OGH 14Os43/22p

OGH14Os43/22p31.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Mai 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Fleischhacker in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Privatbeteiligten * S* gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 26. Jänner 2022, GZ 52 Hv 25/21g‑37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0140OS00043.22P.0531.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * K* des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 29. Oktober 2021 in W* * S* mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs zu nötigen versucht, indem er sie im Bereich der Straßenbahnstation * packte, in einen hinter der Station liegenden Park zerrte, trotz Gegenwehr hochhob, auf das Spielplatzgelände trug und auf der Rampe einer Rutsche niederdrückte, sich auf das am Rücken liegende Opfer legte und es mit seinem Körpergewicht fixierte, sodann mit seiner Hand in dessen Hose und Unterhose fuhr, wobei es beim Versuch blieb, weil es dem Opfer gelang, sich loszureißen, als K*es neuerlich hochhob und dabei stürzte.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.

[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider, wurden durch die Abweisung (ON 37 S 27 f) mehrerer Anträge des Angeklagten (ON 37 S 24 ff) dessen Verteidigungsrechte nicht verletzt.

[5] Der Antrag auf „ergänzende und nochmalige“ Vernehmung der Zeugin S* „allenfalls im Wege einer kontradiktorischen Vernehmung“ wurde „zum Beweis dafür“ gestellt, „dass im Rahmen des Verfahrens doch etliche Ungereimtheiten aufgetreten sind“ und erhebliche aufklärungsbedürftige Widersprüche vorliegen. Denn Angaben der Zeugin (auch zur Frage, ob sie geschrien hat) würden mit der Verantwortung des Angeklagten nicht übereinstimmen, auf ihrerLeggings seien DNA‑Spuren einer unbekannten männlichen Person und nicht des Angeklagten gefunden worden, und „die Frage mit dem Kondom“ sei ebenso wenig wie das Sturzgeschehen, welches die Zeugin vor der Polizei noch anders dargestellt habe als in ihrer kontradiktorischen Vernehmung, erörtert worden.

[6] Zum einen legte der Antragsteller mit Blick auf die Erklärung der Zeugin im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung, nur bei dieser aussagen zu wollen (ON 23 S 3; vgl zur Geltendmachung des Rechts auf Aussagebefreiung bereits vor der Hauptverhandlung RIS‑Justiz RS0111315 [insb T13]), nicht dar, weshalb die Zeugin aus seiner Sicht aktuell (vgl aber die dagegen sprechende „informative“ Auskunft der Privatbeteiligtenvertreterin ON 37 S 26) dennoch zu einer Aussage bereit sein würde (RIS‑Justiz RS0117928).

[7] Zum anderen werden in der Begründung des Antrags der Sache nach nur Unklarheiten und Änderungen in der Beweislage (nach Durchführung der kontradiktorischen Vernehmung) reklamiert, die aber einen Entfall des Rechts auf Aussagebefreiung nicht bewirken (RIS-Justiz RS0118084, RS0131839; Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 156 Rz 18 und § 252 Rz 94). Die Aussagebefreiung betreffende Verfahrensmängel oder eine andere Tat, die nicht Gegenstand der kontradiktorischen Vernehmung gewesen wäre, stehen nicht in Rede (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 233 mit Bezugnahme auf RIS‑Justiz RS0128501 [T2]).

[8] Die „Beischaffung des Akts AZ 164 Hv 1/22b“ zum Beweis, dass S* im genannten Verfahren „ähnliche Vorwürfe“ gegen eine andere Person „wegen des gleichen Deliktes“ erhoben hat und weil sich die „Vorfrage hinsichtlich der Aussagefähigkeit“ des Opfers stelle, konnte unterbleiben. Das zuerst genannte Beweisthema betraf keine erhebliche, also nicht eine solche Tatsache, die unmittelbar oder mittelbar (ohne dabei auf eine unzulässige Erkundungsbeweisführung abzuzielen) der Feststellung entscheidender Tatsachen (vgl dazu RIS‑Justiz RS0099497) dient (RIS-Justiz RS0116503). Inwieweit die begehrte Beweisaufnahme wiederum geeignet sein soll, das Fehlen der Aussagefähigkeit des Opfers unter Beweis zu stellen, legte der Antrag nicht dar (RIS‑Justiz RS0099453).

[9] Zu Recht abgewiesen wurde auch der Antrag auf Einholung eines psychologischen Gutachtens zur Abklärung der Aussagefähigkeit des Opfers. Zum einen legte der Antragsteller nicht dar, dass das Opfer die notwendige Zustimmung zu einer Untersuchung erteilt hätte oder erteilen würde (RIS‑Justiz RS0097584, RS0108614; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 350). Zum anderen ist eine sachverständige Hilfestellung bei der – ausschließlich dem Gericht zukommenden (§ 258 Abs 2 StPO) – Prüfung der Glaubwürdigkeit von Zeugen nur in besonders gelagerten Fällen, etwa bei (durch Beweisergebnisse indizierten) Bedenken gegen die allgemeine Wahrnehmungs- oder Wiedergabefähigkeit des Zeugen oder dessen (vom Einzelfall unabhängige) Aussageehrlichkeit, bei abwegiger Veranlagung in psychischer oder charakterlicher Hinsicht sowie bei Entwicklungsstörungen oder sonstigen Defekten desselben erforderlich (RIS‑Justiz RS0097576, RS0097733). Anhaltspunkte für solche Ausnahmekonstellationen zeigte der Antrag mit der Behauptung, es gäbe erhebliche Zweifel an der Aussagefähigkeit des Opfers, weiles mehrfach in stationärer psychiatrischer Behandlung gewesen sei und starke Medikamente „wie Trittico und Dibondrin“ einnehme, „die erfahrungsgemäß auch zur Beeinträchtigung von erlebten Sachverhalten führen können“, nicht auf.

[10] Die „Beischaffung der Lichtbilder der Straßenbahnlinie 6A am 29.10.2021 gegen 05:15“ zum Beweis, dass der Angeklagte mit dem Opfer (von diesem unerwähnt geblieben) drei Stationen mit der Straßenbahn gefahren sei, war nicht erforderlich, weil dem Antrag nicht zu entnehmen war, inwieweit die begehrte Beweisaufnahme für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (RIS‑Justiz RS0118444). Soweit mit dem Antrag auch unter Beweis gestellt hätte werden sollen, dass „die Angaben der Zeugin nicht der Wahrheit entsprechen“, blieb offen, warum erwartet werden könnte, dass die Durchführung der begehrten Beweisaufnahme dieses Ergebnis (in Bezug auf entscheidende Tatsachen) erbringen würde (RIS‑Justiz RS0099189).

[11] Soweit der Beschwerdeführer behauptet, das Schöffengericht habe seinen Beweisantrag, „dass die Ungereimtheiten aus dem DNA‑Gutachten auf Seite 4 erörtert werden“, übergangen, stützt er sich nicht auf ein in dieser Form in der Hauptverhandlung gestelltes Begehren (vgl ON 37 S 24).

[12] Unvollständigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO liegt nur vor, wenn das erkennende Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen hat (RIS‑Justiz RS0098646 [T4]).

[13] Der Einwand der Mängelrüge, das Erstgericht habe es unterlassen, Feststellungen „hinsichtlich des vollständigen objektiven Ablaufs des gegenständlichen Sachverhalts“ sowie „des subjektiven Elements des Angeklagten hinsichtlich dessen Aufgabe der angesetzten Handlung“ zu treffen, zeigt daher von vornherein Nichtigkeit aus Z 5 nicht auf. Im Übrigen befinden sich Konstatierungen zu den Gründen für die Abstandnahme des Angeklagten von weiteren Ausführungshandlungen und seinem (missglückten) Vorhaben auf US 4.

[14] Soweit die Beschwerde behauptet, das Urteil stehe mit den Beweisergebnissen nicht im Einklang und die Angaben der Zeugin S* vor der Polizei stünden „im diametralen Widerspruch“ zu den Feststellungen, erschöpft sie sich in einer in dieser Form nicht zulässigen Beweiswürdigungskritik.

[15] Entgegen der Rüge (Z 5 zweiter Fall) begründet das Unterbleiben einer Auseinandersetzung in der Beweiswürdigung mit dem Umstand, dass die Zeugin S* in ihrer polizeilichen Vernehmung angab, der Angeklagte habe aufgehört sie zu bedrängen und gesagt, „wir gehen zur Tankstelle“, als sie ihm gesagt habe, er solle ein Kondom nehmen (ON 2.4 S 4), keine Nichtigkeit. Denn mit Blick auf die Angaben der Zeugin vor der Polizei und in der kontradiktorischen Vernehmung, der Angeklagte habe sie danach neuerlich hochgehoben, sei nach ein paar Schritten mit ihr hingefallen, wobei sie diese Gelegenheit zur Flucht habe nutzen können, er sei danach hinter ihr hergekommen und habe sie „wieder packen“ wollen (ON 2.4 S 4; ON 23 S 6), betrifft die als übergangen reklamierte Aussagepassage keine erhebliche Tatsache, also ein Verfahrensergebnis, das geeignet ist, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen (RIS‑Justiz RS0116877 [T1]).

[16] Gestützt auf Z 10 reklamiert die – einen Freispruch anstrebende (damit der Sache nach Z 9 lit b [Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 634]) – Beschwerde den Strafaufhebungsgrund des Rücktritts vom Versuch nach § 16 Abs 1 StGB und behauptet, nach den Angaben des Opfers sei die gegenständliche Ausführungshandlung nicht wegen Unvermögen zur Tatvollendung fehlgeschlagen, sondern weil der Angeklagte freiwillig aufgehört habe, das Opfer zu bedrängen, als dieses gesagt habe, er solle ein Kondom verwenden.

[17] Damit orientiert sie sich nicht an den getroffenen Feststellungen (RIS‑Justiz RS0099810), wonach S* das vom Angeklagten vermittelte Vorhaben, mit ihr den Beischlaf vollziehen zu wollen, klar erkennbar ablehnte, ihm unmissverständlich vermittelte, sein Betasten ihres Genitalbereichs nicht zu wollen, und sich aus Angst (ersichtlich gemeint:) vor dem Angeklagten nicht mehr wehrte, sondern sinngemäß zu ihm meinte, er solle wenigstens ein Kondom verwenden, der Angeklagte das Opfer daraufhin neuerlich hochhob, jedoch stolperte, wodurch Letzteres sich aus seiner Umklammerung befreien konnte, in Richtung Straßenbahnstation lief und einen dort zufällig anwesenden Mann um Hilfe anflehte, der Angeklagte S* verfolgte und nach einem Gerangel mit dem Opfer sowie dem Mann flüchtete (US 4). Ebenso vernachlässigt die Beschwerde die weiteren Feststellungen (US 4, 9), wonach der Angeklagte die Absicht hatte, durch Gewalt einen für ihn klar erkennbaren Widerstand von S* zu überwinden, um dadurch den Beischlaf mit ihr zu erzwingen und zu vollziehen, wobei sein Vorhaben aus den zuvor genannten Gründen missglückte.

[18] Warum bei dieser Konstellation (die im Übrigen völlig anders gelagert ist als die der im Rechtsmittel ins Treffen geführten Entscheidung 13 Os 3/90, bei der eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht möglich war, weil der Grund für das Ablassen des Täters von weiterer Tatausführung nicht festgestellt wurde) nicht ein fehlgeschlagener Versuch vorliegen sollte (vgl RIS‑Justiz RS0090338 [T5], RS0090229; Bauer/Plöchl in WK2 StGB §§ 15, 16 Rz 157 ff), erklärt die Beschwerde nicht.

[19] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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