European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0200DS00022.21X.0503.000
Spruch:
Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.
In Stattgebung der Berufung wegen Strafe werden (statt der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte) über den Beschuldigten die Disziplinarstrafen der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten und eine Geldbuße von 10.000 EUR verhängt.
Ihm fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat der Beschuldigte
1. am 16. Jänner 2019 als rechtsfreundlicher Vertreter mit E‑Mail an einen Redakteur des O* versucht, Ansprüche des Mandanten gegenüber den Erben und/oder der Verlassenschaft nach einem verstorbenen Rechtsanwalt oder dessen Haftpflichtversicherung trotz Verjährung durchzusetzen, wobei er dem Verstorbenen das Verbrechen des qualifizierten Betruges und die vorsätzliche Zufügung eines Schadens von zumindest 1,5 Mio Euro unterstellte, welcher Vorwurf weder im tatsächlichen noch in dem dem Beschuldigten damals bekannten Sachverhalt Deckung fand (AZ D 8/21, 2 DV 20/21);
2. am 5. November 2020 als alleiniger (Gesellschafter und) Geschäftsführer der * GmbH im Strafverfahren AZ * des Bezirksgerichtes * dem Gericht die der Gesellschaft erteilte Vollmacht für * N* angezeigt, obwohl ihm aufgrund der einstweiligen Maßnahme vom 28. September 2020 im Disziplinarverfahren AZ D 45/20 der OÖ Rechtsanwaltskammer das Vertretungsrecht in Strafsachen unter anderem vor dem Bezirksgericht und dem Landesgericht * entzogen war (AZ D 22/21, 3 DV 21/21).
[2] Dadurch habe er die Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) begangen.
Dazu ist folgende Klarstellung zu treffen:
[3] § 17 2. Fall DSt steht im Verhältnis der Spezialität zu § 1 Abs 1 1. Fall DSt, wodurch dieser als bloß scheinbar konkurrierend verdrängt wird (vgl Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 17 DSt Rz 2).
[4] Trotz zusammenfassender Subsumtions-bezeichnung auch des Suspensionsbruchs nach § 17 2. Fall DSt als Berufspflichtenverletzung gemäß § 1 1. Fall DSt im Erkenntnisspruch ist aus der Begründung des Erkenntnisses im Übrigen erkennbar (ES 18: hinsichtlich Faktums 2 Disziplinarvergehen des Suspensionsbruchs iSd § 17 2. Fall DSt), welches Disziplinarvergehen nach Meinung des Disziplinarrats durch die als erwiesen angenommenen Tatsachen (allein) begründet werden sollte (vgl Lendl WK‑StPO § 260 Rz 32).
[5] Über den Beschuldigten wurde die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste der Rechtsanwälte verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich dessen Berufung wegen der Aussprüche über Schuld und die Strafe.
Zu Punkt 1. des Schuldspruchs:
[7] Die Berufung behauptet einen von den Konstatierungen des Disziplinarrats abweichenden Sachverhalt, ohne Bedenken gegen die Richtigkeit dessen Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen zu äußern. Die in der Berufung erhobene Behauptung, eine Durchsetzung von Ansprüchen im außergerichtlichen Bereich wäre weder geplant gewesen noch als Auftrag übernommen worden, widerspricht der inkriminierten E‑Mail vom 16. Jänner 2019 (Sammelbeilage ./1, AZ D 8/21, 2 DV 20/21), in der der Beschuldigte schrieb, geplant sei ein Vorgehen gegen den vormaligen Kollegen bzw nach dessen Ableben gegen seine Haftpflichtversicherung; neben Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflicht sei auch von strafrechtlich relevanter Schädigung als Rechtsgrund auszugehen, weshalb sich die Verjährungsfrist von drei auf dreißig Jahre verlängere. Die Behauptung steht weiters in Widerspruch zur Aussage seines Mandanten, er hätte dem Beschuldigten sogar einen Kostenvorschuss bezahlt, damit er eine Klage einbringe (TZ 20). Auch ist im Unterschied zur Stellungnahme des Beschuldigten (TZ 9) in dieser E‑Mail keine Rede von Beseitigung von Unterlagen, Unterdrückung von Beweisdokumenten oder Verschwindenlassen von Unterlagen durch den Verstorbenen, sondern (bloß) von vorwerfbarer Unterlassung, eine mit dem Mandanten des Beschuldigten getroffene Vereinbarung nicht schriftlich dokumentiert zu haben, auf welchen Widerspruch der Disziplinarrat zutreffend hinwies (ES 9). Dessen Feststellungen, der Vorwurf des Betruges sei weder aus diesem Vorbringen in der E‑Mail vom 16. Jänner 2019 noch aus dem Kenntnisstand des Beschuldigten ableitbar (ES 9), sind aus dem Beweisverfahren logisch nachvollziehbar begründet. Die daraus in Verbindung mit der Tatsache, der Beschuldigte habe für seinen Mandanten weder eine Klage gegen die Erben des Verstorbenen oder dessen Verlassenschaft eingebracht noch ein außergerichtliches Anspruchsschreiben verfasst (ES 9, 10), gezogene Schlussfolgerung, er habe mit dem inkriminierten Schreiben nur den Weg in die Medienöffentlichkeit gesucht, mit dem Motiv und dem Zweck, eine Drucksituation gegen die Erben oder die Verlassenschaft nach dem Verstorbenen aufbauen zu können (ES 16), ist lebensnah und logisch-empirisch einwandfrei. Dass die Information dem Redakteur unter dem „Siegel der Verschwiegenheit“ erteilt und von diesem davon kein Gebrauch gemacht wurde, fand insoferne Berücksichtigung, als zu diesem Faktum eine Verurteilung nur wegen Berufspflichtenverletzung, nicht hingegen wegen Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes erfolgte (ES 17).
Z u Punkt 2. des Schuldspruchs:
[8] Die Berufung bekämpft die Konstatierungen, der Beschuldigte habe sich in Kenntnis der noch nicht aufgehobenen einstweiligen Maßnahme gemäß § 19 DSt, mit der ihm unter anderem das Vertretungsrecht in Strafsachen vor dem Bezirksgericht und dem Landesgericht * entzogen worden war, und des gescheiterten Firmenbuchantrags zur Bestellung von * als weitere Geschäftsführerin damit abgefunden (zum Erfordernis eines dolus eventualis VfGH vom 28. Juni 1990, B 545/89, SlgNr 12407, AnwBl 1991/3612 und Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 17 DSt Rz 5), dass die * GmbH, deren Alleingesellschafter er war, am 5. November 2020 als Verteidiger benannt und gegenüber dem Gericht ausgewiesen wurde (ES 12, 13). Den auf unbedenkliche Urkunden (insbesondere Notariatsakte und beglaubigt unterfertigte Firmenbuchanträge) gestützten Feststellungen des Disziplinarrats, die Bestellung (eigentlich: der Beginn der Vertretungsbefugnis) von * als weitere Geschäftsführerin sei zwar von 1. Dezember 2020 auf 9. November 2020 vorverlegt worden, trotzdem habe der Beschuldigte seine Mitarbeiterin beauftragt, für einen Mandanten am 5. November 2020 im Wege des ERV beim Bezirksgericht * Vollmacht zu legen, vermag die Berufung nichts Überzeugendes entgegenzusetzen. In seiner verantwortlichen Stellungnahme TZ 10 und bei seiner Aussage (TZ 23, S 5) bezog sich der Beschuldigte auf die Beschlusslage nach dem Protokoll der außerordentlichen Generalversammlung vom 22. Oktober 2020. Diese sieht den Beginn der Vertretungsbefugnis der weiteren Geschäftsführerin * erst ab 1. Dezember 2020 vor und war am 5. November 2020 unverändert. Der Beginn von deren Vertretungsbefugnis wurde erst am 9. November 2020 mit diesem Datum vorgezogen (Akt des Kammeranwalts GZ 4/21). Den aus den Urkunden, der Stellungnahme des Beschuldigten, seiner Verantwortung in der mündlichen Verhandlung und aus der Chronologie abgeleiteten Feststellungen des Disziplinarrats stellt der Beschuldigte lediglich eigene Interpretationen seines Verhaltens gegenüber, welche seine zu einem bedingten Vorsatz leugnende Verantwortung untermauern sollen. Zu Recht weisen die Äußerung des Kammeranwalts und das Croquis darauf hin, aus dem Wortlaut der Vollmachtsbekanntgabe (Zustellung an die „Vertreterin“ und nicht an den oder die „Vertreter“) sei nichts zu gewinnen, hat doch auch das Zustellersuchen der * GmbH auf Zustellung an eine Vertreterin (die Gesellschaft – femininum) zu lauten. Wie vom Beschuldigten zugestanden (Äußerung zum Croquis S 5), werden in der Berufung erstmals (fallbezogen nicht gegen § 49 DSt verstoßend) gravierende private und persönliche Belastungen vorgetragen, die jedoch in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur nicht geeignet sind, Bedenken gegen die zur subjektiven Tatseite vorgenommene Beweiswürdigung zu erwecken.
[9] Die im Rahmen der Schuldberufung erstmals beantragte Vernehmung der nunmehr als zweite selbständig befugte Geschäftsführerin eingetragenen * als Zeugin scheitert bereits daran, dass nicht dargelegt wird, warum diesbezüglich die Voraussetzungen der eingeschränkten Neuerungserlaubnis im Berufungsverfahren (§ 49 DSt; RIS‑Justiz RS0129770) vorliegen sollten, zumal die Vorgänge in Zusammenhang mit der Einbringung der Vollmachtsbekanntgabe vom 5. November 2020 Beweisthema im Verfahren waren und die Unterlassung des Beweisantrags daher kein Versehen bloß minderen Grades darstellen kann (vgl Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 49 DSt Rz 10).
[10] Die Berufung versucht weiter, fehlenden (bedingten) Vorsatz mit der Behauptung zu begründen, der Beschuldigte habe seine Sekretärin angewiesen, Vollmacht lautend auf * bekannt zu geben, sie habe aber irrtümlich die * GmbH benannt, weshalb ihn mangels Kontrolle nur Fahrlässigkeit (in Form eines Überwachungsverschuldens) treffe. In seiner Stellungnahme an den Untersuchungskommissär (TZ 10) führte der Beschuldigte aus, die Vollmacht wäre bewusst deutlich nach dem 1. November 2020 – der Irrelevanz dieses Datums in dem Zusammenhang war er sich offenbar nicht bewusst – gelegt worden, um sicherzustellen, dass die Vollmacht nicht der * GmbH, sondern der * GmbH, vertreten durch die (neu aufgenommene) Geschäftsführerin * zuzurechnen sei. In der mündlichen Verhandlung gestand er zu, diese hätte für sich in eigenem Namen Vollmacht legen müssen, den Fehler habe er gemacht, weil er der Sekretärin „angeschafft habe, die Vollmachtbekanntgabe zu erstellen und an das Gericht abzufertigen“ (TZ 23, S 6). Über Vorhalt, * habe gegenüber dem Landesgericht * als Berufungsgericht mit Eingabe vom 19. Jänner 2021 vorgebracht, sie selbst habe Vollmacht gelegt, diese Eingabe (vom 5. November 2020) ausgeführt und mit dem Rechtsanwaltscode der Kanzlei eingebracht, gab der Beschuldigte an, sich nicht mehr erinnern zu können, wer in der Kanzlei den Auftrag gegeben habe (TZ 23, S 8). Logisch und völlig unbedenklich konnte der Disziplinarrat aufgrund der unmittelbar zuvor abgelegten eindeutigen Aussage des Beschuldigten die Feststellung treffen, er selbst habe Erstellung und Abfertigung am 5. November 2020 angeordnet, habe er doch auch ausgesagt, er kenne keine Eingabe, die * als Einbringerin abgefertigt habe (ES 15 f). Die Betonung einer „Routineangelegenheit“ trägt der für den Beschuldigten wie für jeden Rechtsanwalt besonderen Situation einer aufrechten einstweiligen Maßnahme nach § 19 Abs 1 Z 1, Abs 3 lit b DSt nicht Rechnung.
[11] Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Äußerung des Kammeranwalts und dem Croquis nicht Folge zu geben.
Zur Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe:
[12] Als Disziplinarstrafe für Suspensionsbruch ist bedingt obligatorisch die Streichung von der Liste angeordnet. Lediglich wenn nach den besonderen Umständen des konkreten Falles mit einer geringeren Strafe das Auslangen gefunden werden kann, kommt der weitere Strafenkatalog des § 16 Abs 1 DSt in Betracht. Dies ist nur im Ausnahmefall möglich (ErlRV 1188 BlgNR 17. GP 21; Feil/Wennig 8 903), wobei auch hier die Strafzumessungsgründe und spezial- sowie generalpräventive Gründe Berücksichtigung zu finden haben.
[13] Ein solcher Ausnahmefall liegt im Gegenstand einerseits aufgrund der vom Berufungswerber ins Treffen geführten außerordentlichen Belastung durch Krankheiten und Todesfälle in der Familie vor. Überdies erweist der Geschehensablauf eher Ungeschicklichkeit als einen auf vorgeplantes, gezieltes Ignorieren des einstweiligen Ausschlusses von Vertretungstätigkeit gerichteten Tatplan: Nach den Feststellungen des Disziplinarrats (ES 10) erfolgte die Bestellung von * zur Geschäftsführerin bereits am 29. September 2020, die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mit 1. November 2020 (ES 11). Wegen Fehlens der Erklärung der Rechtsanwaltskammer zum Nachweis der Eintragungsfähigkeit wurde der Firmenbuchantrag mit Fristsetzung bis 1. Dezember 2020 zur Verbesserung zurückgestellt (ES 10). Es wäre grundsätzlich möglich gewesen, nach Eintragung von * in die Liste mit 1. November 2020 dem Verbesserungsauftrag vor dem 5. November 2020 nachzukommen und den Bestellungsmodus entsprechend anzupassen, sodass die Bestellung konstitutive Wirkung entfaltet hätte. Da dies – warum auch immer – nicht vorgenommen wurde, lag eine wirksame Geschäftsführerbestellung am 5. November, dem Tag der inkriminierten Handlung, nicht vor.
[14] Insgesamt erscheint fallbezogen somit die Verhängung der strengsten Sanktion nicht angebracht.
[15] Eine Tatbegehung aus Unbesonnenheit (§ 34 Abs 1 Z 7 StGB), welche die Berufung nahelegen will, muss allerdings ausscheiden. Dem weiteren Vorbringen, es sei kein messbarer Schaden eingetreten, ist der beträchtliche immaterielle Schaden entgegenzuhalten (vgl RIS‑Justiz RS0096979), der schon nach allgemeinen Strafzumessungsgründen zu berücksichtigen ist (§ 32 Abs 3 StGB). Der behauptete Beitrag zur Wahrheitsfindung ist marginal (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) – noch mit seinem Beweisantrag im Rechtsmittelverfahren versuchte der Beschuldigte den Fehler auf interne Kanzleivorgänge bzw seine Kanzleileiterin zu verlagern. Auch die Beurteilung des Disziplinarrats, es lägen keine einem Schuldausschließungs- oder Rechtsfertigungsgrund nahekommenden Milderungsgründe vor (ES 19), ist zutreffend. Nicht zu folgen ist dem Disziplinarrat bei Anführung der Erschwerungsgründe, die Unterlassung einer Firmenbuchabfrage zum 1. November 2020 begründe auffallende Sorglosigkeit, war doch zu diesem Zeitpunkt ein Ausweis der Vertretungsbefugnis von * aufgrund der Aktenlage beim Firmenbuchgericht schlichtweg ausgeschlossen. Die Vorverurteilung zu AZ D 45/20, 4 DV 4/21 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich beruht nicht auf gleicher schädlicher Neigung. Zum Schuldspruchpunkt 1. ist das § 17 zweiter und dritter Satz RL‑BA 2015 grob widerstreitende Verhalten hervorzuheben.
[16] Bei Abwägung aller für und wider den Berufungswerber sprechenden Umstände unter Berücksichtigung präventiver Erfordernisse war in Stattgebung der Berufung wegen Strafe zur aus dem Spruch ersichtlichen Strafenkombination zu gelangen.
[17] Eine – grundsätzlich auch bei Verhängung der Kapitalsanktion mögliche (Fabrizy, StGB13 § 31 Rz 5, § 40 Rz 2; Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 16 DSt Rz 25; RIS‑Justiz RS0089908) – Bedachtnahme gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt auf die Verurteilung im Verfahren AZ D 45/20 der OÖ Rechtsanwaltskammer (dazu 20 Ds 18/21h) schied zufolge dort erfolgter Bedachtnahme auf Erkenntnisse vom 16. September 2019 und 5. Oktober 2020 aus (Fabrizy aaO § 31 Rz 11; Lehner aaO § 16 Rz 22/4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.
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