European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0200DS00018.21H.0125.000
Spruch:
Der Berufung des Beschuldigten wird nicht Folge gegeben.
In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts wird der Ausspruch über die teilbedingte Nachsicht der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten aus dem angefochtenen Erkenntnis ersatzlos ausgeschaltet und die Geldbuße mit 9.000 Euro bestimmt.
Die Anrechnung von Zeiten, in denen die Ausübung der Rechtsanwaltschaft vorläufig untersagt war, wird dem Disziplinarrat überlassen.
Dem Beschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Beschuldigte wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes unter Bedachtnahme auf die Erkenntnisse vom 16. September 2019, AZ D 1/19, 7 DV 25/19, sowie vom 5. Oktober 2020, AZ D 26/20, 10 DV 28/20, je des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer, zu den Disziplinarstrafen der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten und einer Geldbuße von 6.000 Euro verurteilt. Der Vollzug der erstgenannten Sanktion wurde im Ausmaß von drei Monaten für eine Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen.
[2] Nach dem Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses hat der Beschuldigte als Beitragstäter zusammen mit seiner Klientin als unmittelbare Täterin einen Bestandteil deren Vermögens beiseite geschafft und dadurch die Befriedigung deren Gläubiger zumindest geschmälert, indem die im Eigentum der unmittelbaren Täterin stehenden zwei Drittel Miteigentumsanteile an einer Liegenschaft mit Übergabsvertrag vom 22. März 2019 an die N* Rechtsanwalt GmbH, deren einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der Beschuldigte war, unentgeltlich übertragen wurde. Dadurch wurde (zumindest) zwei Gläubigern der Deckungsfonds zur Hereinbringung ihrer Forderung von 14.700 Euro entzogen.
[3] Sowohl der Kammeranwalt als auch der Beschuldigte erheben dagegen – mit entgegengesetzten Anfechtungszielen – Berufung wegen Strafe.
[4] Mit den Erkenntnissen des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich, auf die gemäß § 16 Abs 5 2. Satz DSt Bedacht genommen wurde, war der Beschuldigte wie folgt schuldig gesprochen worden. Er hatte
– einer Klientin trotz Ersuchens keine detaillierte Abrechnung gelegt bzw die Rechnungslegung unzulässigerweise von der Entlohnung seiner Tätigkeit nach Tarif abhängig gemacht (Faktum 1 des Schuldspruchs im Verfahren AZ 7 DV 25/19) und bereits zwei Tage nach Fälligkeit einer vereinbarten Teilzahlung von 30.000 Euro für sein offenes Honorar am 2. November 2017 die Klage über das gesamt Honorar von 100.000 Euro eingebracht sowie überhöhte Zinsen begehrt, also seinen Honoraranspruch in unzulässiger Weise betrieben (Faktum 2 des Schuldspruchs im Verfahren AZ 7 DV 25/19),
– die Vertretung seiner Mandanten in einem gerichtlichen Verfahren nicht mit der erforderlichen Gewissenhaftigkeit geführt, weil er die mündliche Verhandlung am 16. Mai 2019 trotz aufrechtem Vertretungsverhältnis und trotz einer zwei Tage vor der Verhandlung ergangenen telefonischen Erinnerung durch den zuständigen Verhandlungsrichter nicht verrichtete, weshalb er die eingewendete Gegenforderung trotz der ihm von seinen Mandanten ausgehändigten Unterlagen nicht schlüssig stellen und die darauf Bezug nehmenden Unterlagen nicht vorlegen konnte (Verfahren AZ 10 DV 28/20).
[5] Über den Beschuldigten wurde im Verfahren AZ 7 DV 25/19 eine Geldbuße von 3.500 Euro sowie im Verfahren AZ 10 DV 28/20 eine Zusatzstrafe von 2.000 Euro verhängt.
Rechtliche Beurteilung
[6] Nach § 16 Abs 6 DSt ist bei der Verhängung der Strafe auf die Größe des Verschuldens des Beschuldigten, aber auch auf die daraus entstandenen Nachteile, einerseits für die rechtssuchende Bevölkerung, andererseits für das Ansehen der Rechtsanwaltschaft und – bei Ausspruch einer Geldbuße – auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse Bedacht zu nehmen (Lehner in Engelhart et al, RAO10 § 16 Rz 17 mwN; 27 Ds 1/17d; 20 Ds 13/20x). Aus den ebenfalls anzuwendenden Bestimmungen der §§ 32 ff StGB gilt es zu berücksichtigen, ob die Tat auf einer gegenüber den rechtlichen geschützten Werten ablehnenden oder gleichgültigen Einstellung des Täters beruht oder ob sie auf äußere Umstände und Beweggründe zurückzuführen ist, durch die auch ein mit den rechtlich geschützten Werten verbundener Mensch straffällig werden könnte (Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 7 ff).
[7] Durch den ausdrücklichen Hinweis auf die aus der Tat folgenden Gefährdung oder Schädigung der geschützten Interessen, die der Täter verschuldete, kommt dem Erfolgs- und Handlungsunwert einer Tat besondere Bedeutung zu (Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 75 f). Ein maßgeblicher Anteil am Ansehen und der Bedeutung der Rechtsanwaltschaft besteht darin, als Organ der Rechtspflege (EuGH C‑516/17 ) den (materiellen) Gesetzen des Staates Geltung zu verschaffen, also in deren höherem Interesse zu agieren und wesentliche Funktionen der Rechtspflege zu übernehmen. Beteiligt sich ein Rechtsanwalt an einer Gesetzesumgehung oder sogar an der Verletzung strafgesetzlich geschützter Normen, ist ein derartiges Verhalten im besonderen Ausmaß geeignet, die Bedeutung und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft zu gefährden oder zu schädigen (20 Os 7/16d: „[…] pervertierte zur Unterstützung strafgesetzwidrigen Verhaltens …“). Das in einem solchen Fall verwirklichte Erfolgs- und Handlungsunrecht der Tat steht daher der vom Disziplinarrat ausgesprochenen teilbedingten Strafnachsicht präventiv entgegen, sodass – in Stattgebung der kammeranwaltlichen Berufung, jedoch entgegen jener des Beschuldigten – die Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten zu vollziehen ist.
[8] Der Disziplinarrat wird davor nach § 19 Abs 7 zweiter Satz DSt vorzugehen haben.
[9] Hinsichtlich der Höhe der Geldbuße war allerdings – vor allem im Vergleich zu jenem Sachverhalt, der der Entscheidung 20 Os 7/16d zugrunde lag – bei der Strafbemessung mildernd die Art und Weise des Angriffs des Beschuldigten sowie vor allem seine Motivation für die Beitragstäterschaft zu berücksichtigen. Das Motiv ist zwar regelmäßig irrelevant für die Strafbegründungsschuld, bei der Bemessung der Strafe allerdings von nicht unerheblicher Beachtlichkeit.
[10] Eine der wesentlichen Unterschiede zu der Vorentscheidung besteht darin, dass das Hauptmotiv des Beschuldigten gewesen ist, „[…] seiner Mandantin in einer existenziellen Grenzsituation beizustehen (ES 4)“. Tatsächlich hatte die unmittelbare Täterin behauptet, durch die Aufgabe des Vermögens mögliche Angriffe ihres Sohnes auf ihre körperliche Integrität in Zukunft vermeiden zu können. Außerdem war es (ebenfalls ES 4) für den Beschuldigten keineswegs gewiss, dass seine Mandantin nach der Vermögensübertragung möglichen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen konnte. Das Strafgericht nahm diese mildernden Umstände zum Anlass, das Strafverfahren durch Diversion nach § 200 StPO zu beenden. Dies setzte voraus, dass dem Beschuldigten kein schweres Verschulden an der Tat vorzuwerfen ist. Mit anderen Worten: auch das Strafgericht ging von einem geminderten Handlungsunrecht aus. Zwar bestand zufolge Fehlens eines Urteils daran keine rechtliche Bindung des Disziplinarrats (vgl umgekehrt RIS‑Justiz RS0056864), auch ist das disziplinarrechtliche Schutzobjekt keineswegs ident mit der strafrechtlich relevanten Tat (vgl 20 Os 1/15w, wonach ein strafgerichtlich zu ahndendes Verhalten neben dem unmittelbaren Gesetzesverstoß auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes mit sich bringen kann). Im Sinne der Einheit der Rechtsordnung wäre es aber im Gegenstand nicht gerechtfertigt, im Gegensatz zu den Strafverfolgungsbehörden eine gegenteilige Bewertung vorzunehmen.
[11] Zusätzlich ist ins Kalkül zu ziehen, dass sich der Beschuldigte im Gegensatz zum Täter der Vorentscheidung, der (auch im Eigeninteresse) sogar noch Verschleierungshandlungen setzte, bemüht hat, sofort den Schaden durch Naturalrestitution gutzumachen. Auch hat der Beschuldigte – entgegen der Annahme des Disziplinarrats – zur tatbestandsmäßigen Erfassung durchaus beigetragen, als er seinen bedingten Vorsatz ohne Abstriche eingestand.
[12] Allerdings ist und bleibt erschwerend die massive Schädigung des Ansehens der Rechtsanwaltschaft durch die Beteiligung an einer Straftat, weiters das Vorliegen mehrerer strafbarer Handlungen (dadurch, dass auf die beiden vorangehenden Verurteilungen Bedacht zu nehmen ist, liegen – entgegen der Berufung des Kammeranwalts – keine Vorverurteilungen vor).
[13] Die Zusatzgeldbuße war aus diesen Gründen – in Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts, aber entgegen jener des Beschuldigten – von 6.000 Euro auf 9.000 Euro zu erhöhen.
[14] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 38 Abs 2 DSt.
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