OGH 4Ob38/22z

OGH4Ob38/22z24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Unterhaltssache der am * 2003 geborenen M* D*, über den Revisionsrekurs des Vaters R* K*, vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in Mödling, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. September 2021, GZ 43 R 240/21v‑49, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 9. April 2021, GZ 1 Pu 106/20t‑41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00038.22Z.0524.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht verpflichtete den Vater – unter Abweisung von Mehrbegehren – zu monatlichen Unterhaltszahlungen für seine Tochter wie folgt:

a) vom 1. 1. 2018 bis 30. 9. 2018 je 735 EUR

b) vom 1. 10. 2018 bis 31. 12. 2018 je 807 EUR

c) vom 1. 1. 2019 bis 31. 12. 2019 je 510 EUR

d) ab 1. 1. 2020 je 600 EUR

 

[2] Diesen Beträgen liegen entsprechende Entnahmen des Vaters – er ist Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH – vom Firmenkonto zugrunde.

[3] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters zu a), b) und d), insoweit mehr als 466,20 EUR, mehr als 510 EUR und mehr als 480 EUR an monatlichem Unterhalt zugesprochen wurde, nicht Folge und ließ nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs zu, da allenfalls zu Unrecht davon ausgegangen worden sei, dass auf dem Geschäftskonto nicht auch einem Unternehmen nicht zurechenbares privates Geld erliegen könne.

[4] Der Vater macht in seinem Revisionsrekurs – wie schon im Rekurs – neuerlich geltend, er tätige von seinem Geschäftskonto auch private Zahlungen, so das 2018 (durch Entnahme von diesem Konto) angeschaffte Motorrad. Darin liege keine Gewinnentnahme, sondern die Verwendung von Erspartem aus einer Zeit vor den hier relevanten Unterhaltszeiträumen. Die Vorinstanzen hätten den Sachverhalt daher unrichtig rechtlich beurteilt und in der nicht erfolgten Einvernahme des Vaters zu dieser Thematik bzw in der nicht erfolgten Auseinandersetzung des Rekursgerichts mit der entsprechenden Verfahrensrüge im Rekurs liege ein wesentlicher Verfahrensmangel.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem Zulassungsausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig.

[6] 1. Das Rekursgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Vater in seinen Stellungnahmen zum Sachverständigengutachten nicht vorgebracht habe, dass es sich beim Konto, von dem das Motorrad finanziert worden sei, um ein Privatkonto handle. Dieses Vorbringen werde erstmals im Rekurs erstattet, obwohl das betreffende Konto im Sachverständigengutachten behandelt wurde. Fragen der Auslegung des Parteienvorbringens bilden aber im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage. Ob im Hinblick auf den Inhalt der Parteienbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RS0042828).

[7] 2. Im Übrigen wäre für den Rechtsstandpunkt des Revisionsrekurswerbers auch nichts zu gewinnen, wenn man davon ausginge, dass es sich bei dem gegenständlichen Konto um ein Privatkonto handelte:

[8] Tätigt der Unterhaltspflichtige höhere Privatentnahmen als dem Reingewinn entspricht, so greift er insofern den Stamm seines Vermögens an. Sieht sich der Unterhaltspflichtige zu einer solchen Vorgangsweise zur Befriedigung eigener Bedürfnisse veranlasst – und möglicherweise ohne Gefährdung der Existenzgrundlage(= des Unternehmens) sogar berechtigt –, so liegt eben darin eine Gestaltung der Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, an denen die angemessenen Bedürfnisse des Kindes zu messen sind. Privatentnahmen bilden daher die Unterhaltsbemessungsgrundlage und zwar sogar dann, wenn der Unterhaltspflichtige mit einem bilanzmäßigen Verlust abschließt (RS0047382). Das bedeutet, dass bei einem selbstständig erwerbstätigen Unterhaltsschuldner die Privatentnahmen als Unterhaltsbemessungsgrundlage heranzuziehen sind, sofern diese höher sind als der sonst für die Berechnung maßgebende Reingewinn, da die tatsächliche Verfügbarkeit entscheidet (vgl RS0011596). Werden Privatentnahmen der privaten Lebensführung zugeführt, sind sie der Unterhaltsbemessung zugrunde zu legen. Dies gilt nur dann nicht, wenn sie der Sicherung und Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz dienen oder sonstige betrieblich veranlasste Aufwendungen bilden (2 Ob 1/13f mwN). Ob und in welchem Ausmaß Privatentnahmen zu berücksichtigen sind, ist im Allgemeinen keine der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof zugängliche erhebliche Rechtsfrage (RS0047382 [T14]).

[9] 3. Wenn das Rekursgericht die gesamten Privatentnahmen des Vaters der Unterhaltsbemessung zugrunde gelegt hat, liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, stehen doch Selbstständigen bei der Darstellung ihres Einkommens deutlich mehr steuerliche und betriebswirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung als unselbstständig Erwerbstätigen und ist bei der Unterhaltsbemessung die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit unter Ausklammerung solcher Gestaltungsmöglichkeiten zu ermitteln (Schwimann/ Kolmasch, Unterhaltsrecht9 11). So gilt allgemein der Grundsatz, dass das Vermögen dann in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist, wenn und soweit der Unterhaltspflichtige dessen Substanz angreift, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken (RS0122836 [T4]; RS0117850 [T1]; 3 Ob 43/15t). Wenn der Unterhaltspflichtige selbst sein Vermögen dazu verwendet, um damit die Kosten der von ihm gewählten Lebensführung zu decken, dient dieses Maß der Inanspruchnahme (auch) als Grundlage für die Bemessung des Unterhaltsanspruchs (6 Ob 49/08m).

[10] 4. Nach der Rechtsprechung schlägt selbst die kostenlose Überlassung eines „Firmen-PKW“, der auch privat genutzt werden kann, bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu Buche (1 Ob 143/02i). Wenn daher die Vorinstanzen die Privatentnahme des Vaters zwecks Anschaffung eines (offenbar privaten Zwecken dienenden) Motorrads in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezog, ist dies nicht zu beanstanden. Der Einwand des Vaters, der dieser Anschaffung zugrunde liegende Betrag rühre aus einer früheren Erwerbsperiode her, ist unbeachtlich, weil die tatsächlichen Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen im jeweiligen (der Unterhaltsbemessung zugrunde liegenden) Zeitraum maßgebend sind (6 Ob 112/11f mwN).

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