OGH 4Ob208/21y

OGH4Ob208/21y24.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* B*, vertreten durch Mag. Daniel Wolff, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei *BANK *, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 30. September 2021, GZ 2 R 233/21m‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00208.21Y.0524.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger nahm 2004 bei der beklagten Bank einen endfälligen Fremdwährungskredit in Schweizer Franken im Gegenwert von 170.000 EUR auf, um die Renovierung seines Hauses zu finanzieren. Vor Unterzeichnung des Kreditvertrags wiesen Mitarbeiter der Beklagten auf das Wechselkursrisiko hin, weil der Kläger kein Einkommen in Schweizer Franken hatte.

[2] Der Kläger erhielt den Kreditbetrag in Euro ausbezahlt. Er erhielt regelmäßig Kontoauszüge und jährliche Abrechnungen, die er nicht beanstandete. 2015, 2017 und 2018 wies die Beklagte den Kläger in Beratungsgesprächen auf die ungünstige Kursentwicklung hin, wobei der Kläger eine Konvertierung jeweils ablehnte.

[3] Der Kläger begehrte die Feststellung, dass der Kreditvertrag nicht rechtswirksam zustande gekommen sei; hilfsweise die Aufhebung des Kreditvertrags. Der Vertrag sehe für die Umrechung der Kreditsumme den Briefkurs, für die Umrechnung der Raten‑, Zins‑ und Tilgungszahlungen sowie Konvertierungen den Geldkurs vor. Der Kläger trage somit die gesamte Wechselkursspanne, was gröblich benachteiligend sei. Der anzuwendende Wechselkurs sei außerdem nicht bestimmt und setze den Kläger der Willkür der Beklagten aus. Der Kläger habe nie Schweizer Franken erhalten und auch die Pauschalraten seien in Euro definiert worden. Tatsächlich liege daher Dissens zur Höhe des Kreditbetrags vor.

[4] Die Beklagte wendete ein, dass der Vertrag dank ausreichender Aufklärung über Risiken und Chancen von Fremdwährungsfinanzierung wirksam zustande gekommen sei. Der Kläger habe die Auszahlungswährung frei wählen können. Selbst im Fall der Unwirksamkeit der Klauseln wäre die Klage abzuweisen, weil sie nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrags führen würden. Außerdem habe der Kläger den ihm zugesandten Kontoauszügen nie widersprochen, sodass er alle Kurse anerkannt habe und seine spätere Berufung auf die Unwirksamkeit von Klauseln rechtsmissbräuchlich sei.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab, weil die Bank aufgrund der Verkehrssitte die Kurse durch Devisenfixing selbst festsetzen dürfe. Es stehe dem Kunden frei, den angebotenen Kurs abzulehnen und die erforderlichen Geldwechselverträge zu günstigeren Konditionen mit Dritten abzuschließen, etwa die für die Rückzahlung erforderlichen Schweizer Franken bei anderen Banken zu besorgen. Die Vertragsbestimmungen seien daher weder intransparent, gröblich benachteiligend oder sittenwidrig.

[6] Die Revision ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Im vorliegenden Fall war der Wille beider Parteien auf einen Fremdwährungskreditvertrag in Schweizer Franken gerichtet. Ein solcher liegt vor, wenn der Kredit ganz oder teilweise in einer anderen Währung als in Euro gewährt wird. Dabei kommt es aber nicht darauf an, ob der Kredit in einer anderen Währung als Euro ausbezahlt wird. Maßgebend ist allein, dass die fremde Währung die Grundlage für die Rückzahlungsverpflichtung des Kreditnehmers bildet (7 Ob 48/17k [Pkt 1.1]; 1 Ob 190/16x [Pkt 4.1] mwH; 1 Ob 163/15z [Pkt II.1] mwH).

[8] Auch die Rückzahlung kann je nach Vertragsgestaltung daher entweder in Euro (unechte Fremdwährungsschuld) oder in fremder Währung geschuldet sein (echte Fremdwährungsschuld) (vgl 4 Ob 3/22b; vgl auch RS0061067; Perner in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 988 Rz 10; vgl auch Dehn in Apathy/Iro/Koziol, Österreichisches Bankvertragsrecht2 [2007] A. Fremdwährungskredit Rz 2/203). Welche Funktion welche Währung bei einem konkreten Kreditvertrag hat, hängt also von der Vereinbarung der Vertragsparteien im Einzelfall ab.

[9] 2. Anders als in dem der Entscheidung 6 Ob 51/21z zugrunde liegenden Fall erhielt der Kläger im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Vorinstanzen seit 2004, sohin 18 Jahre lang, regelmäßig Kontoauszüge und jährliche Abrechnungen, ohne diese jemals zu beanstanden. Außerdem wurde der Kläger in den Jahren 2015, 2017, 2018 und 2019 mehrfach auf die Kursentwicklung hingewiesen, wobei der Kläger jedoch eine Konvertierung seines Kredits ablehnte.

[10] Im vorliegenden Fall kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Wille des Klägers darauf gerichtet war, das Wechselkursrisiko zu Schweizer Franken zu tragen. Der Kläger wünschte von vornherein einen CHF‑Kredit, wurde über das damit verbundene Risiko belehrt und lehnte in der Folge trotz mehrfacher Hinweise auf die Wechselkursentwicklung eine Konvertierung seines Kredits ab. Ebenso kann keinem Zweifel unterliegen, dass der Kläger die von der Beklagten zugrundegelegten Wechselkurse kannte und dennoch eine Fortsetzung des Kreditverhältnisses wünschte. Dies entsprach auch zweifellos seiner Interessenlage, wäre doch andernfalls eine sofortige Rückzahlung der zugezählten Kreditvaluta zuzüglich 4 % Zinsen (§ 1000 Abs 1 ABGB) erforderlich gewesen (6 Ob 51/21z Rz 56 ff).

[11] Die mit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von bereits in das Vollzugsstadium getretenen Dauerschuldverhältnissen verbundenen Schwierigkeiten (vgl Krejci in Rummel/Lukas, ABGB4 § 879 Rz 515) erfordern, dass ein Vertragspartner, der sich auf die Ungültigkeit eines Dauerschuldverhältnisses (hier: wegen angeblicher mangelnder Bestimmtheit) berufen möchte, seinen Vertragspartner zeitnah darüber aufklärt.

[12] Nach völlig herrschender Auffassung ist im Rahmen eines (vor‑)vertraglichen Schuldverhältnisses unter anderem über rechtliche Hindernisse, die einem gültigen Vertragsschluss entgegenstehen, aufzuklären (Koziol/Welser, Bürgerliches Recht I14 Rz 70 mwN). Dies gilt umso mehr dann, wenn die Berufung auf die Nichtigkeit einem völlig anderen Zweck dient als die Norm, deren Absicherung die Nichtigkeitssanktion bezweckt: Das Verbot der (willkürlichen) einseitigen Festsetzung des Entgelts soll den Vertragspartner vor den damit verbundenen Gefahren schützen, nicht aber ihm ermöglichen, sich von der Tragung eines von ihm bewusst und fehlerfrei übernommenen Risikos (hier: des Wechselkursrisikos) zu lösen.

[13] In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach in vergleichbaren Situationen ein „venire contra factum proprium“ (widersprüchliches Verhalten) bejaht (RS0128483). So wurde es als rechtsmissbräuchlich angesehen, rund 17 Jahre nach Erfüllung des Kaufvertrags, Jahre nach Abwicklung der zugrundeliegenden Versicherungsverträge und Feststellung, dass sich die Investitionen nicht wie gewünscht entwickelt haben, nun unter Berufung auf die Unterlassung einer entsprechenden Belehrung vom Kaufvertrag zurückzutreten (7 Ob 133/18m). Auch in weiteren Entscheidungen wurde ein Spätrücktritt bei Lebensversicherungen unter dem Aspekt des venire contra factum proprium geprüft (vgl 7 Ob 15/20m; 7 Ob 20/20x; vgl dazu auch Klausberger in Keiler/Klauser, VerbraucherR § 3 KSchG Rz 57).

[14] Dies lässt sich auf die Geltendmachung einer relativen Nichtigkeit wegen mangelnder Bestimmheit des Vertrags übertragen. Die Gegenauffassung würde es einem Kreditnehmer ermöglichen, seinen Vertragspartner jahrzehntelang über seinen Rechtsstandpunkt im Unklaren zu lassen und damit im Ergebnis auf dessen Rücken zu spekulieren (vgl dazu im Zusammenhang mit Anlegerschäden 6 Ob 28/12d; 9 Ob 81/17d; RS0120784 [T12]).

[15] Der Deutlichkeit halber ist zu betonen, dass diese Überlegungen ausschließlich den Einwand betreffen, es liege wegen mangelnder Bestimmtheit überhaupt kein Vertrag vor. Die Geltendmachung einer unrichtigen Berechnung einzelner Raten oder des aushaftenden Restbetrags ist davon nicht betroffen. Die allfällige Sittenwidrigkeit einer einzelnen Klausel hätte jedenfalls nicht die Ungültigkeit des gesamten Vertrags zur Folge (RS0016420). Allfällige Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Wechselkurses führen jedoch nicht zur Ungültigkeit des gesamten Vertrags wegen mangelnder Bestimmtheit. Insoweit ist vielmehr schon durch die zeitnahe Information des Kunden über den zugrundegelegten CHF‑Betrag ausreichende Bestimmtheit anzunehmen (vgl 9 Ob 66/21b). Hier lässt vielmehr das Gesamtverhalten des Klägers keinen anderen Schluss zu, als dass er das Vorliegen eines ausreichend bestimmten Kreditvertrags akzeptierte und diesen nicht nur eingehen, sondern auch jahrelang fortsetzen wollte. Der Einwand, dass überhaupt kein gültiger Vertrag vorliege, ist dem Kläger daher verschlossen. Dass die Beklagte die Umrechnung willkürlich vorgenommen hätte, wird vom Kläger auch gar nicht konkret behauptet.

[16] 3. Da danach im Anlassfall nicht von einer (Gesamt‑)Nichtigkeit des zwischen den Parteien abgeschlossenen Kreditvertrags auszugehen ist, die mangels Bestimmtheit der Kreditvaluta oder wegen Undurchführbarkeit des Vertrags zu begründen wäre, können die unionsrechtlichen Ausführungen des Klägers zur Frage der Schließung einer durch Wegfall einer intransparenten oder missbräuchlichen Vertragsklausel entstandenen Lücke durch das dispositive Recht (§ 907b Abs 1 ABGB), die der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 8 Ob 37/20d grundsätzlich bejaht hat, dahingestellt bleiben. Das Klagebegehren lässt sich aus all dem nicht ableiten.

[17] 4. Zusammenfassend zeigt die Revision des Klägers somit keine Rechtsfrage der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität auf, sodass sie spruchgemäß zurückzuweisen war.

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