OGH 1Ob69/22m

OGH1Ob69/22m18.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* GmbH, *, vertreten durch Dr. Franz Terp, Rechtsanwalt inWien, gegen die beklagte Partei KR J*, vertreten durch Mag. Anna Steinwendtner‑Krenn, Rechtsanwältin in Wien, wegen 102.217,64 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgerichtvom 14. Februar 2022, GZ 15 R 154/21h‑47, mit dem das Urteil des Landesgerichtsfür Zivilrechtssachen Wienvom 25. September 2021, GZ 6 Cg 19/20p-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00069.22M.0518.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Soweit der klagenden Partei der Betrag von 102.217,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. 1. 2019 zuerkannt wurde, wird die Entscheidung der Vorinstanzen als Teilurteil bestätigt.

Im Übrigen (Entscheidung über die eingewendeten Gegenforderungen und im Kostenausspruch) werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben. In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Beklagte und sein ehemaliger Geschäftspartner M* waren Gesellschafter (bzw Geschäftsführer) mehrerer Unternehmen. Unter anderem waren sie jeweils im Ausmaß von 50 % Gesellschafter und alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer der klagenden GmbH. N* war bei der A* GmbH angestellt, deren Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte war. Sie war aber nicht nur für die A* GmbH, sondern für zahlreiche andere Gesellschaften des Beklagten tätig, darunter auch für die Klägerin. Ab dem Jahr 2016 kam es zu Differenzen zwischen den Geschäftspartnern, die schließlich zu einer Beendigung der Geschäftsbeziehungen führten. In der – der endgültigen geschäftlichen Trennung dienenden – „Durchführungsvereinbarung“ vom September 2018 hielten sie unter anderem fest, dass die Geschäftsanteile des Beklagten an der Klägerin (zu einem Preis von 55.000 EUR) an M* abgetreten werden; nach dem unbestrittenen Klagevorbringen erfolgte die (umgehende) Abtretung allerdings an eine GmbH, deren Alleingesellschafter M* war. Des Weiteren vereinbarten sie, dass die Vorbuchhaltung „bis 31. 12. 2018 durch die MitarbeiterInnen des … [Beklagten] für Herrn M* [den ehemaligen Geschäftspartner des Beklagten]/für die … [Klägerin] durch Frau N*, eine Mitarbeiterin des … [Beklagten] frist- und termingerecht wie bisher erledigt [wird]. Dafür fallen keine Kosten an, welche … [der ehemalige Geschäftspartner des Beklagten] zu ersetzen hätte.“ Entsprechend der Durchführungsvereinbarung stand N* der Klägerin nach dem September 2018 für allgemeine Verwaltungsaufgaben und für die Vorbuchhaltung zur Verfügung und nahm auch Monatsvoranmeldungen für die Umsatzsteuer beim Finanzamt vor. Über Wunsch des ehemaligen Geschäftspartners des Beklagten und mit Einverständnis des Beklagten war sie letztlich bis Ende Februar 2019 für die Klägerin tätig. Am 10. 1. 2019 beantragte sie im Finanz-Online-System die Überweisung eines Körperschaftsteuerguthabens der Klägerin aus dem Jahr 2017 in der Höhe von 102.217,64 EUR auf ein Konto, das sie aus einer von ihr vorbereiteten Liste mit Kontodaten diverser Gesellschaften entnahm. Auf dieser Liste hatte sie allerdings irrtümlich bei der Klägerin die Kontodaten des Beklagten eingetragen. Daraufhin überwies das Finanzamt das Steuerguthaben der Klägerin auf das angegebene Konto des Beklagten, wovon M* im Jänner 2019 Kenntnis erlangte.

[2] Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von 102.217,64 EUR sA. Eine Aufrechnung mit allfälligen Gewinnauszahlungsansprüchen des Beklagten sei nach § 1440 ABGB nicht zulässig, weil das Steuerguthaben ohne Zustimmung des damaligen Alleingesellschafters der Klägerin (M*) ausgezahlt worden sei. Im Übrigen bestritt sie die eingewandten Gegenforderungen auch inhaltlich.

[3] Der Beklagteentgegnete, es handle sich bei dem Steuerguthaben um einen Gewinn aus dem Jahr 2017. Er habe gemäß § 82 GmbHG Anspruch auf die Hälfte des Bilanzgewinns 2017 in Höhe von 128.294,64 EUR und des in der Bilanz zum Stichtag 31. 12. 2016 ausgewiesenen Gewinns in Höhe von 287.000 EUR. Er wende daher die Beträge von 64.147,32 EUR und 143.500 EUR compensando bis zur Höhe der Klageforderung ein. § 1440 ABGB sei nicht anwendbar, weil es sich weder um eine eigenmächtige noch um eine listige Entziehung handle noch ein anderer der vom Gesetz geforderten Tatbestände vorliege.

[4] Das Erstgerichtsprach aus, dass die Klageforderung von 102.217,16 EUR sA zu Recht besteht, und wies den Antrag des Beklagten ab, gegen diese Klageforderung mit einer Gegenforderung aufzurechnen. Es verpflichtete den Beklagten daher zur Zahlung von 102.217,16 EUR samt 4 % Zinsen seit 11. 1. 2019 sowie zum Ersatz der Kosten des Verfahrens. Da die fehlerhafte Angabe der Kontodaten zu einer Überweisung des Steuerguthabens auf das Konto des Beklagten geführt habe, habe die Klägerin einen Schaden in dieser Höhe erlitten. N* sei als Erfüllungsgehilfin des Beklagten im Sinn des § 1313a ABGB zu qualifizieren. Der Beklagte hafte daher für das fahrlässige Verhalten von N* wie für sein eigenes, weshalb die Klägerin schon aus diesem Grund einen Anspruch auf Rückzahlung des Betrags gegenüber dem Beklagten habe. Die unbefugte Beantragung der Überweisung des Steuerguthabens auf das Konto des Beklagten sei als „eigenmächtige“ Handlung im Sinn des § 1440 ABGB zu qualifizieren; ein vorsätzliches Verhalten sei nicht erforderlich. Auch wenn man davon ausginge, dass keine eigenmächtige Handlung vorliege, wäre eine analoge Anwendung des Aufrechnungsverbots im konkreten Fall anzunehmen, denn das Steuerguthaben sei aufgrund eines nicht von der Klägerin zu verantwortenden Umstands auf das Konto des Beklagten gelangt. Da die Aufrechnung schon dann unzulässig sei, wenn eine Sache (wie eine Akontozahlung) freiwillig an den Vertragspartner geleistet werde, müsse dies umso mehr gelten, wenn die Sache (hier Geld) ohne Zutun in die Verfügungsgewalt der Person gelange, die die Aufrechnung erkläre. Der Aufrechnung mit Ansprüchen auf Auszahlungen allfälliger Bilanzgewinne stehe damit die Bestimmung des § 1440 Satz 2 ABGB entgegen.

[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Der vorliegende Sachverhalt sei dadurch gekennzeichnet, dass die Überweisung des strittigen Geldbetrags irrtümlich auf das Konto des Beklagten veranlasst worden sei, wobei jene Person, der dieser Fehler unterlaufen sei, dem Beklagten als Gehilfe zuzurechnen sei. Das Verhalten des Beklagten erfüllte den objektiven Tatbestand der Unterschlagung. Diese vorwerfbare Handlung komme an Gewicht den in § 1440 Satz 2 erste Fallgruppe ABGB ausdrücklich genannten Fällen gleich. Auch hier liege eine der Rechtsordnung widersprechende Entziehung eines fremden Gutes vor, das durch Irrtum und ohne sein Zutun in den Gewahrsam des Beklagten geraten sei und das er sich zuzueignen trachte. Es genüge die – hier vorliegende – Entziehung zum Zweck unerlaubter Selbsthilfe.

[6] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil – soweit überblickbar – gesicherte Rechtsprechung dazu fehle, ob auch die Verweigerung der Herausgabe eines durch Irrtum oder sonst ohne sein Zutun in seinen Gewahrsam geratenen Gutes durch den Empfänger unter § 1440 Satz 2 ABGB falle.

[7] Die dagegen vomBeklagten erhobene – von derKlägerin beantwortete – Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1.1 Dem Beklagten ist zuzugestehen, dass sich der Anspruch gegen ihn nicht auf eine Erfüllungsgehilfenhaftung nach § 1313a ABGB für das Verhalten der N* stützen lässt.

[9] Eine Erfüllungsgehilfenhaftung greift ein, wenn und soweit ein Unternehmer die geschuldete Leistung nicht selbst erbringt, sondern andere Personen (typischerweise Mitarbeiter) beauftragt. Dies erfordert eine interpretative Ermittlung der jeweils übernommenen Leistungs- und Sorgfaltspflichten, zu deren Erfüllung man sich eines Gehilfen bedient (RIS‑Justiz RS0123055).

[10] Nach den Feststellungen hat sich der Beklagte zwar dazu verpflichtet, der Klägerin die Arbeitskraft der N* (weiterhin) bis letztlich Ende Februar 2019 zur Verfügung zu stellen. Er hat aber nicht die Geschäftsbesorgung für die Klägerin übernommen, insbesondere hat er sich ihr gegenüber nicht zur Besorgung allgemeiner Verwaltungsaufgaben und der Buchhaltung verpflichtet.

[11] Die Haftung für den Erfüllungsgehilfen im Sinne des § 1313a ABGB setzt voraus, dass die Verpflichtung zu einer Leistung besteht, die der Verpflichtete, statt sie zu erfüllen, durch einen Dritten erbringen lässt. Ist der Verpflichtete zu dieser Leistung nicht verhalten, sondern nur dazu, einen Dritten etwas leisten zu lassen, so ist § 1313a ABGB unanwendbar (RS0028632).

[12] 1.2 Trotzdem besteht die Klageforderung zu Recht. Abgesehen davon, dass der Beklagte ihr inhaltlich nicht substantiiert entgegen getreten ist, lässt sich die Forderung auf Rückzahlung des irrtümlich auf das Konto des Beklagten überwiesenen Steuerguthabens auf die Bestimmung des § 1041 ABGB gründen. Durch die Gutschrift des –  dem Abgabenkonto der Klägerin als Steuerschuldnerin und daher ihr zugewiesenen  – Geldbetrags auf dem Konto des Beklagten ist dieser ungerechtfertigt bereichert. Er schuldet der Klägerin daher die Herausgabe des empfangenen Betrags.

[13] 2.1 Gemäß § 1440 Satz 2 ABGB sind eigenmächtig oder listig entzogene, entlehnte, in Verwahrung oder in Bestand genommene Stücke (für den Herausgabepflichtigen) kein Gegenstand der Zurückbehaltung oder der Kompensation. § 1440 Satz 2 ABGB gliedert sich in zwei Fallgruppen, nämlich in die – von den Vorinstanzen herangezogene – der vorwerfbaren Handlung durch eigenmächtiges oder listiges Entziehen der Sache sowie jene der Übergabe der Sache aufgrund bestimmter Rechtsverhältnisse wie Leihe, Verwahrung oder Bestandvertrag (1 Ob 180/20g ua).

[14] Eigenmächtig bzw listig entzogen im Sinn der ersten Fallgruppe sind beispielsweise gestohlene oder betrügerisch erlangte Sachen und veruntreute Gelder (vgl RS0033918), aber auch ohne Vollmacht eingehobene Inkassobeträge oder ein vereinbarungswidrig weitergegebenes Blankoakzept (Dullinger in Rummel³ § 1440 ABGB Rz 12 und 13; A. Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1440 Rz 7). „Eigenmächtig oder listig“ entzogen sind Sonderfälle vorwerfbarer Handlungen. Analogie ist daher immer dann geboten, wenn die vorwerfbare Handlung an Gewicht den in der genannten Gesetzesstelle ausdrücklich genannten Fällen gleichkommt (RS0103256 [T2]). Der Zweck des Verbots bezüglich „eigenmächtig oder listig“ entzogener Sachen besteht vor allem in der Hintanhaltung verbotener Selbsthilfe (9 Ob 29/14a; vgl auch RS0033239; Dullinger in Rummel³ § 1440 ABGB Rz 7 mwN; Holly in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.06 § 1440 Rz 11/2/1).

[15] Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 1 Ob 64/02x klargestellt, dass etwa Geldbeträge, die entgegen der vertraglichen Vereinbarung nicht abgeführt, sondern zur Aufrechnung mit angeblichen Gegenforderungen verwendet werden, nicht listig entzogen sind. Nachträgliche „Zueignungshandlungen“ sind vielmehr der zweiten Fallgruppe zuzuordnen, bei der die Sache dem Herausgabepflichtigen ursprünglich aufgrund eines bestimmten Rechtsverhältnisses und damit rechtmäßig zugekommen ist (8 Ob 94/10x).

[16] 2.2 Der Beklagte hat der Klägerin das Steuerguthaben weder eigenmächtig noch listig entzogen. Er hat nach den Feststellungen gar keine Entziehungshandlung gesetzt. Der Geldbetrag wurde ohne sein Zutun –  aufgrund eines Irrtums der der Klägerin als Arbeitskraft zur Verfügung gestellten N* – auf sein Konto überwiesen. Von einer Entziehung zum Zwecke unerlaubter Selbsthilfe kann daher keine Rede sein.

[17] Welche Entziehungshandlung dem Beklagten angelastet werden soll, legt auch das Berufungsgericht nicht dar. Es meint zwar, dass das Verhalten des Beklagten den objektiven Tatbestand der Unterschlagung verwirkliche. Das trifft jedoch – unabhängig von der Frage, ob eine Unterschlagung an Giralgeld begangen werden kann (vgl Salimi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 134 Rz 32) – nicht zu: Die Tathandlung der Unterschlagung nach § 134 StGB besteht in allen Deliktsfällen darin, dass der Täter die fremde Sache sich oder einem Dritten zueignet. Bloßes Vorenthalten ist kein Zueignen (Messner in Leukauf/Steininger, StGB4 § 134 Rz 20). Der Täter eignet sich die Sache zu, wenn er wie ein rechtmäßiger Eigentümer agiert, die Sache somit behält, verwertet oder wie ein Eigentümer nützt (Salimi in Höpfel/Ratz, WK2 StGB § 134 Rz 45). Das ist nicht der Fall, wenn – wie hier – der Beklagte die Herausgabe des irrtümlich Empfangenen unter Berufung auf ein Zurückbehaltungs- oder Kompensationsrecht verweigert.

[18] Entgegen der Meinung der Vorinstanzen kann der Sachverhalt daher nicht unter die erste Fallgruppe des § 1440 Satz 2 ABGB subsumiert werden. Zu prüfen bleibt, ob das Verhalten des Beklagten der zweiten Fallgruppe unterstellt werden kann.

[19] 2.3 Hinsichtlich der zweiten Fallgruppe besteht der Normzweck des Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbots darin, die Aufrechnung sowie das Zurückbehaltungsrecht zu versagen, wenn deren missbräuchliche Ausübung aufgrund der konkreten Rechtsbeziehung geradezu einen Vertrauensbruch darstellen würde (RS0033960; RS0033918).

[20] Das Erstgericht übersieht dies bei seiner Argumentation, dass, weil eine Aufrechnung schon dann unzulässig sei, wenn eine Sache (wie eine Akontozahlung) freiwillig an den Vertragspartner geleistet werde, dies umso mehr gelten müsse, wenn die Sache ohne ihr Zutun in die Verfügungsgewalt der Person gelange, die die Aufrechnung erkläre.

[21] Dem Beklagten ist der Geldbetrag nicht aufgrund eines bestimmten Rechtsverhältnisses zugekommen; dieser Geldbetrag wurde ihm nicht „anvertraut“. Es fehlt an einer Konstellation, in der die Erhebung einer Aufrechnungseinrede durch den Beklagten missbräuchlich erschiene. Ein (schützenswertes) Vertrauen der Klägerin auf eine Rückzahlung des irrtümlich auf das Konto des Beklagten überwiesenen Geldes ohne Rücksicht auf allfällige Gegenforderungen konnte gar nicht bestehen.

[22] § 1440 Satz 2 ABGB steht der Aufrechnung mit Ansprüchen auf Auszahlung allfälliger Bilanzgewinne daher nicht entgegen.

[23] 3. Damit bedarf es einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den vom Beklagten erhobenen Gegenforderungen, die das Erstgericht nachzutragen haben wird.

[24] 4. Der Revision desBeklagten ist daher teilweise Folge zu geben.

[25] Da Forderung und Gegenforderungen nicht konnex sind, konnte gemäß § 391 Abs 3 ZPO der Ausspruch über die Klageforderung als Teilurteil bestätigt werden.

[26] Die Entscheidung über die Verfahrenskosten und die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 50, 52 Abs 2, 392 Abs 2 ZPO.

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