European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0100NC00006.22X.0510.000
Spruch:
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.
Begründung:
[1] Der in Österreich wohnhafteKläger erhob gegen das beklagte Luftfahrtunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich Klage auf Zahlung von 82,39 EUR sA aufgrund der Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (EU‑FluggastVO). Sein Flug von Wien nach Bristol sei annulliert worden, weshalb er von der Beklagten die Rückerstattung der Flugscheinkosten nach Art 8 Abs 1 lit a EU‑FluggastVO fordere. Das vom Kläger angerufene Bezirksgericht Schwechat sprach rechtskräftig seine (internationale) Unzuständigkeit aus.
[2] Der Kläger beantragt eine Ordination nach § 28 JN. Eine Rechtsverfolgung im Vereinigten Königreich stelle für ihn als Verbraucher eine übermäßige Erschwernis dar. Zur effektiven Durchsetzung seiner Ansprüche nach der EU‑FluggastVO sei eine Ordination geboten. Eine Vollstreckung britischer Entscheidungen in Österreich sei mangels Gegenseitigkeit gar nicht möglich.
Rechtliche Beurteilung
[3] Der Ordinationsantrag ist berechtigt.
[4] 1. An die rechtskräftige Verneinung der internationalen Zuständigkeit des vom Kläger angerufenen Bezirksgerichts Schwechat ist der Oberste Gerichtshof gebunden (RIS‑Justiz RS0046568).
[5] 2. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 Z 2 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.
[6] 3. Der Kläger begehrt eine Ordination nach dieser Bestimmung, die Fälle abdecken soll, in denen trotz Fehlens eines inländischen Gerichtsstands ein Bedürfnis nach Gewährung von inländischem Rechtsschutz besteht, weil die Sache ein Naheverhältnis zum Inland aufweist und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland fehlt (RS0057221 [T4]). Letzteres wird insbesondere dann angenommen, wenn eine Exekution im Inland angestrebt wird, eine am Sitz des Beklagten ergangene Entscheidung hier aber nicht vollstreckt würde (RS0046148 [T17]). Dem Vorbringen des Klägers lässt sich gerade noch ausreichend deutlich entnehmen, dass er die Vollstreckung in Österreich anstrebt.
[7] 4.1 Der Oberste Gerichtshof hat Ordinationsanträgen bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen stattgegeben, wenn der Kläger Ansprüche nach der EU‑FluggastVO sonst in einem Drittstaat einklagen müsste und zwischen diesem Drittstaat und Österreich kein Vollstreckungsübereinkommen besteht (zB 6 Nc 1/19b ZVR 2019/114, 259 [Mayr]; 8 Nc 18/20v; 4 Nc 20/20h).
[8] 4.2 Auch im Verhältnis zu dem seit 1. 1. 2021 als Drittstaat anzusehenden Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (vgl Art 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl C 384 1/1 [idF: Austrittsabkommen]) liegt eine vergleichbare Situation vor:
[9] 4.3 Entscheidungen eines britischen Gerichts, die in einem nach dem Ablauf des 31. 12. 2020 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergehen, können nicht mehr nach den Regeln der EuGVVO vollstreckt werden (Art 67 Abs 2 lit a Austrittsabkommen e contrario). Auch eine Vollstreckung britischer Entscheidungen in Österreich nach dem EuGVÜ oder dem LGVÜ kommt nicht in Betracht (Exenberger/Karl, Anerkennung und Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen Post‑Brexit, ecolex 2021/227, 320; vgl auch Cap, BREXIT – Die justizielle Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich in Zivilrechtssachen nach 31. 12. 2020, RZ 2021, 124 [127 f]). Es bleibt damit – jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall (vgl zum Anwendungsbereich des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen in Zivil‑ und Handelssachen: Tretthahn‑Wolski/Förstel‑Cherng, Nein zu Lugano – Zu den Auswirkungen des harten Brexits auf Cross‑Border-Streitigkeiten, ÖJZ 2021/92, 708) – nur ein (allfälliger: Cap, RZ 2021, 124 [128]) Rückgriff auf den bilateralen Vollstreckungsvertrag.
[10] 4.4 Nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen, BGBl 1962/224, werden grundsätzlich nur Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen eines „oberen Gerichts“ (Art II Abs 1 iVm Art I Z 2) nach einem (auch Fragen der Zuständigkeit umfassenden) Exequaturverfahren (Art III) anerkannt und vollstreckt. Trotz der in Art II Abs 2 vorgesehenen grundsätzlichen Möglichkeit zur Vollstreckung auch von Entscheidungen „unterer“ Gerichte („Dieser Vertrag schließt nicht aus …“) kommt eine Vollstreckung der Entscheidung eines britischen „unteren“ Gerichts in Österreich mangels qualifizierter Gegenseitigkeit (§ 406 EO) nicht in Betracht (1 Nd 502/85 SZ 58/109 = JBl 1986, 191 [Pfersmann]; RS0002320).
[11] 4.5 Da dem Kläger im Hinblick auf die geringe Höhe seiner Forderung die Erlangung einer Entscheidung eines britischen „oberen Gerichts“ kaum möglich sein wird, ist von einer faktischen Unmöglichkeit der Exekutionsführung in Österreich aufgrund eines in Großbritannien erlangten Titels auszugehen (ähnlich bereits 1 Nd 502/85).
[12] 5. Insgesamt sind damit die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN als erfüllt anzusehen (im Ergebnis ebenso bereits 6 Nc 1/22g [Sitz der Airline im Vereinigten Königreich]).
[13] 6. Bei der Auswahl des zu bestimmenden Gerichts ist auf die Kriterien der Sach‑ und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, lag doch zum einen der Abflugort in dessen Sprengel und wurde zum anderen die Klage bereits bei diesem Gericht behandelt (6 Nc 31/20s mwN ua).
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