122/17f [verst Senat]). Aufgrund dieses Regelungszwecks ist eine solche Übergabe dann anzunehmen, wenn der Geschenkgeber einen vom Schenkungsvertrag verschiedenen und als Übergabe erkennbaren Akt setzt, der nach außen (nicht notwendig gegenüber Dritten) in Erscheinung tritt und geeignet ist, seinem Willen Ausdruck zu verleihen, das Schenkungsobjekt aus seiner Gewahrsame in die des Beschenkten zu übertragen (2 Ob 196/20t; 2 Ob 122/17f [verst Senat]; 1 Ob 115/02x). Das kann auch bei einer im gemeinsamen Gewahrsam stehenden Sache nach ständiger Rechtsprechung durch bloße Besitzauflassung (traditio brevi manu) erfolgen, ohne dass sich an den tatsächlichen Verhältnissen etwas ändern müsste (6 Ob 133/21h; vgl 1 Ob 229/16g; 1 Ob 527/91 [Erklärung im Übergabsvertrag genügt bei Mitgewahrsam an einer Liegenschaft]; RS0010152).
[4] 2.2 Im vorliegenden Fall bewohnten der Kläger und die Beklagte die Liegenschaft des Klägers mit dem von ihnen gemeinsam errichteten Einfamilienhaus bereits vor Abschluss des nicht in Notariatsaktsform geschlossenen unentgeltlichen Servitutsbestellungsvertrags gemeinsam (als damalige Lebensgefährten).
[5] Die Ansicht der Vorinstanzen, es sei eine „wirkliche Übergabe“ iSd § 943 ABGB erfolgt, findet daher im Ergebnis Deckung in der erörterten Rechtsprechung, mit der sich die Revision nicht auseinandersetzt. Mit ihrem Hinweis auf die Entscheidungen 2 Ob 94/14h und 9 Ob 149/04h zeigt die Revision kein Abgehen des Berufungsgerichts von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs auf. Die Entscheidung 9 Ob 149/04h betraf die Übergabe einer Liegenschaft durch Besitzkonstitut, ohne diese real „aus der Hand zu geben“. Auch nach dem der Entscheidung 2 Ob 94/14h zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Geschenkgeberin neben der Unterzeichnung des formungültigen Servitutsbestellungsvertrags keinen sinnfällig nach außen bemerkbaren Übergabsakt gesetzt.
[6] 3. Gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Prüfung einer groben Äquivalenzstörung von Leistung und Gegenleistung sei bei einem unentgeltlichen Geschäft nicht vorzunehmen (vgl 6 Ob 518/88), bringt die Revision keine Argumente vor. Da sich eine pfandvertragsähnliche Sicherungsabrede betreffend die Einräumung des Fruchtgenussrechts und die Darlehensschulden des Klägers bei der Beklagten den Feststellungen nicht entnehmen lässt, liegt auch in der Verneinung einer analogen Anwendung der §§ 1371, 1372 ABGB durch das Berufungsgericht keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.
[7] 4. Soweit sich die Revision auf die Entscheidung 8 Ob 15/01s stützt und die absolute Nichtigkeit wegen eines sittenwidrigen Eingriffs in das verbücherte Vorkaufsrecht der Kinder des Klägers geltend macht, weil die Fruchtgenussrechtseinräumung dazu dienen habe sollen, die Ausübung des Vorkaufsrechts zu verleiden, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt. Danach war beabsichtigt, der Beklagten durch das Fruchtgenussrecht bereits zu Lebzeiten des (deutlich älteren) Klägers eine „Absicherung“ ihrer Wohnmöglichkeit im Hinblick auf die von ihr in das Haus getätigten erheblichen Investitionen zukommen zu lassen. Schon deshalb liegen weder Feststellungsmängel vor noch zeigt die Revision damit eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)