European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00078.22T.0530.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.096,56 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 182,76 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Streitteile nahmen am 13. 7. 2019 am „offiziellen Radrennen Salzkammergut Trophy“ teil. Auf dem für den allgemeinen (insbesondere Fußgänger‑)Verkehr nicht gesperrten, im Bereich der Unfallstelle 1 bis 1,2 Meter breiten Traunuferweg in Bad Goisern überholte der Beklagte den eher links orientiert fahrenden Kläger auf der rechten Seite. Während des Überholmanövers zog der Kläger nach rechts. Letztlich kam es zur Berührung der beiden Fahrradlenker, sodass die Streitteile stürzten und sich verletzten. Im Radrennsport ist es – je nach den vorhandenen Platzverhältnissen – üblich, links oder rechts zu überholen und dabei an Wege angrenzende Grünstreifen oder sonstige Flächen mitzubenützen.
[2] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich mit der Begründung zu, dass der Frage erhebliche Bedeutung zukomme, ob ein Überholen an einer schmalen Wegstelle eine Vergrößerung des in der Natur eines Mountainbikerennens gelegenen Risikos herbeiführe.
[3] Die Revision des Klägers ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten ist.
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Der nachträglich abgeänderte Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts erschöpft sich im Kern darin, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle und beruht insoweit auf einer Scheinbegründung (RS0122015).
[5] 2. Der behauptete Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens wurde vom Obersten Gerichtshof geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[6] 3. Die Streitteile haben nach den Feststellungen an einem sportlichen Wettkampf teilgenommen (vgl RS0022950). Nach ständiger Rechtsprechung sind Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, insoweit nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern (RS0023039). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken des Handelns auf eigene Gefahr. Wer sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetzt, wie etwa durch Teilnahme an gefährlichen Veranstaltungen, dem wird eine Selbstsicherung zugemutet. Ihm gegenüber wird die dem Gefährdenden sonst obliegende Sorgfaltspflicht aufgehoben oder eingeschränkt (RS0023400 [T10]). Bei gegeneinander ausgeübter sportlicher Betätigung – sohin beim Vorliegen einer Wettkampfsituation – ist daher eine Verhaltensweise, die sonst nur als leichter Verstoß gegen die objektive Sorgfaltspflicht aufzufassen wäre, nicht rechtswidrig (RS0023039 [T9]; vgl auch RS0022443). Übliche leichte oder im Wettstreit oft unvermeidliche, typische Regelverstöße begründen also in der Regel keinen Sorgfaltsverstoß (RS0023039 [T14]). Ob die der Sportart eigenen Regeln eingehalten wurden, ist eine Tatfrage (RS0023039 [T19]).
[7] 4. Zur Sorgfaltspflicht der Teilnehmer an einem behördlich genehmigten Radrennen hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass sich diese nach dem gedachten Verhalten eines gewissenhaften und einsichtigen Radrennfahrers bestimmt. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, den Teilnehmern faktisch unrealisierbare, mit dem Ziel der rechtlich gebilligten Sportausübung unvereinbare Sorgfaltspflichten aufzuerlegen (RS0075419).
[8] In der Entscheidung 10 Os 150/86 führte der Oberste Gerichtshof aus, dass eine vollständige Beachtung sämtlicher Vorschriften der StVO im Bereich von nicht gesperrten öffentlichen Straßen dem Sinn von Radsportveranstaltungen zuwider laufen würde. Das Gebot der Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstands beim Überholen (§ 15 Abs 4 StVO) trete aber gegenüber einem gar nicht am Radrennen teilnehmenden Radfahrer allein durch die behördliche Bewilligung des Radrennens keinesfalls außer Kraft. Ein in eine Windschatten-Formation eingeordneter Radfahrer dürfe allerdings darauf vertrauen, dass der Spitzenfahrer der Gruppe einen ausreichenden Abstand beim Überholen wählen werde.
[9] In Folgeentscheidungen betonte der erkennende Senat, dass nicht jeder Regelverstoß als sorgfaltswidrig angesehen werden könne (2 Ob 7/08f, 2 Ob 16/18v, 2 Ob 5/20d). Die Beurteilung, ob der konkrete Unfallhergang über einen immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgeht, hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (2 Ob 7/08f).
[10] 5. Da nach der dargestellten Judikatur zwischen den Teilnehmern an der Radsportveranstaltung nicht von der umfassenden Geltung der StVO ausgegangen werden kann und nach der geübten Praxis bei Radrennen je nach vorhandenem Platz wahlweise rechts oder links überholt wird, ist das Berufungsgericht jedenfalls vertretbar davon ausgegangen, dass dem Beklagten alleine die Tatsache, dass er rechts überholt hat, nicht zum Vorwurf gemacht werden kann.
[11] Eine überhöhte Geschwindigkeit des Beklagten vermochte der Kläger ebenfalls nicht nachzuweisen.
[12] 6. Entgegen der Argumentation in der Revision ist unter Beachtung der zu Punkt 4. dargestellten Judikatur auch nicht davon auszugehen, dass die Vorschrift des § 15 Abs 4 StVO über das Erfordernis der Einhaltung eines entsprechenden seitlichen Abstands beim Überholvorgang jedenfalls und unmittelbar Anwendung zu finden hat. Die Entscheidung 10 Os 150/86 ging von der grundsätzlichen Anwendbarkeit dieser Bestimmung bei einem Radrennen (nur) gegenüber nicht am Rennen beteiligten Personen aus und unterscheidet sich damit auf Sachverhaltsebene maßgeblich vom hier vorliegenden Fall. Die den Teilnehmern erteilte Information über die Notwendigkeit der Einhaltung der Bestimmungen der StVO während des Rennens ist als bloße Formalität zu werten (2 Ob 5/20d Rz 21) und führt damit ebenfalls nicht zur unmittelbaren Geltung des § 15 Abs 4 StVO im Verhältnis zwischen den am Rennen teilnehmenden Radfahrern.
[13] 7. Soweit das Berufungsgericht das Vorliegen eines haftungsbegründenden atypischen Regelverstoßesdurch den Beklagten im Hinblick auf den beimÜberholvorgang eingehaltenen Seitenabstand verneint hat, liegt darin keine Überschreitung des ihm zukommenden Beurteilungsspielraums. Dabei ist zu bedenken, dass im Fall gemeinsamer Sportausübung die Behauptungs‑ und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung begründendes rechtswidriges Verhalten sowie Verschulden des Schädigers an der Zufügung eines Schadens abgeleitet wird, denjenigen trifft, der seinen Anspruch darauf stützt, sodass sämtliche in diesem Punkt verbleibende Unklarheiten zu seinen Lasten gehen (8 Ob 51/20p Punkt 2.4. mwN). Die mangelnde Präzision der Feststellungen zu den Fahrlinien der Streitteile geht damit zu Lasten des Klägers. Damit ist das Berufungsgericht jedenfalls vertretbar davon ausgegangen, dass dem Kläger der Nachweis eines mit auch unter Wettkampfbedingungen atypisch knappem Seitenabstand vorgenommenen Überholmanövers nicht gelungen ist.
[14] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.
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