OGH 8Ob51/20p

OGH8Ob51/20p25.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Dr. Michael Jöstl, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. B*****, vertreten durch König Ermacora Klotz & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, und 2. J*****, vertreten durch Mag. Roland Seeger, Rechtsanwalt in Innsbruck, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Parteien D*****, vertreten durch Dr. Walter Heel, Mag. Christof Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 14.510 EUR sA und Feststellung (Streitwert 6.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. April 2020, GZ 2 R 22/20g‑30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 18. Dezember 2019, GZ 17 Cg 19/19i‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00051.20P.0825.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei sowie dem Nebenintervenienten jeweils die mit 1.411,20 EUR (darin 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der damals 16‑jährige Kläger begab sich am 1. 8. 2018 als Teil einer Gruppe ungefähr gleichaltriger Jugendlicher zum Schwimmen an einen Badesee. Dort alberten die Jugendlichen – so auch der Kläger – zunächst eine Weile gemeinsam bei einem Sprungturm herum, spritzten sich gegenseitig nass und zogen sich beim Hinaufsteigen auf die Leiter aus Spaß gegenseitig zurück. Später ließ sich ein Teil der Gruppe auf einem Surfbrett sitzend zu einer Badeinsel in der Mitte des Sees treiben. Dabei schoben sich die Jugendlichen – darunter der Kläger – wechselseitig immer wieder vom Brett ins Wasser. Bei der Badeinsel handelte es sich um eine 30 bis maximal 50 cm aus dem Wasser ragende Holzkonstruktion. Der Kläger, beide Beklagte, der Nebenintervenient und noch zumindest zwei weitere Mitglieder der Gruppe stiegen auf die Insel, auf der sich auch noch andere, nicht zur Gruppe gehörige Personen befanden. Auf dieser Insel kam es wiederum zu freundschaftlichen Rangeleien zwischen dem Kläger, den beiden Beklagten sowie dem Nebenintervenienten und anderen Gruppenmitgliedern, wobei die Beteiligten danach trachteten, einander ins Wasser zu werfen bzw diese Versuche abzuwehren. Dabei fielen immer wieder einzelne Teilnehmer ins Wasser oder sprangen freiwillig hinein. Andere Badegäste schwammen nicht in der Nähe der Insel. Ungefähr 10 bis 15 Minuten nach Eintreffen bei der Badeinsel schubste der Nebenintervenient den Kläger in den See. Der Nebenintervenient selbst fiel nicht hinein. Praktisch zeitgleich versuchte der Zweitbeklagte auf der Badeinsel am Erstbeklagten vorbei zum Nebenintervenienten zu gelangen, als ihn der Erstbeklagte im Bereich der Schultern packte und ins Wasser zu werfen versuchte. Beim Abwehrversuch hielt sich der Zweitbeklagte am Erstbeklagten fest. In der Folge fielen beide ins Wasser, und zwar dort, wo gerade der Kläger am Auftauchen war. Der Erstbeklagte nahm den Kläger erst während des Sturzes wahr. Der Zweitbeklagte konnte kurz zuvor erkennen, dass der Kläger vom Nebenintervenienten in das Wasser geschubst wurde. Er versuchte noch während des Fallens seine Beine auseinanderzureißen, um dem Kläger auszuweichen. Ob nur der Erst- oder der Zweitbeklagte oder beide mit dem Kläger kollidierten, war nicht feststellbar. Der Kläger wurde jedenfalls bei dem Badeunfall schwer verletzt.

Der Kläger begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand den Ersatz von Pflege‑ und Fahrtkosten samt unfallkausalen Spesen von insgesamt 14.510 EUR und die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Unfallfolgen.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren mangels Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Beklagten übereinstimmend ab.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht nachträglich über Antrag des Klägers gemäß § 508 ZPO mit der Begründung für zulässig erklärt, dass die Richtigkeit der Argumentation des Klägers jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen sei, es habe im Vorfallszeitpunkt gar kein Spiel stattgefunden, weil er nicht durch eine Rangelei, an der er selbst beteiligt gewesen sei, sondern durch eine Rangelei zweier anderer Personen, welche ins Wasser gestürzt seien, verletzt worden sei.

Die von den Beklagten und dem Nebenintervenienten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Rechtsprechung sind Handlungen oder Unterlassungen im Zuge sportlicher Betätigung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, insoweit nicht rechtswidrig, als sie nicht das in der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern (RIS-Justiz RS0023039). Diese Rechtsprechung beruht auf dem Gedanken des Handelns auf eigene Gefahr. Wer sich einer ihm bekannten oder erkennbaren Gefahr aussetzt, wie etwa durch Teilnahme an gefährlichen Veranstaltungen, dem wird eine Selbstsicherung zugemutet. Ihm gegenüber wird die dem Gefährdenden sonst obliegende Sorgfaltspflicht aufgehoben oder eingeschränkt (RS0023400 [T10]). In den Fällen echten Handelns auf eigene Gefahr ist die Rechtswidrigkeit des Verhaltens aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen (RS0023400 [T9, T14]). Zu wessen Gunsten diese Interessenabwägung ausfällt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, sodass der Lösung dieser Frage im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RS0023400 [T22]).

1.2 Bereits in der Entscheidung 6 Ob 220/04b hat der Oberste Gerichtshof ein freundschaftliches Gerangel auf einem Badesteg als „sportähnliche“ Betätigung qualifiziert. Dabei komme es nicht darauf an, ob dem „Kampf irgendein sportlicher oder sozialer Wert beizumessen“ sei oder nur grober Unfug vorliege, weil die Frage nach dem erlaubten Sportrisiko bzw Spielrisiko nach anderen Kriterien zu entscheiden sei. Wesentliche Voraussetzungen für eine nach den Sonderregeln für die Sportausübung vorzunehmende Beurteilung eines Spiels seien das Einverständnis der Beteiligten über eine sportähnliche Betätigung mit einem gewissen Mindestmaß an Regeln und die Kenntnis der Beteiligten über das damit verbundene Risiko. In einem solchen Fall würden die Beteiligten selbst eine Gefahrenquelle schaffen und in voller Eigenverantwortlichkeit die Risken auf sich nehmen, die mit der Sportausübung bzw dem Spiel zwingend verbunden seien. Negativvoraussetzung sei ferner, dass nicht einen der Beteiligten eine besondere Sorgfaltspflicht zu Gunsten des anderen treffe.

1.3 Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat das Berufungsgericht – wie schon das Erstgericht – die Rangeleien auf der Badeinsel auch im Anlassfall als spielerisch‑sportliche Betätigung beurteilt. Der Kläger habe sich aktiv an diesen Rangeleien beteiligt, die zum Ziel gehabt hätten, sich zum Spaß jeweils wechselseitig in das Wasser zu schubsen, ohne sich dabei verletzen zu wollen. Das Risiko, bei einem Sturz ins Wasser verletzt zu werden (insbesondere bei einem Gruppengerangel), hätte den Jugendlichen bewusst sein müssen. Da weder den Nebenintervenienten noch die Beklagten eine besondere Sorgfaltspflicht gegenüber dem Kläger getroffen hätte, sei das Verhalten der Beklagten nicht rechtswidrig.

2.1 Dagegen führt der Kläger ins Treffen, dass immer vom Vorliegen einer gewissen Spieldauer ausgegangen werden müsse. Ein Einverständnis zur Teilnahme am Spiel oder Wettkampf könne sich nur auf die Dauer des Spiels oder Wettkampfs beziehen. Nach seiner Meinung fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu, wann ein Spiel beendet sei und allenfalls ein neues Spiel mit anderen Beteiligten und Regeln beginne.

2.2 Der Oberste Gerichtshof hat schon in der Entscheidung 6 Ob 76/05b im Zusammenhang mit auf einer Eislauffläche Fangen spielenden Freunden darauf abgestellt, dass der dortige Kläger zum Vorfallszeitpunkt seine Mitwirkung am Spiel bereits seit einigen Minuten beendet hatte und sich erkennbar einer anderen Tätigkeit, nämlich der Beobachtung des am anschließenden Platz betriebenen Eisstockspielens zugewendet hatte. Er hatte das Eislaufen unterbrochen und befand sich in einer Ruheposition am Rand der Eislauffläche. Im Weiteren prüfte der Oberste Gerichtshof die Frage, ob durch den Aufenthalt des Klägers im potenziellen Gefahrenbereich nach der Beendigung oder während der Unterbrechung der sportlichen Betätigung ein – die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Schädigers ausschließendes – Handeln auf eigene Gefahr zu bejahen sei.

2.3 Nach den Feststellungen liegt hier aber ein den Beklagten erkennbares Beenden oder Unterbrechen des Spiels auf der Badeinsel durch den Kläger nicht vor. Der Einwand des Klägers, er sei nach einer Zeitspanne ohne festgestellte Rangeleien völlig unvermittelt ins Wasser gestoßen worden, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt. Seine Prozessbehauptung, er habe sich vor dem Unfall noch einmal von der Badeinsel entfernt, um ein abgetriebenes Surfbrett zurückzuholen, konnte gerade nicht festgestellt werden.

2.4 Auch mit dem Hinweis auf allgemeine Beweislastregeln ist für den Kläger nichts zu gewinnen:

Die Behauptungslast und Beweislast für Tatumstände, aus denen ein die Haftung begründendes Verschulden des Schädigers an der Zufügung eines Schadens abgeleitet wird, trifft denjenigen, der seinen Anspruch darauf stützt, sodass sämtliche in diesem Punkt verbleibende Unklarheiten zu seinen Lasten gehen, wobei dies auch für den Beweis des Kausalzusammenhangs und der Rechtswidrigkeit des Verhaltens gilt (9 Ob 60/01s; RS0037797).

Daher geht die getroffene Negativfeststellung ebenso zu Lasten des Klägers, wie der Umstand, dass ein Ende des Gerangels auf der Badeinsel, bevor der Kläger vom Nebenintervenienten ins Wasser gestoßen wurde, eben nicht festgestellt wurde.

2.5 Ob ein Sport oder Spiel gegeneinander oder auch nur gemeinsam (nebeneinander) ausgeführt wird, macht keinen Unterschied. Der Verletzte muss bloß daran teilgenommen haben (vgl 7 Ob 157/06y).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten und der Nebenintervenient haben auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in ihren Revisionsbeantwortungen hingewiesen (RS0035979 [T16]). Für die Revisionsbeantwortung gebührt gemäß § 23 RATG nur der einfache Einheitssatz.

Stichworte