OGH 9ObA151/21b

OGH9ObA151/21b19.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Schmied (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Martin Leitner ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Dr. Andreas Joklik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, und der Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei, Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 28.000 EUR) und Unterlassung (Streitwert: 21.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2021, GZ 8 Ra 73/21w‑38, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00151.21B.0519.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RS0042963). Nur wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat, liegt ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor (RS0040597 [T3, T4]; RS0043086). Davon ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Das Berufungsgericht hat sich mit den Argumenten in der Mängelrüge befasst, jedoch die rechtliche Relevanz der behaupteten Mangelhaftigkeit verneint.

[2] Wenn die Revision dem Berufungsgericht vorwirft, nicht vom festgestellten Sachverhalt auszugehen, gibt sie die Feststellungen des Erstgerichts nur verkürzt wieder. Dieses hat detailliert dargestellt, wie die Diensteinteilungen erfolgen und ist dabei gerade nicht davon ausgegangen, dass diese durch die Beklagte erfolgt.

[3] Der Kläger macht weiters geltend, dass das Berufungsgericht zu Unrecht einen Verstoß gegen das Neuerungsverbot angenommen habe. Allerdings behauptet er selbst nicht, ein entsprechendes Vorbringen schon in erster Instanz erstattet zu haben, sondern verweist nur darauf, dass diese Ausführungen seine in der Berufung erhobene Rechtsrüge illustrieren sollten. Ein Verfahrensmangel ist daher auch hier nicht zu erkennen.

[4] 2. Nach ständiger Rechtsprechung kann das Gericht dem Urteilsspruch eine dem Gesetz entsprechende, vom Begehren der Partei abweichende Fassung geben, wenn er sachlich nicht mehr oder etwas anderes enthält als das Begehren (RS0038852). Das Begehren ist dabei so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (RS0038852 [T19]); das Gericht hat daher ein nur versehentlich unrichtig formuliertes Klagebegehren richtig zu fassen und den Urteilsspruch an den sachlichen Inhalt des Klagebegehrens anzupassen (9 ObA 53/17k ua).

[5] Die Auslegung des Prozessvorbringens sowie des erhobenen Begehrens ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass schon deshalb regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage zu lösen ist (vgl RS0042828). Ob das Berufungsgericht unter Beachtung des erkennbar verfolgten Rechtsschutzziels das Begehren von sich aus umformulieren hätte müssen, um dem eindeutig verfolgten Rechtsschutzziel Rechnung zu tragen, stellt daher keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO dar.

[6] Der Kläger begehrt, die Beklagte zu verpflichten, es zu unterlassen, ihn zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten anzuweisen. Auch in der Berufung und in der Revision behauptet er weiter, dass von Weisungen der Beklagten auszugehen sei. In der Berufung begehrte er alternativ, dieses Urteilsbegehren amtswegig dahingehend umzuformulieren, dass die Beklagte es zu unterlassen habe, ihn zu solchen Tätigkeiten anzuweisen, einzuteilen oder abzukommandieren. In der Revision macht er nun erstmals geltend, dass eine Umformulierung dahingehend zu erfolgen gehabt hätte, dass festzustellen sei, dass er zu solchen Leistungen nicht verpflichtet sei. Ein solches Urteilsbegehren wäre aber, neben dem ohnehin erhobenen Feststellungsbegehren weder mit dem Prozessstandpunkt des Klägers in erster Instanz noch in der Berufung zu vereinbaren. Eine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht wird daher nicht aufgezeigt.

[7] 3. Die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden (Richtlinien‑Verordnung‑RLV) stellt einen Berufspflichtenkodex der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes dar und bezweckt, eine wirkungsvolle einheitliche Vorgangsweise der Sicherheitsexekutive sicherzustellen und die Gefahr von Konflikten mit den Betroffenen zu mindern (VwGH 2003/01/0041 mwN).

[8] Unstrittig sind, wie sich auch aus der Dienstrichtlinie für Kontrollorgane der Parkraumüberwachungsgruppe (PÜG) vom 1. 7. 2020 ergibt, Angehörige der PÜG keine Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Wenn daher in dieser Dienstrichtlinie weiters ausgeführt wird, dass sich aufgrund der Abordnung zur Landespolizeidirektion die analoge Teilanwendbarkeit der RLV auch für Organe der PÜG ergibt, verpflichtet es diese damit nicht zu Tätigkeiten von öffentlichen Sicherheitsorganen, sondern dazu, bei Ausübung ihrer eigenen Tätigkeit die in der RLV enthaltenen Grundsätze und Verhaltensmaßstäbe zu beachten. Insoweit stellt sich die in der Revision angesprochene Unsicherheit der Dienstnehmer, welcher Teil der RLV Anwendung findet nicht, da die RLV nicht die Tätigkeiten definiert, die der Dienstnehmer zu erbringen hat, sondern darstellt, was er bei Erbringen der Tätigkeiten, zu denen er verpflichtet ist, zu beachten hat. Die RLV spricht selbst in § 1 Abs 2 davon, dass die Organe im Dienst ihre Aufgaben zu erfüllen haben, soweit dies aufgrund ihres Ausbildungsstands und ihrer beruflichen Erfahrung erwartet werden kann. Auch in § 1 Abs 3 RLV ist ein Indienststellen nur „in Erfüllung ihrer Aufgaben“ vorgesehen.

[9] Wenn daher die Vorinstanzen das Begehren festzustellen, dass der Kläger nicht zur Befolgung von Weisungen verpflichtet ist, aus denen sich die analoge Teilanwendung der RLV ergibt, mangels Darstellung, inwiefern sich daraus eine Beeinträchtigung seiner rechtlichen Position ergeben soll, abgewiesen haben, hält sich das im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessenspielraums.

[10] 4. Nach § 228 ZPO kann auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechts geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass jenes Rechtsverhältnis oder Recht durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Der Kläger hat das rechtliche Interesse darzutun (RS0037977 [T1]). Das Bestehen eines rechtlichen Interesses richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls, denen – vom hier nicht vorliegenden Fall grober Fehlbeurteilung abgesehen – keine über diesen hinausgehende Bedeutung zukommt (RS0039177 [T1]).

[11] Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten, aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RS0039215). Abstrakte Rechtsfragen sind nicht feststellungsfähig. Das Fehlen des rechtlichen Interesses führt nach ständiger Rechtsprechung zur Klagsabweisung (8 ObA 39/16t ua).

[12] Der Kläger begehrt eventualiter die Feststellung, nicht verpflichtet zu sein, Weisungen zu befolgen, die ihn zu Tätigkeiten im Rahmen von sogenannten LVA‑Diensten, im Rahmen des großen Ordnungs- und Sicherheitsdienstes oder im Rahmen von allgemeinen polizeilichen Agenden verpflichten.

[13] Nach den Feststellungen werden für solche Tätigkeiten vorrangig unter den Mitarbeitern, die sich – so wie der Kläger – zu Mehrarbeit bereit erklärt haben, Freiwillige gesucht, ab 2012 aufgenommene Mitarbeiter sind zu solchen Mehrleistungen verpflichtet. Nur für den Fall, dass sich so niemand findet, kann für die Zukunft die Verpflichtung des Klägers zu den im Klagebegehren genannten Tätigkeiten auch im Fall des Fehlens dessen freiwilliger Meldung (theoretisch) nicht ausgeschlossen werden. Ein derartiger Einsatz ist beim Kläger seit 2012 jedoch noch nie vorgekommen. Zu den Diensten, die der Kläger verrichtet hat, hat er sich freiwillig gemeldet.

[14] Die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass nach diesen Feststellungen kein konkreter aktueller Anlass besteht, der zur Hintanhaltung einer tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine alsbaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht und daher sich daraus kein ausreichendes Interesse des Klägers an der gewünschten Feststellung ergibt, hält sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung, nach der das Klarstellungsinteresse bereits in der Gegenwart oder für einen bereits absehbaren und konkreten Anlass in näherer Zukunft gerichtet sein muss (RS0039263; RS0039215). Der Hinweis auf eine in der Zukunft liegende theoretisch mögliche „Betroffenheit“ vermag das geforderte Feststellungsinteresse nicht zu begründen (RS0039263 [T2]). Dagegen kann die Revision keine beachtlichen Argumente aufzeigen. Sie macht – neben allgemein gehaltenen Befürchtungen des Klägers – nur geltend, dass dieses Interesse aus von der Beklagten erteilten generellen Anordnungen abzuleiten wäre. Allerdings verweist sie dazu nur auf ein an einen konkreten Mitarbeiter gerichtetes Schreiben und die Ergänzungen zur Vereinbarung nach Art 15a B‑VG, die jeweils keine Dienstanweisungen zum Inhalt haben.

[15] 5. Ein Unterlassungsanspruch wird durch zwei Elemente konkretisiert, nämlich eine Unterlassungspflicht und die Gefahr, dass dieser Unterlassungspflicht zuwidergehandelt wird. Fehlt eines dieser Elemente, dann besteht kein Unterlassungsanspruch. Ein vorbeugender Unterlassungsanspruch wird bejaht, wenn ein Eingriff in eine fremde Rechtssphäre unmittelbar und konkret droht (RS0037660 [T1, T3]; RS0010479). Die Begehungsgefahr, also die Gefahr, dass der Beklagte die zu untersagende Verletzungshandlung neuerlich oder erstmalig begehen werde, ist nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Ansicht eine materielle Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch (RS0037456).

[16] Selbst wenn man daher wie die Revision davon ausgeht, dass die Einteilung für bestimmte Dienste mittelbar dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen sei, wurden solche Anweisungen – worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat – dem Kläger bislang nicht erteilt. Der Kläger hat auch nicht dargestellt, aus welchen Gründen von einer drohenden Rechtsverletzung auszugehen wäre. Gegen die Abweisung des Unterlassungsbegehrens durch die Vorinstanzen bestehen daher ebenfalls keine Bedenken.

[17] 6. § 97 StVO regelt nicht allgemein, wer die Organe der Straßenaufsicht sind. Bereits das Erstgericht hat darauf verwiesen, dass die Vollziehung der Straßenpolizei in Wien in mittelbarer Landesverwaltung durch die Landespolizeidirektion Wien besorgt wird, wobei die Kontrolle des ruhenden Verkehrs und der Kurzparkzonen durch an die Landespolizeidirektion vom Land abgeordnete Organe geschieht. Diese gemäß § 14 VBO abgeordneten Organe übernehmen in Wien sowohl die straßenpolizeiliche als auch abgabenrechtliche Überwachung des ruhenden Verkehrs (Pürstl, StVO15 [2019] § 100 StVO Anmerkung 24, 25) und sind als solche auch Organe der Straßenaufsicht. Wenn die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass auch der Kläger, der über einen entsprechenden Dienstausweis samt Ermächtigungsurkunde verfügt, als ein Straßenaufsichtsorgan mit entsprechenden Befugnissen im Rahmen des ruhenden Verkehrs anzusehen ist, bestehen dagegen keine Bedenken. Mit der Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass das Anlegen von „Parkkrallen“ zum Kernbereich der Überwachung des ruhenden Verkehrs gehört und jedenfalls in Form einer langjährigen Übung als dienstrechtliche Verpflichtung der Organe der PÜG anzusehen ist, setzt sich die Revision nicht auseinander, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.

[18] Die Fahrzeuge, die für solche Einsätze zur Verfügung stehen, sind entgegen der Revision nicht grundsätzlich als Fahrzeuge der Landespolizeidirektion gekennzeichnet, sondern führen nur ein aufsetzbares Drehlicht und ein entsprechendes Schild mit, das in die Windschutzscheibe gelegt werden kann. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Fahrt mit einem solchen Kraftfahrzeug, selbst wenn diese Gegenstände verwendet werden, keine Ausübung polizeilicher Agenden darstellt, ist nicht korrekturbedürftig. Inwieweit der Einsatz von Blaulicht in solchen Fällen rechtlich zulässig ist, ist hier nicht zu prüfen.

[19] 7. Ob die Beklagte verpflichtet wäre, den Kläger von der freiwilligen Erbringung solcher Leistungen abzuhalten oder von Leistungen, die dem Wr BedSchG widersprechen, muss schon deshalb nicht geklärt werden, weil sich diese Fragestellungen aus dem konkreten Urteilsbegehren nicht ergeben.

[20] 8. Insgesamt gelingt es dem Kläger daher nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentlichen Revision ist daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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