OGH 7Ob62/22a

OGH7Ob62/22a28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und HofräteMag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* A*, vertreten durch Dr. P. Sellemond, Dr. W. Platzgummer, Mag. R. Sellemond, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei G* AG, *, vertreten durch Dr. Martin Wuelz, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 8.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Jänner 2022, GZ 2 R 199/21k‑16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 18. August 2021, GZ 17 C 552/19s‑12, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00062.22A.0428.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,24 EUR (darin enthalten 156,54 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Unfallversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für den Unfallschutz (AUVB 2016) zu Grunde liegen. Diese lauten auszugsweise:

§ 10 Was ist nicht versichert?

Was ist eingeschränkt versichert?

1. Kein Versicherungsschutz besteht für Unfälle:

[...]

1.9 Die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeugs beteiligt,

‑  beim Fahren auf Rennstrecken oder Trainingsanlagen für Motorsport

‑ an Fahrtveranstaltungen einschließlich der offiziellen Trainings‑ und Qualifikationsfahrten, bei denen es auf das schnellstmögliche Zurücklegen einer vorgegebenen Fahrtstrecke oder die Bewältigung von Hindernissen bzw schwierigem Gelände ankommt.

[...]“

[2] Der Kläger kam am 27. 7. 2018 mit einer Enduro‑Motocross‑Maschine in der Offroad‑Arena‑A* zu Sturz und zog sich Verletzungen an der rechten Schulter zu. In dem Offroad-Park gibt es speziell angelegte Offroad-Strecken, die mit Elektro‑Enduro‑Motocross‑Maschinen befahren werden können. Auf diesen Strecken sind aus Bodenaushubmaterial Hügel und Kurven eingebaut sowie Hindernisse mit Holz und Steinen errichtet. Es ist auch möglich, kleinere Sprünge zu absolvieren. Die Strecke kann von bis zu 25 Fahrzeugen gleichzeitig befahren werden. Der Unfall des Klägers ereignete sich, als dieser einen anderen Enduro‑Motorradfahrer überholen wollte. Dabei geriet der Kläger zu weit nach links zur Streckenbegrenzung in weicheres Gelände, wodurch er gebremst wurde und praktisch zum Stillstand kam, das Gleichgewicht verlor und mit seinem Motorrad nach rechts umkippte.

[3] Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die Beklagte für die Unfallfolgen der dauernden Invalidität als Folge des Unfalls des Klägers vom 27. 7. 2018 hafte und die Zahlung einer Versicherungsleistung für dauernde Invalidität in Höhe von 8.000 EUR sA. Er brachte – soweit im Revisionsverfahren von Interesse – vor, dass der wegen Unverhältnismäßigkeit unwirksame Risikoausschluss des § 10.1.9 AUVB 2016 nicht zur Anwendung komme, weil es sich bei der vom Kläger befahrenen Strecke um eine reine Übungsstrecke handle, bei der es um Geschicklichkeit und nicht um Geschwindigkeit gehe.

[4] Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Die vom Kläger benützte Offroad-Anlage sei eine Trainingsanlage für Motorsport, auf der in einem rauen, nicht asphaltierten Gelände mit Hindernissen, Steilhängen und Kurven gefahren werde. Der Risikoausschluss des § 10.1.9 erste Variante AUVB 2016 sei daher erfüllt.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Risikoausschluss des Fahrens auf einer Trainingsanlage für Motorsport sei erfüllt. Bei der vom Kläger befahrenen Strecke handle es sich um eine Übungsstrecke zum Motocross-Fahren, auf der Kurven und Hindernisse eingebaut seien und wo es auch möglich sei, kleinere Sprünge zu absolvieren.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Training bedeute die planmäßige Durchführung eines Programms von vielfältigen Übungen zur Ausbildung von Können, Stärkung der Kondition und Steigerung der Leistungsfähigkeit. Ein Training auf dem Motorrad sei in der Offroad-Arena-A* jedenfalls absolvierbar, bestehe doch die Möglichkeit, mit dem Motorrad Hindernisse zu bewältigen und Kurvenfahren auf nicht asphaltiertem Gelände zu üben und infolgedessen darin besser zu werden. Der Risikoausschluss sei gegeben.

[7] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur konkreten Vertragsklausel höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[8] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1.1 Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen, dabei ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[12] 1.2 Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10], RS0080068). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RS0107031).

[13] 2.1 Die gegenständliche Klausel regelt mehrere selbstständige Ausschlussgründe. Sie kann aus Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers nur dahin verstanden werden, dass der Risikoausschluss einerseits die Teilnahme an einer Fahrtveranstaltung einschließlich der offiziellen Trainings‑ und Qualifikationsfahrten mit Motorfahrzeugen umfasst, bei denenes auf die schnellstmögliche Zurücklegung einer vorgegebenen Fahrstrecke oder die Bewältigung von Hindernissen bzw schwierigem Geländeankommt (zweite Variante) und andererseits das (bloße) Fahren auf einer Rennstrecke oder einer Trainingsanlage für Motorsport (erste Variante). Bereits der insoweit klare Wortlaut der Klausel steht der Auslegung des Klägers dahin, auch das Fahren auf einer Rennstrecke oder Trainingsanlage sei nur dann ausgeschlossen, wenn sich der Unfall im Rahmen einer Fahrtveranstaltung einschließlich der offiziellen Trainings‑ und Qualifikationsfahrten ereigne, entgegen.

[14] 2.2 Der Sinn und Zweck des Ausschlusses auch von Fahrten auf Rennstrecken und Trainingsanlagen – außerhalb von Fahrveranstaltungen – ergibt sich daraus, dass bei diesen Fahrten typischerweise entweder weit höhere Geschwindigkeiten als im Straßenverkehr eingehalten und dabei die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Fahrzeug und/oder Fahrkönnen ausgelotet werden (7 Ob 132/15k) oder aber die Geschicklichkeit mit dem Fahrzeug durch die Bewältigung von Hindernissen bzw schwierigem Gelände ausgereizt oder trainiert wird. Derartige Fahrten mit Motorfahrzeugen in eigens dafür geschaffenen Trainingsbereichen von bis zu 25 Fahrzeugen gleichzeitig sind – im Vergleich zum Motorradfahren im öffentlichen Straßenverkehr – mit erhöhten Gefahren verbunden. Erfordert das Befahren solcher Strecken doch ein besonderes Maß an Umsicht und Geschicklichkeit mit dem Motorrad und es besteht zweifelsohne eine höhere Unfall‑ und Verletzungswahrscheinlichkeit.

[15] 3.1 Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht, ist die Bestimmung auch nicht gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB.

[16] 3.2 Gemäß § 879 Abs 3 ABGB ist eine inAllgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beidseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). Im Versicherungsvertragsrecht liegt eine gröbliche Benachteiligung nicht nur dann vor, wenn der Vertragszweck geradezu vereitelt oder ausgehöhlt wird, sondern bereits dann, wenn die zu prüfende Klausel eine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard bringt, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann (RS0128209 [insb T2]). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0016914 [T4, T32]).

[17] 3.3 Jedem Versicherungsnehmer muss das Wissen zugemutet werden, dass einem (Unfall‑)Versicherungsvertrag gewisse Begrenzungsnormen zugrunde liegen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat daher grundsätzlich mit Risikoausschlüssen und ‑einschränkungen zu rechnen (RS0016777). Sie sind insoweit grundsätzlich weder ungewöhnlich noch im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend (7 Ob 184/21s mwN). Dies gilt umso mehr vor dem bereits dargestellten Zweck der Bestimmung, eine erhöhte Gefahrensituation – wie in der Unfallversicherung üblich – aus den Versicherungsschutz auszunehmen (7 Ob 70/21a).

[18] 3.4 Wie bereits aus den in Pkt 2.2. angeführten Gründen ersichtlich ist,sind Fahrten auf Trainingsanlagen typischerweise im Vergleich zum Motorradfahren im öffentlichen Straßenverkehr mit erhöhten Gefahren verbunden. Es führt daher zu keiner unsachlichen Benachteiligung des Versicherungsnehmers, wenn der Versicherer Unfälle bei Fahrten auf solchen Anlagen für Motorsport als gefährlich aus dem Versicherungsschutz ausschließt.

[19] 3.5 Die Vorinstanzen beurteilten damit die Klausel zutreffend als wirksam.

[20] 4. Nach den Feststellungen des Erstgerichts gibt es in der Offroad-Arena-A* speziell angelegte Offroad‑Strecken, die mit Enduro‑Motorrädern befahren werden können. Auf diesen Strecken sind aus Bodenaushubmaterial Hügel und Kurven eingebaut und Hindernisse aus Steinen und Holz angelegt, wobei es auch möglich ist, kleinere Sprünge zu absolvieren.

[21] Die Beurteilung der Vorinstanzen, bei der vorliegenden Offroad-Arena-A* handle es sich um eine Trainingsanlage für Motorsport ist gleichfalls zutreffend, weil die Strecke die Möglichkeit bietet, die Geschicklichkeit beim Befahren von Kurven und kleinen Hindernissen auf erdig‑sandigem Mischboden zu verbessern.

[22] 5. Richtig verneinten die Vorinstanzen davon ausgehend die Leistungspflicht der Beklagten bereits aufgrund des Vorliegens des Risikoausschlusses nach § 10.1.9 AUVB 2016.

[23] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO.

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