European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00053.22M.0728.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte * Z* des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (A) und des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs 1, 84 Abs 4 StGB (B) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er am 9. Juni 2021 in W* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB)
A) * K* absichtlich (§ 5 Abs 2 StGB) zugefügt, indem er ihm zumindest einen kräftigen Fußtritt ins Gesicht versetzte, wodurch der Genannte eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung und eine an sich schwere Verletzung erlitt, nämlich eine Schädelprellung, eine massive Prellung des Gesichts mit Brüchen der Jochbeine und der seitlichen Augenhöhlenwand sowie der Augenhöhlenböden, Brüche der vorderen und seitlichen Kieferhöhlenwand beidseits, Brüche der Siebbeinzellen und der Flügelfortsätze, einen Bruch des rechten Unterkiefers im Bereich des aufsteigenden Anteils des Unterkiefers und einen unverschobenen Bruch des Nasenbeins sowie eine Prellung des rechten Auges mit Blutung unter der Augenbindehaut und umfängliche Weichteilschwellungen und Lufteinlagerungen in die Haut;
B) * H* zuzufügen versucht (§ 15 StGB), indem er ihm mehrere kräftige Schläge mit der Faust versetzte, wodurch dieser zu Sturz kam und eine Schädelprellung, eine oberflächliche Hautabschürfung im Hinterhauptbereich, eine Prellung und Blutunterlaufung der linken Gesichtshälfte, eine ein Zentimeter große oberflächliche Hautabschürfung an der linken Schläfe, eine Prellung und Hautabschürfung der Nase, eine Prellung und Blutunterlaufung des linken Augenober- und -unterlides und eine Prellung der linken Brustkorbhälfte erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) kritisiert, dass die Zeugin * D* anlässlich ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung nicht korrekt über die ihr als Lebensgefährtin des Angeklagten gemäß § 156 Abs 1 Z 1 StPO zustehende Befreiung von der Pflicht zur Aussage belehrt und nicht protokolliert worden sei, „ob die Genannte aussagen will“, wodurch die mit Nichtigkeit bewehrte Vorschrift des § 159 Abs 3 StPO verletzt worden sei.
[5] Tatsächlich wurde die Zeugin nach dem Inhalt des (ungerügt gebliebenen) Hauptverhandlungsprotokolls (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 312) rechtsirrig über das Aussageverweigerungsrecht „gemäß § 157 Absatz 1 Ziffer 1 StPO“ informiert, woraufhin sie vorbehaltlos aussagte (ON 24 S 14). Nach gefestigter Rechtsprechung wird der Informationspflicht des § 159 Abs 1 StPO entsprochen, wenn die Zeugin der Sache nach richtig über den Umfang einer ihr zukommenden Aussagebefreiung/eines Aussageverweigerungsrechts belehrt wird, eine Bezugnahme auf bestimmte Aussagebefreiungs- oder -verweigerungsgründe ist nicht erforderlich (RIS‑Justiz RS0122589; 17 Os 9/13x; Kirchbacher/Keglevic, WK-StPO § 159 Rz 4). Diesen Anforderungen wurde hier Genüge getan, weil der Vorsitzende der Zeugin ein uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht zubilligte, die ihrerseits durch ihre Aussage unmittelbar nach der Belehrung auch unmissverständlich ihren Verzicht auf dieses Recht zum Ausdruck brachte (RIS-Justiz RS0097873 [T3, T4]).
[6] Im Übrigen wäre der Verfahrensrüge auch deshalb kein Erfolg beschieden, weil den Beschwerdeführer belastende Feststellungen nicht auf der Aussage dieser Zeugin beruhen, die Tatrichter vielmehr davon ausgingen, dass die Zeugin zur Aufklärung des eigentlichen Tatgeschehens nichts beitragen konnte (US 11). Ein dem Beschwerdeführer nachteiliger Einfluss dieser Zeugenaussage auf die Entscheidung ist daher im Sinn des § 281 Abs 3 StPO auszuschließen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 741).
[7] Da der Schöffensenat ohnedies (auch) auf Basis des Gutachtens des gerichtsmedizinischen Sachverständigen (US 14) festgestellt hat, dass (zumindest) ein Fußtritt des Angeklagten für die von * K* erlittenen Verletzungen kausal war (US 3, 6 f), waren sie entgegen dem Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) dem Gebot zu bestimmter, aber gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, einzelne Passagen des Sachverständigengutachtens zu vorangegangenen Verletzungen im Gesichtsbereich der beiden Opfer (vgl ON 6.2 S 8 und 12) explizit zu erörtern (RIS‑Justiz RS0098377, RS0098778).
[8] Der weiteren Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider ist der zum Schuldspruchpunkt A gezogene Schluss auf eine Absicht des Angeklagten, * K* schwer zu verletzen (US 7), aus dem äußeren Tatgeschehen, wonach der Angeklagte dem Genannten, der sich aus einer liegenden Position aufrichtete, „mit voller Wucht“ (zumindest) einen Fußtritt in das Gesicht versetzte und unter Berücksichtigung der durch die Position des Geschädigten bedingten Wehrlosigkeit und der massiven Verletzungsfolgen (US 16) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882 und RS0098671).
[9] Indem die Rüge nach Maßgabe eigener Beweiswerterwägungen mit dem Hinweis auf die „zeitliche Abfolge des objektiven Tatbestands“ und die Lebenserfahrung die Feststellungen zur subjektiven Tatseite in Frage zu stellen versucht, bekämpft sie bloß die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (Ratz, WK‑StPO Vor §§ 280–296a Rz 11, 13). Die als willkürlich bezeichnete Urteilsannahme, wonach der Angeklagte „beschloss, die beiden Störenfriede zu bestrafen“ (US 6), ist nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0106268).
[10] Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der diesbezüglichen Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).
[11] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) die vom Schöffensenat bejahte (US 9 ff) „Glaubwürdigkeit der beiden Opfer betreffend den Geschehensablauf“ als herabgesetzt einstuft (vgl jedoch RIS-Justiz RS0099419), zum Schuldspruchpunkt A erneut behauptet, es habe sich „nur“ um einen Fußtritt gehandelt und weiters, der Angeklagte habe die Opfer nicht bestrafen, sondern nur zur Rede stellen wollen, sowie zum Schuldspruchpunkt B die Feststellungen zu den * H* versetzten Faustschlägen unter Hinweis auf die (vom Erstgericht berücksichtigte – US 12 ff) Verantwortung des Angeklagten und auf (vom Erstgericht berücksichtigte – US 13 f) Gutachtenspassagen (ON 6.2 S 11) in Frage zu stellen versucht, erweckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen.
[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur –bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[13] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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