OGH 12Os69/22x

OGH12Os69/22x18.8.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. August 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Dr. Blecha in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. März 2022, GZ 18 Hv 23/22b‑57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00069.22X.0818.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./1./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I./2./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I./3./) sowie der Vergehen der pornographischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster Satz erster und zweiter Fall StGB (II./2./ und 5./) und nach § 207a Abs 3 zweiter Satz erster und zweiter Fall StGB (II./1./, 3./ und 4./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in F*

I./ von Mai bis Oktober 2019 in wiederholten Angriffen

1./ mit der am * geborenen, sohin unmündigen * S* dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er sie mehrmals mit dem Finger anal penetrierte und in einem Fall versuchte, einen Finger in ihre Vagina einzuführen, davon jedoch Abstand nahm, weil sie dabei Schmerzen verspürte;

2./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen und von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er die am * geborene * S* mit seinem Penis im Bereich des Anus und der Brust berührte, an ihren Brustwarzen sowie ihrem Intimbereich leckte, sie dort betastete und sie dazu veranlasste, mit ihren Lippen seinen Penis und Hodensack zu berühren;

3./ durch die unter 1./ und 2./ geschilderten Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung als Aufsichtsperson geschlechtliche Handlungen vorgenommen bzw von dieser an sich vornehmen lassen;

II./ vom 13. August 2016 bis zum 4. September 2021 pornographische Darstellungen Minderjähriger sich durch Beziehen über das Internet verschafft und durch Speichern auf seinem Mobiltelefon, einer externen Festplatte und einem USB‑Stick bis zur Löschung der Dateien bzw bis zu deren Sicherstellung besessen, und zwar

1./ eine Videodatei mit Darstellungen eines unmündigen Mädchens beim Vaginalverkehr mit einem Erwachsenen, mithin eine wirklichkeitsnahe Abbildung geschlechtlicher Handlungen an einer unmündigen Person;

2./ zwei Videodateien mit Darstellungen mündiger minderjähriger Mädchen bei der Masturbation an sich selbst, mithin wirklichkeitsnahe Abbildungen geschlechtlicher Handlungen mündiger minderjähriger Personen an sich selbst, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen;

3./ sieben Bilddateien mit Darstellungen unmündiger minderjähriger Mädchen, die überwiegend mit gespreizten Beinen ihre Vagina präsentieren, mithin wirklichkeitsnahe Abbildungen der Genitalien und der Schamgegend einer Minderjährigen, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen;

4./ zahlreiche Bilddateien mit computergenerierten Darstellungen unmündiger Mädchen beim Vaginal-, Oral-, und Handverkehr sowie unmündiger Mädchen, die – überwiegend mit gespreizten Beinen – ihre Genitalien oder die Schamgegend präsentieren, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, mithin Darstellungen, deren Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, es handle sich um Abbildungen im Sinne des § 207a Abs 4 Z 1 und 3 lit b StGB;

5./ fünf Bilddateien mit computergenerierten Darstellungen mündiger minderjähriger Mädchen beim Vaginal- und Oralverkehr und bei der Masturbation an sich selbst sowie eines mündigen minderjährigen Mädchens, das seine Vagina präsentiert, wobei es sich um reißerisch verzerrte, auf sich selbst reduzierte und von anderen Lebensäußerungen losgelöste Abbildungen handelt, die der sexuellen Erregung des Betrachters dienen, mithin Darstellungen, deren Betrachtung nach den Umständen den Eindruck vermittelt, es handle sich um Abbildungen im Sinne des § 207a Abs 4 Z 3 lit a und lit b StGB.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

[4] Mit dem eingangs der Nichtigkeitsbeschwerde enthaltenen Hinweis auf fehlerhafte Übertragungen des Hauptverhandlungsprotokolls wird kein Nichtigkeitsgrund angesprochen.

[5] Die Verfahrensrüge übersieht zunächst, dass die Entfernung des Angeklagten aus dem Verhandlungssaal für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen (§ 250 Abs 1 StPO) nicht der Nichtigkeitssanktion des § 281 Abs 1 Z 3 StPO unterliegt (vgl RIS‑Justiz RS0098271). Von der Möglichkeit, sich gegen den Ausschluss mit geeigneter Antragstellung (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) zur Wehr zu setzen (RIS‑Justiz RS0098271 [T2]; Hinterhofer/Oshidari, Strafverfahren Rz 8.104), hat der Beschwerdeführer – wie anzumerken bleibt – keinen Gebrauch gemacht.

[6] Dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung zufolge wurde dem Beschwerdeführer die in seiner Abwesenheit (§ 250 Abs 1 StPO) getätigte Aussage der Zeugin Mag. K* nach Abschluss ihrer Vernehmung zur Kenntnis gebracht (ON 56 S 44). Entgegen dem Beschwerdestandpunkt konnte sich die Mitteilung des Vorsitzenden über den Inhalt der Aussage auf die wesentlichen Aspekte beschränken (RIS‑Justiz RS0098250). Es wäre der Verteidigung zudem freigestanden, durch Verlangen nach entsprechenden Feststellungen im Protokoll (§ 271 Abs 1 zweiter Satz StPO) auf eine ihr notwendig erscheinende ergänzende Information hinzuwirken (RIS-Justiz RS0098250 [T6]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 249).

[7] Der in der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) erhobene pauschale Vorwurf, das Erstgericht habe dem Angeklagten keine Chance gelassen, Entlastungsbeweise beizubringen, orientiert sich nicht an den Anfechtungsvoraussetzungen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.

[8] Davon abgesehen wurden durch die Abweisung einer Reihe von Beweisanträgen Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht verletzt.

[9] Die begehrte Beiziehung eines kinderpsychologischen Sachverständigen zwecks Überprüfung der „Fremdbestimmtheit“ der Angaben der minderjährigen * S* in ihrer kontradiktorischen Vernehmung (ON 56 S 44 f iVm ON 45 f) unterblieb schon deshalb zu Recht, weil eine solche Glaubwürdigkeitsbeurteilung – wie das Erstgericht bereits zutreffend ausgeführt hat (ON 56 S 45 f) – nur bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten von Zeugen in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0120634). Derartiges behauptete der Beweisantrag aber nicht.

[10] Der Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der Angeklagte unter – dessen Kommunikationsverhalten und Interaktion beeinträchtigendem – Autismus leide, gab die Relevanz für die Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht bekannt (vgl RIS‑Justiz RS0118444).

[11] Hinsichtlich der begehrten (ON 56 S 44 iVm ON 45) Vernehmung von sechs namentlich benannten Zeugen, durch die zusammengefasst ein harmonisches Zusammenleben des Angeklagten mit seiner Gattin und deren Tochter erwiesen werden sollte, ließ der Antrag offen, aus welchem Grund anlässlich punktueller Zusammentreffen Rückschlüsse auf das Gesamtverhalten des Angeklagten möglich sein sollen. Somit zielte er auf unzulässige Erkundungsbeweisführung ab (RIS‑Justiz RS0099453).

[12] Entsprechendes gilt für die folgenden – im Übrigen kein konkretes Beweisthema ansprechenden (vgl RIS‑Justiz RS0099498) – Anträge (ON 56 S 44 iVm ON 45) auf

‑ Beauftragung eines Sachverständigen, auf den sichergestellten Datenträgern gespeicherte Familienfotos zu datieren und auszudrucken sowie die „Facebook-Verbindungen“ zum Schwiegervater des Angeklagten aus seinem Notebook festzustellen und auszudrucken,

‑ Einholung einer Stellungnahme des Sachverständigen, ob es technisch „möglich ist, daß die Audio-Datei vom 28. 2. 2020 manipuliert wurde“ und

‑ die allfällig mögliche Rekonstruktion von Textnachrichten, die der Angeklagte im Sommer 2021 von seiner Gattin erhalten haben soll.

[13] Die gegen den Schuldspruch I./3./ gerichtete Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) geht daran vorbei, dass die Tatrichter die Konstatierungen, wonach der Angeklagte * S* beaufsichtigte, wenn Mag. * K* außer Haus war, auf die Angaben der bezeichneten Personen stützten (US 10).

[14] Aus welchem Grund die Feststellungen betreffend die Ausnützung der Stellung des Angeklagten gegenüber dem Opfer offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall) sein sollen (vgl aber US 10 f), gibt das Rechtsmittel nicht bekannt.

[15] Mit der gegen die Konstatierungen zum Tatzeitraum gerichteten Argumentation, der Angeklagte habe das Mobiltelefon, auf dem die zu II./ inkriminierten Bilddateien sichergestellt wurden, erst Ende 2020/Anfang 2021 erworben, spricht die Beschwerde keine entscheidende Tatsache an (vgl RIS‑Justiz RS0098557 [insb T9]).

[16] Aus welchem Grund ein Foto, auf welchem der Angeklagte und das Opfer gemeinsam abgebildet sind, den Feststellungen zu den schulderheblichen Umständen erörterungsbedürftig entgegenstehen soll, macht das Rechtsmittel (Z 5 zweiter Fall) nicht klar.

[17] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

[18] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte