OGH 2Ob228/21z

OGH2Ob228/21z30.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende, den Senatspräsidenten Dr. Musger sowie die Hofräte Dr. Nowotny, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L*, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Maraszto Milisits Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 61.938,30 EUR sA über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 17.950,22 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. August 2021, GZ 15 R 89/21z‑29, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 5. Mai 2021, GZ 7 Cg 9/21a‑25, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00228.21Z.0530.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die im stattgebenden Umfang (43.988,08 EUR sA) in Rechtskraft erwachsenen Urteile der Vorinstanzen werden im Übrigen (17.950,22 EUR sA) aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 13. 11. 2015 ereignete sich ein Verkehrsunfall, den derbei der beklagten Versicherung haftpflichtversicherte Lenker verschuldete. Der Unfallgegner befindet sich aufgrund der erlittenen Verletzungen seit 18. 12. 2015 in einem niederösterreichischen Landespflegeheim.

[2] Der klagende Sozialhilfeträger gewährt dem Geschädigten Sozialhilfe nach dem Niederösterreichischen Sozialhilfegesetz 2000 (NÖ SHG) und trug die sich für den Zeitraum 18. 12. 2015 bis 30. 11. 2018 auf 166.154,43 EUR belaufenden Kosten der stationären Pflege.

[3] Die Beklagte ersetzte dem Sozialversicherungsträger die von ihm für diesen Zeitraum ausbezahlte Pension und das Pflegegeld (insgesamt 89.751,08 EUR).

[4] Der klagende Sozialhilfeträger erhielt vom Sovialversicherungsträger 71.800,86 EUR (80 % der Pension und des Pflegegeldes) und von der Beklagten – nach Anzeige des Anspruchsübergangs mit Schreiben vom 26. 1. 2016 – 32.415,27 EUR zur Abdeckung der Kosten der stationären Pflege.

[5] DerKläger begehrt mit seiner Klage, die beklagte Haftpflichtversicherung zur Zahlung der noch offenen Kosten der Anstaltspflege in Höhe von 61.938,30 EUR sA zu verpflichten. Die Ansprüche des zu betreuenden Geschädigten seien gemäß § 42 NÖ SHG auf ihn übergegangen. Aufgrund des Einbehalts des Sozialversicherungsträgers nach § 13 Abs 1 BPGG bzw § 324 Abs 3 ASVG sei der restliche Aufwand nicht zur Gänze abgedeckt. Dies solle jedoch den Schädiger nicht entlasten. Weshalb die Beklagte dem Sozialversicherungsträger auch die dem Geschädigten verbleibenden Beträge (das „Taschengeld“) ersetze, sei irrelevant. Dem Kläger stehe überdies nach der Rechtsprechung zur Schadensverlagerung und zur Drittschadensliquidation ein eigener Schadenersatzanspruch zu.

[6] Die Beklagte wendet – ihren Vorteilsanrechnungseinwand zog sie letztlich zurück – ein, gemäß § 42 NÖ SHG könnten nur noch vorhandene Rechtsansprüche des Hilfeempfängers gegen Dritte auf den Träger der Sozialhilfe übergehen. Da die Beklagte sowohl die Pension als auch das Pflegegeld bereits an den Sozialversicherungsträger zur Gänze ersetzt habe, stünden dem Kläger keine darüber hinausgehenden Ansprüche zu. Sie könne nicht im Ausmaß des vom Sozialversicherungsträger einbehaltenen „Taschengeldes“ zu einer doppelten Zahlung verhalten werden. Soweit der Kläger eigene Schadenersatzansprüche geltend mache, sei die Beklagte nicht passiv legitimiert.

[7] Das Erstgericht gab der Klage (im zweiten Rechtsgang) im Umfang von 43.988,08 EUR sA statt und wies das Zahlungsmehrbegehren ab. Soweit der Sozialversicherungsträger Leistungen zu erbringen habe (hier Pension und Pflegegeld: 89.751,08 EUR), sei dieser Ersatzanspruch bereits zum Unfallzeitpunkt auf diesen gemäß § 332 Abs 1 ASVG übergegangen. Diesen Betrag habe die Beklagte dem Sozialversicherungsträger bereits ersetzt, sodass insoweit der Geschädigte keinen Anspruch mehr habe, der gemäß § 42 Abs 1 NÖ SHG auf den Kläger übergehen könne. Dieser habe daher nur einen Anspruch im Umfang der Differenz zwischen dem Gesamtschaden (166.154,43 EUR) und den Leistungen des Sozialversicherungsträgers (89.751,08 EUR). Abzüglich der bereits geleisteten Teilzahlung (32.450,27 EUR), verbleibe ein restlicher Anspruch über 43.988,08 EUR.

[8] Das Berufungsgericht gab einer Berufung des Klägers nicht Folge. Im Umfang der vom Sozialversicherungsträger geleisteten Zahlungen verbleibe dem Geschädigten kein Schadenersatzanspruch, der auf den Kläger gemäß § 42 Abs 1 NÖ SHG übergehen könne. Dass der Kläger von diesem Betrag nur 80 % erhalte und 20 % beim Geschädigten als „Taschengeld“ verblieben, ändere nichts daran, dass „100 % der vom Sozialversicherungsträger geleisteten Pension und des Pflegegeldes auf diesen übergegangen“ seien. Eine Entlastung des Schädigers sei darin nicht zu erblicken, habe dieser doch im Regressweg ohnehin 100 % der Pension und des Pflegegeldes beglichen. Soweit der Kläger nicht den Ersatz des dem Verletzten entstandenen, im Wege der Legalzession auf ihn übergegangenen Schadens begehre, mache er einen eigenen, bloß mittelbaren und somit nicht ersatzfähigen Schaden geltend. Das Berufungsgericht ließ – über Abänderungsantrag des Klägers – die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, ob der Sozialhilfeträger den Teil des Schadens (das dem Geschädigten zu verbleibende Taschengeld in Höhe von 20 % seiner Pension bzw seines Pflegegeldes) selbst zu tragen habe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[9] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er eine gänzliche Stattgebung seiner Klage anstrebt.

[10] Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, und im Sinn eines im primär gestellten Abänderungsantrag enthaltenen Antrags auf Aufhebung (2 Ob 119/21w) auch berechtigt.

[12] Der Kläger argumentiert zusammengefasst, die Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG trete nur insoweit ein, als der Sozialversicherungsträger aufgrund sozialversicherungsrechtlicher Normen Leistungen zu erbringen habe, die auch durch den Schadenersatzanspruch des geschädigten Versicherten auszugleichen seien. Dies treffe jedoch nicht auf das dem Versicherten gemäß § 324 Abs 3 ASVG gewährte „Taschengeld“ zu. Insoweit könne daher gemäß § 42 NÖ SHG eine Legalzession zu Gunsten des Klägers eintreten. Überdies seien die Leistungsansprüche „Pension“ und „Pflegeaufwand des Sozialhilfeträgers“ nicht (sachlich) kongruent, sodass durch die Zahlung der einem Verdienstausfall entgegenwirkenden Pension nicht auch sonstige Ansprüche des Geschädigten im Zusammenhang mit seiner Pflege abgegolten würden. Dass der Schädiger dem Sozialversicherungsträger die Pensionsleistung zur Gänze ersetzt habe, sei daher für den Kläger irrelevant. Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht führe verfehlt dazu, dass der Kläger im Ausmaß des dem Geschädigten verbleibenden Taschengeldes über keinen Ersatzanspruch verfüge. Die bloß das interne Verhältnis zwischen Sozialhilfe- und Sozialversicherungsträger betreffende Regelung des § 324 Abs 3 ASVG dürfe nicht zu einer – sonst verfassungsrechtlich bedenklichen – Entlastung des Schädigers zum Nachteil des Sozialhilfeträgers führen und in den Schadenersatzanspruch der jeweiligen Sozialhilfegesetze eingreifen.

Dazu hat der erkennende Fachsenat erwogen:

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Gemäß § 332 Abs 1 ASVG – sowie dem im Zusammenhang mit Pflegegeld analogen § 16 BPGG (vgl 2 Ob 67/20x Rz 21; Auer-Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 332 ASVG Rz 1) – geht der Anspruch des Verletzten gegen den Schädiger nach dem Grundsatz der kongruenten Deckung insoweit auf den Sozialversicherungsträger über, als dieser an den Verletzten Leistungen zu erbringen hat (RS0030708). Die Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers verfolgt einerseits den Zweck, eine doppelte Befriedigung des Geschädigten (durch Kumulation der Leistungen), andererseits aber auch eine Entlastung des Schädigers (durch Anrechnung der Versicherungsleistung als Vorteil) zu verhindern (RS0085212; RS0122868; RS0085230). Aus diesem Grund kann die Legalzession nur solche Ansprüche erfassen, die der Deckung eines Schadens dienen, den auch die Sozialversicherungsleistung abdecken soll. Leistungen, die der Sozialversicherungsträger auch unabhängig vom schädigenden Ereignis zu erbringen hätte, mangelt es daher von vornherein an Kongruenz mit dem Schadenersatzanspruch des Geschädigten (2 Ob 67/20x Rz 23).

[14] Für die Beurteilung ob und inwieweit zivilrechtliche Ersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger übergehen, sind folglich auch nicht der Gesamtbetrag der zivilrechtlichen Ansprüche und der Gesamtwert der Sozialversicherungsleistung einander gegenüberzustellen. Vielmehr hat ein Vergleich der einzelnen zivilrechtlichen Ansprüche mit denjenigen einzelnen Sozialversicherungsleistungen zu erfolgen, die im parallelen Zeitraum das selbe Schadensabdeckungsziel verfolgen (Neumayr in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm5 § 332 ASVG Rz 16). Es gibt keinen einheitlichen Deckungsfonds, sondern es gilt der Grundsatz der zeitlichen und sachlichen Kongruenz (RS0085405).

[15] Die Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG erfolgt schon mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses (in der „juristischen Sekunde“), auch wenn in diesem Zeitpunkt regelmäßig noch ungewiss ist, in welcher Höhe der Schädiger zur Leistung von Schadenersatz verpflichtet ist und die Voraussetzungen für die Zahlungspflicht des Sozialversicherungsträgers im Einzelnen noch nicht feststehen (RS0045190 [T5]). Der Rechtsübergang konkretisiert sich während des gesamten künftigen Schadensverlaufs dann der Höhe nach im Umfang des jeweiligen Ersatzanspruchs und des jeweiligen Sozialversicherungsanspruchs (RS0045190 [T6]).

[16] 2. Davon zu unterscheiden ist die in § 42 NÖ SHG angeordnete Legalzession zu Gunsten des Sozialhilfeträgers.

2.1 Die einschlägige Bestimmung lautet:

(1) Rechtsansprüche des Hilfeempfängers gegen einen Dritten, die der Deckung jenes Bedarfs dienen, der die Leistung der Sozialhilfe, auf die ein Rechtsanspruch besteht, erforderlich macht, gehen für den Zeitraum, in dem die Sozialhilfe geleistet wurde, bis zur Höhe der aufgewendeten Kosten auf den Träger der Sozialhilfe über, sobald dieser dem Dritten hievon schriftlich Anzeige erstattet hat.

(2) Abs. 1 gilt auch für Schadenersatzansprüche, die dem Empfänger der Sozialhilfeleistungen aufgrund eines Unfalls oder eines sonstigen Ereignisses zustehen, soweit es sich nicht um Schmerzengeld handelt.

(3) Für die Ersatzansprüche gegen die Träger der Sozialversicherung gelten die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen über die Beziehungen der Versicherungsträger zu den Sozialhilfeträgern einschließlich der darauf bezugnehmenden Verfahrensvorschriften.

[17] 2.2 Der Anspruchsübergang vollzieht sich nach dem klaren Wortlaut nicht bereits mit dem Schadenseintritt, sondern erst mit der schriftlichen Anzeige und kann neben den Ansprüchen wegen vermehrter Bedürfnisse auch allfällige Verdienstentgangsansprüche umfassen, soweit die Sozialhilfeleistung auch der Abdeckung dieses Bedarfs dient (vgl zum Salzburger SHG: RS0072876 [T2]).

[18] 3. Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits zu 2 Ob 69/06w mit der Konkurrenz zwischen derebenfalls einen vergleichbaren Forderungsübergang anordnenden Bestimmung des § 44 Abs 1 Salzburger SHG und § 332 Abs 1 ASVG (iVm § 16 Abs 1 BPGG) zu befassen und festgehalten, dass nur ein unter Berücksichtigung der schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses erfolgten Legalzession gemäß § 332 Abs 1 ASVG zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers verbliebener restlicher Schadenersatzanspruch des geschädigten Sozialhilfeempfängers mit der schriftlichen Anzeige durch den Sozialhilfeträger auf diesen übergeht (vgl RS0120838).

[19] An dieser Rechtsprechung wurde auch zu 2 Ob 207/09v festgehalten.

[20] 4. Die grundsätzliche Richtigkeit dieser Auffassung zieht der Kläger nicht in Zweifel, vermeint aber, das dem Geschädigten aus der Rente bzw Pension gemäß § 324 Abs 3 ASVG verbleibenden „Taschengeld“ sei keine Leistung, die der Sozialversicherungsträger aufgrund der einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Normen (Pension, Rente) zu erbringen habe. Ihr stehe (daher) kein kongruenter Schadenersatzanspruch gegenüber, sodass insoweit keine Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers nach § 332 Abs 1 ASVG, sondern zu ihren Gunsten nach § 42 Abs 1 und Abs 2 NÖ SHG in Betracht komme.

[21] In der zu 2 Ob 69/09w ergangenen Entscheidung war diese Frage nicht zu klären, weil die dort Beklagte lediglich die Berücksichtigung der vom Sozialversicherungsträger geleisteten Pensions- und Pflegegeldleistungen im Ausmaß von 80 % als anspruchsmindernd anstrebte, während die hier Beklagte auf dem Standpunkt steht, es seien die von ihr geleisteten Pensions- und Pflegegeldzahlungen in voller Höhe zu berücksichtigen.

[22] 4.1 Gemäß § 324 Abs 3 ASVGgeht dann, wenn ein Renten- bzw Pensionsberechtigter (ua) auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einer der dort näher bezeichneten Einrichtungen verpflegt wird, für die Zeit dieser Pflege der Anspruch auf Rente bzw Pension (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 % dieses Anspruchs auf den Träger der Sozialhilfe über. Der Anspruch auf die restlichen 20 % verbleibt dagegen im Sinne einer „Pensionsteilung“ der den Anspruch innehabenden Person, ohne Zweckbindung und damit als eine Art „Taschengeld“. Die Bestimmung statuiert eine Legalzession für monatliche Geldleistungsansprüche zugunsten jenes Trägers, auf dessen Kosten der betreffende Pensions- oder Rentenberechtigte in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung „verpflegt“ wird. Der Bundesgesetzgeber wollte damit den Trägern der Sozialhilfe auf Landesebene einen unmittelbaren Zugriff auf bestimmte Geldleistungen eröffnen, die der Deckung eines Bedarfs dienen, der ohnedies in natura in einer stationären Einrichtung gedeckt wird. Der Anspruchsübergang nach § 324 Abs 3 ASVG erfolgt unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Es ist keine Anzeige oder eine sonstige Erklärung eines der beteiligten Träger erforderlich. Er findet grundsätzlich für jeden Monat, in dem die Unterbringung bzw Pflege erfolgt, statt, weil die Leistung pro Kalendermonat gebührt und betrifft zeitlich kongruente Leistungen, also solche, die von einem Träger für einen Zeitraum erbracht wurden, für den der Leistungsbezieher einen Anspruch auf Renten- oder Pensionsleistungen hatte (2 Ob 72/19f mwN).

[23] 4.2 Die von § 324 Abs 3 ASVG angeordnete, Pensions- und Rentenansprüche des Geschädigten gegen den Sozialversicherungsträger betreffende Legalzession zu Gunsten des Sozialhilfeträgers dient daher dazu, den Trägern der Sozialhilfe auf Landesebene einen unmittelbaren Zugriff auf einen Teil der dem Versicherten zustehenden Leistungen zu eröffnen, weil dessen Bedarf ohnehin durch die Anstaltspflege in natura gedeckt wird. In der Sache handelt es sich um eine Absicherung der Subsidiarität der Sozialhilfe/Mindestsicherung bereits auf bundesgesetzlicher Ebene (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil,Der SV-Komm § 324 ASVG Rz 12). Als „Taschengeld“ wird in diesem Zusammenhang lediglich der dem Versicherten verbleibende Teil der Pensions- oder Rentenleistung bezeichnet. Die zu Gunsten des Sozialhilfeträgers angeordnete Legalzession im Umfang von lediglich 80 % ändert aber an der Gewährung der – dem Versicherten verbleibenden – Renten- oder Pensionsleistung aufgrund der „einschlägigen sozialversicherungsrechtlichen Normen“, also an der Qualifikation als Renten- bzw Pensionsleistung, nichts.

[24] Auch in diesem Umfang kommt daher bei auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführenden Pensions- bzw Rentenleistungen ein Übergang der mit diesen kongruenten Schadenersatzansprüche (zB Verdienstentgangsanspruch bei Gewährung einer Invaliditätspension oder Versehrtenrente [RS0031026 [T1, T2], nicht aber einer Alterspension: Auer‑Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV‑Komm § 332 ASVG Rz 79]) in Betracht. Dass sich der Geschädigte die Sozialversicherungsleistung (Pension, Rente) im Ausmaß von 20 % als „Taschengeld“ behalten darf, ändert weder etwas an der Kongruenzbeurteilung im Verhältnis Schadenersatzanspruch des Geschädigten und Sozialversicherungsleistung, noch kommt es dadurch zu einer Entlastung des Schädigers im Zusammenhang mit dem Ersatz der Pflegekosten. Die Legalzession nach § 332 Abs 1 ASVG zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers auch in diesem Umfang betrifft lediglich kongruente Schadenersatzansprüche wegen Verdienstentgangs (vgl aber Punkt 5.).

[25] Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten:

[26] Auch das dem geschädigten Versicherten gemäß § 324 Abs 3 ASVG verbleibende „Taschengeld“ ist als Teil der Pensions- bzw Rentenleistung zu qualifizieren. Ein allfälliger Schadenersatzanspruch wegen Verdienstentgangs geht daher auch in diesem Umfang bei Erbringung einer sachlich und zeitlich kongruenten Leistung (zB: Versehrtenrente, Invaliditätspension) auf den Sozialversicherungsträger über.

[27] 4.3 Weshalb im Rahmen des § 13 Abs 1 BPGG, der dem Vorbild des § 324 Abs 3 ASVG folgend (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 324 ASVG Rz 11) im Zusammenhang mit dem Pflegegeldanspruch eine Legalzession zu Gunsten des Sozialhilfeträgers und den Verbleib eines Teils des Pflegegeldes als Taschengeld beim Versicherten anordnet, anderes gelten sollte, legt die Revision, die in diesem Zusammenhang lediglich mit § 324 Abs 3 ASVG argumentiert, nicht dar. Überdies hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Legalzession des § 16 BPGG auch das „Taschengeld“ erfasst (2 Ob 230/18i III.1.3), sodass keine (zeitlich nachgelagerte) Zession zu Gunsten des Sozialhilfeträgers mehr in Betracht kommt.

[28] 5. Im Zusammenhang mit der vom Kläger auch thematisierten mangelnden sachlichen Kongruenz der Leistungsansprüche „Pension“ und „Pflegeaufwand des Sozialhilfeträgers“ ist Folgendes festzuhalten.

[29] 5.1 Die Legalzession nach § 324 Abs 3 ASVG setzt voraus, dass ein Renten- oder Pensionsberechtigter auf Kosten eines der in Betracht kommenden Sozialhilfeträger untergebracht ist und dort seinen Unterhalt (weitestgehend) in natura erhält. Diese funktionale Sicht kommt auch – und hier besteht ein Unterschied zum Pflegegeld (arg: § 13 Abs 1 BPGG: „gepflegt“) – in der Formulierung „verpflegt“ zum Ausdruck. Im Kontext mit einer Unterhaltsdeckung in natura ist dies im Sinn einer Zurverfügungstellung von „Hotelleistungen“ zu verstehen, die sowohl Unterkunft und Verköstigung als auch die damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen wie Wohnraum- oder Wäschereinigung umfassen (Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 324 ASVG Rz 15 f).

[30] 5.2 Die sachliche Rechtfertigung der mit der Höhe der „Verpflegskosten“ begrenzten (Pfeil aaO Rz 19) Legalzession nach § 324 Abs 3 ASVG ergibt sich daher daraus, dass der Sozialhilfeträger nicht nur die Pflege – insoweit greift die Legalzession nach § 13 Abs 1 BPGG – bereitstellt, sondern darüber hinaus auch weitere („Hotel“)Leistungen erbringt, die der Abdeckung jenes Bedarfs dienen, der auch sonst aus dem Einkommen zu bestreiten wäre. Ob dieses Einkommen aus einer Alterspension oder einer einen Verdienstentgang (teilweise) substituierenden Sozialversicherungsleistung (zB: Invaliditätspension oder Versehrtenrente) herrührt, ist folglich im Rahmen der Zession nach § 324 Abs 3 ASVG nicht entscheidend. Der Sozialhilfeträger erhält zur Deckung der ihm entstandenen, nicht nur die Pflege betreffenden „Verpflegskosten“ die auf ihn gemäß § 324 Abs 3 ASVG in Höhe von 80 % übergegangene Pensionsleistung.

[31] Daraus folgt aber, dass eine auf ein schädigendes Ereignis zurückzuführende, grundsätzlich einen Verdienstausfall (teilweise) ausgleichende Pensionsleistung auch dazu dient, jene, von der Pflege verschiedenen Bedürfnisse abzudecken, die der Sozialhilfeträger im Rahmen der Betreuung in der Einrichtung befriedigt. Ihre sachliche Kongruenz mit dem aus der Unterbringung resultierenden Schadenersatzanspruch in Höhe der „Verpflegskosten“ ist daher zu bejahen.

[32] Weshalb darin ein verfassungsrechtlich bedenklicher bundesgesetzlicher Eingriff in einen Schadenersatzanspruch der jeweiligen Sozialhilfegesetze (der Länder) zu erblicken sein soll, ist bereits deshalb nicht nachvollziehbar, weil § 42 Abs 1 NÖ SHG keinen Schadersatzanspruch normiert, sondern einen solchen im Rahmen der angeordneten Legalzession vielmehr voraussetzt.

[33] 6. Wie bereits ausgeführt (Punkt 1.) mangelt es aber Leistungen, die der Sozialversicherungsträger unabhängig von einem schädigenden Ereignis zu erbringen hätte, von vornherein an Kongruenz mit einem Schadenersatzanspruch des Geschädigten.

[34] Nähere Feststellungen zur Art der Pensionsleistungen haben die Vorinstanzen nicht getroffen. Zwar gehen die Parteien offenbar von einer unfallskausalen Pensionsleistung aus, was aber in Widerspruch zum aktenkundigen Alter des am 27. 7. 1946 geborenen Geschädigten (./A) sowie der Gewährung einer Alterspension (./D) steht. Eine Außerstreitstellung ist aber unbeachtlich, wenn sich die Unrichtigkeit der zugestandenen Tatsache aufgrund des Akteninhalts eindeutig ergibt (RS0107489). Um den Umfang der Zession nach § 332 Abs 1 ASVG bestimmen zu können, wird daher – zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung (RS0037300 [T21]) – zunächst die Art der Pensionsleistung des Sozialversicherungsträgers zu erörtern sein. Eine Alterspension ist keinesfalls als zum Schadenersatzanspruch des Geschädigten kongruente Sozialversicherungsleistung zu qualifizieren, sodass insoweit ein Anspruchsübergang nach § 332 Abs 1 ASVG in Höhe der Pension (samt „Taschengeld“) von vornherein nicht in Betracht kommt.

[35] 7. Auch § 13 Abs 1 BPGG wird entsprechend zu berücksichtigen und zu erörtern sein, der den Anspruchsübergang zu Gunsten des Sozialhilfeträgers im Ausmaß von 80 % des Pflegegeldes und die Gewährung eines Taschengeldes in Höhe von 10 % des Pflegegeldes der Stufe 3 – und nicht wie von den Vorinstanzen in Abweichung vom Bescheid vom 18. 1. 2016 (./E) angenommen in Höhe von 20 % des gewährten Pflegegeldes – an den Geschädigten vorsieht. Im darüber hinausgehenden Ausmaß ruht der Anspruch auf Pflegegeld („Differenzruhen“), sodass insoweit mangels Leistung auch keine Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers nach § 16 BPGG eintreten kann (2 Ob 230/18i III.1.3.).

[36] 8. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zusammengefasst Folgendes:

[37] Mangels sachlicher Kongruenz scheidet bei Vorliegen einer Alterspension ein Übergang des Schadenersatzanspruchs des Geschädigten gemäß § 332 Abs 1 ASVG in Höhe der geleisteten Pension (inklusive „Taschengeld“) jedenfalls aus. Lediglich im Umfang der vom Sozialversicherungsträger im Rahmen seiner gesetzlichen Leistungspflicht (RS0035237; RS0124196) erbrachten Pflegegeldleistungen (80 % des Pflegegeldes zuzüglich Taschengeld in Höhe von 10 % des Pflegegeldes der Stufe 3) kommt eine Legalzession zu Gunsten des Sozialversicherungsträgers gemäß § 16 BPGG in Betracht.

[38] 9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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