European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00078.22M.0629.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Die Klägerin kam am 4. 3. 2021 als Kundin in einer Supermarktfiliale der Beklagten zu Sturz und verletzte sich. Sie rutschte auf der Blechabdeckung eines Kühlregals aus, die von einem Mitarbeiter der Nebenintervenientin zur Durchführung von Reparaturarbeiten auf den Fliesenboden beim Eingangsbereich, ca 1 m vom Regal entfernt, abgelegt worden war.
[2] Das Bleckstück war rund 1,2 m lang, 20 cm breit und an den Seiten ca 1 bis 2 cm aufgebogen. Durch seine dunkelbraune Farbe hob es sich von dem helleren Fliesenboden deutlich ab. Rund 20 cm daneben lag auch ein zusammengerolltes Kabel. Es waren im Geschäft keine Warnschilder wegen der Reparaturarbeiten aufgestellt oder sonstige Absicherungsmaßnahmen vorhanden.
[3] Die Klägerin hatte das Blech nicht bemerkt, weil sie nach dem Betreten des Supermarkts direkt auf ein Regal zugegangen war, ohne auf den Boden zu sehen. Bei Eintreffen der Klägerin war gerade kein Arbeiter in unmittelbarer Nähe tätig.
[4] Die Klägerin begehrt Schadenersatz für die erlittenen Verletzungen. Die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie eine leicht vermeidbare, ungesicherte Gefahrenquelle geschaffen habe. Sie hafte gemäß § 1313a ABGB auch für die Mitarbeiter der Beklagten als ihre Erfüllungsgehilfen.
[5] Die Beklagte wandte ein, die Klägerin habe den Unfall allein verschuldet, weil sie das ganz leicht erkennbare Hindernis durch eigene Unachtsamkeit übersehen habe.
[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass für die Klägerin bei entsprechender Aufmerksamkeit aufgrund der herumliegenden Gegenstände erkennbar gewesen wäre, dass in der Filiale Reparaturarbeiten durchgeführt werden, und sie darauf reagieren hätte müssen. Hingegen könne von einem Kaufhausinhaber nicht verlangt werden, alle möglichen Gefahrenquellen zu beseitigen. Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten sei daher zu verneinen.
[7] Das Berufungsgericht gab mit Teil‑ und Zwischenurteil dem Klagebegehren dem Grunde nach zu zwei Drittel statt und bestätigte die Abweisung zu einem Drittel. Es stelle entgegen der Ansicht des Erstgerichts eine auffallende Sorglosigkeit dar, ein großes Blechteil einfach am Gangboden zwischen den Regalen abzulegen, obwohl es ein Leichtes gewesen wäre, es während der Arbeiten so zu deponieren, dass es keine Gefahr für Kunden dargestellt hätte. Wegen ihrer eigenen Unachtsamkeit habe sich die Klägerin jedoch ein Mitverschulden von einem Drittel anrechnen zu lassen.
[8] Über Antrag gemäß § 508 Abs 1 ZPO erklärte das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich für zulässig, weil im Rahmen der Einzelfallgerechtigkeit eine Überprüfung der Rechtsfrage durch das Höchstgericht gerechtfertigt erscheine.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten, mit denen sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung anstreben, sind entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
[10] Wegen der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung der Rechtsmittel können sie gemeinsam behandelt werden.
[11] 1. Zu den grundsätzlichen Fragen der Verkehrssicherungspflicht und des Mitverschuldens des Verletzten liegt eine umfangreiche Rechtsprechung vor. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Wesentlich ist, ob eine Gefahr für einen sorgfältigen Menschen erkennbar war und welche Maßnahmen zur Vermeidung der Gefahr möglich und zumutbar sind (RIS‑Justiz RS0110202; RS0111380; RS0023397).
[12] In diesem Sinn kommt der Entscheidung des hier vorliegenden Falls aber keine richtungsweisende Bedeutung zu, weil es nicht möglich ist, für die unabsehbare Vielzahl von Unfallshergängen gleichermaßen gültige und allen Besonderheiten Rechnung tragende Verhaltensregeln aufzustellen. Eine grobe Verkennung der Rechtslage, die ausnahmsweise im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zu korrigieren wäre, ist dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.
[13] Die Auffassung, dass mit dem Herumliegen eines Blechstücks auf dem glatten Fliesenboden in einem von Supermarktkunden frequentierten Gangbereich eine nicht für jedermann erkennbare Gefahrenquelle geschaffen wird, ist nicht zu beanstanden. Dass Kunden, die ein Geschäft zum Einkaufen betreten, ihre Blicke vornehmlich auf die Verkaufsregale richten werden, entspricht der Lebenserfahrung. Nach dem Sachverhalt wäre es den mit der Reparatur beschäftigten Mitarbeitern der Nebenintervenientin ganz mühelos möglich und dementsprechend zumutbar gewesen, das Blechstück an die Seite des Ganges zu schieben oder an ein Regal zu lehnen, wo es keine Gefahr dargestellt hätte.
[14] 2. Soweit die Revisionswerber monieren, dass die Klägerin vor dem Unfall Arbeiter im Bereich der Unfallstelle wahrnehmen hätte können oder müssen, widerspricht dies dem festgestellten Sachverhalt.
[15] 3. Ob die Beklagte zur Absicherung der späteren Unfallstelle Absperrungen vornehmen oder Warnschilder aufstellen hätte müssen, ist für das rechtliche Ergebnis ohne Relevanz. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ergibt sich im Anlassfall nicht aus dem Fehlen von Warnungen vor den Reparaturarbeiten, sondern aus der unnötigen, fahrlässigen Schaffung einer leicht vermeidbaren Gefahrenquelle durch die der Beklagten nach § 1313a unbestritten zurechenbaren Handwerker.
[16] 4. Dem Umstand, dass die Klägerin das Blech bei höherer Aufmerksamkeit bemerken und ihm ausweichen hätte können, wird durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung Rechnung getragen.
[17] Gegen die einzelfallbezogene Angemessenheit der Teilung im Verhältnis von 2 : 1 wendet sich konkret nur die Revision der Nebenintervenientin, die alternativ zur Klagsabweisung eine Quote von 1 : 3 zu Lasten der Klägerin anstrebt.
[18] Ob eine bestimmte Verschuldensteilung angemessen ist, stellt eine bloße Ermessensentscheidung dar, bei der im Allgemeinen – von einer hier offenkundig nicht vorliegenden krassen Fehlbeurteilung abgesehen – eine erhebliche Rechtsfrage nicht zu lösen ist (RS0087606 [T2]).
[19] 5. Der Kostenvorbehalt im Rechtsmittelverfahren über das Teilzwischenurteil gründet sich auf § 52 ZPO (vgl Obermaier, Kostenhandbuch³, Rz 1.451).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)