OGH 1Ob143/22v

OGH1Ob143/22v14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier & Mag. Markus Vogler Rechtsanwälte & Strafverteidiger OG in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Mag. Michaela Hütteneder‑Estermann, Rechtsanwältin in Bad Hofgastein, wegen 15.170,80 EUR sowie Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 6. Juli 2022, GZ 2 R 102/22s‑21, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00143.22V.0914.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die K lägerin stürzte im Bekleidungsgeschäft der Beklagten über eine einzelne Stufe, als sie beim Betrachten eines Kleidungsstücks rückwärts ging. Sie leitet daraus Ersatzansprüche gegen die Beklagte ab und wirft ihr vor, durch die mangelnde Kennzeichnung bzw Absicherung des Niveauunterschieds Verkehrssicherungspflichten verletzt zu haben.

[2] Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, mit der die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten verneint wurde. Die Revision sei aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung nicht zulässig.

[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

[4] 1. Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0023355 [T35]; RS0023487 [T4, T17]; RS0023607 [T2]). Ihr Umfang richtet sich vor allem danach, inwieweit die Verkehrsteilnehmer vorhandene Gefahren selbst erkennen und ihnen begegnen können (RS0023726). Vom Inhaber eines Geschäfts kann keine Beseitigung sämtlicher Gefahrenquellen gefordert werden, vielmehr ist auch vom Kunden zu erwarten, dass er beim Gehen „vor die Füße schaut“ (RS0023787 [T3]; RS0027447). Der Verkehrssicherungspflichtige hat zwar vor ungewöhnlichen Niveauunterschieden zu warnen. Stufen, die von den Verkehrsteilnehmern normalerweise wahrgenommen werden können, müssen aber nicht besonders gekennzeichnet werden (RS0023607). Welche Sicherheitsvorkehrungen konkret erforderlich sind, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0110202; RS0111380). Eine Einzelfallentscheidung wäre vom Obersten Gerichtshof nur überprüfbar, wenn eine den Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts überschreitende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts korrigiert werden müsste (RS0044088 [insb T35]), was hier nicht der Fall ist.

[5] 2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass der nicht ungewöhnlich hohe Niveauunterschied im Verkaufsraum der Beklagten aufgrund des unterschiedlichen Bodenbelags (graue Fliesen und brauner Holzboden) sowie der Beleuchtung gut erkennbar war, ist jedenfalls vertretbar (vgl etwa auch 9 Ob 404/97w). Da die Klägerin beim Rückwärtsgehen stürzte, hätte die von ihr geforderte zusätzliche Hervorhebung des Gefahrenbereichs durch „Signalfarben“ ihren Sturz auch nicht verhindert. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Beklagte aufgrund von – in der Revision näher bezeichneten – bau‑ und arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen zu einer weitergehenden Kennzeichnung der Stufe verpflichtet gewesen wäre. Die deutliche Erkennbarkeit der Stufe unterscheidet den vorliegenden Fall auch maßgeblich von jenem Sachverhalt, welcher der (in der Revision ins Treffen geführten) Entscheidung zu 2 Ob 81/00a zugrunde lag.

[6] Da die Klägerin den Niveauunterschied beim Rückwärtsgehen übersah, geht auch ihr Vorwurf, der Boden habe keine rutschfeste Oberfläche aufgewiesen, ins Leere. Welche weitere Beleuchtung der Stufe zu fordern gewesen wäre, ist angesichts der festgestellten guten Ausleuchtung des Gefahrenbereichs nicht ersichtlich. Warum ein Handlauf den Sturz verhindert hätte, legt die Revisionswerberin nicht dar.

[7] 3. Soweit der Ersatzanspruch auch darauf gestützt wird, dass die Beklagte ihre Waren zu nahe an der Stufe ausgestellt habe, zeigt die Revision auch dazu keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Nach den erstinstanzlichen Feststellungen waren jene ausgestellten Kleidungsstücke, für die sich die Klägerin interessierte, problemlos zugänglich, ohne dass dabei der niedriger gelegene Teil des Verkaufsraums betreten werden oder rückwärts gegangen werden musste. Davon ausgehend begegnet es keinen Bedenken, dass die Vorinstanzen die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auch insoweit verneinten, als diese aus einer behaupteten sorgfaltswidrigen Positionierung der angebotenen Waren abgeleitet wurde.

Stichworte