Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.540,44 EUR (darin enthalten 256,74 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und die Beklagte haben einen Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen, dem die *****Allgemeine Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB ***** ‑ in Folge AUVB) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„Abschnitt C: Begrenzungen des Versicherungsschutzes
...
Artikel 22
Welche Unfälle sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen?
Ausgeschlossen von der Versicherung sind Unfälle
...
22.2. die bei Beteiligung an motorsportlichen Wettbewerben (auch Wertungsfahrten, Fahren auf Rennstrecken und Rallyes) und den dazugehörenden Trainingsfahrten entstehen ...“
Am 29. April 2014 befuhr der Kläger ‑ neben rund 20 weiteren Motorradfahrern ‑ mit seinem nicht zum öffentlichen Verkehr zugelassenen Motorrad den Slovakia Ring. Dabei hatte er ohne Fremdeinwirkung einen Unfall, dessen genaue Begleitumstände nicht festgestellt werden können. Der Unfall ereignete sich nicht im Zusammenhang mit einem Motorradrennen oder einer motorsportlichen Wettbewerbsveranstaltung. Dem Kläger ging es bei seiner Fahrt nicht um die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten oder das Überholen anderer Fahrer. Er wählt bei derartigen Fahrten auf Rennstrecken jene Geschwindigkeiten, die er sich zutraut, wobei dies auf Geraden an die 200 bis 220 km/h sein können.
Der Kläger begehrt die Zahlung von 26.150,78 EUR sA. Durch den Unfall sei eine dauernde Invalidität von zumindest jeweils 10 % im Bereich der Wirbelsäule und am rechten Arm eingetreten. Die „Rennstreckenklausel“ (Art 22.2. AUVB) sei nicht anwendbar, weil sich der Unfall nicht bei einem motorsportlichen Wettbewerb mit Wettkampf‑ bzw Trainingscharakter, sondern im Rahmen einer „Freien Fahrt“ bei einer Freizeitveranstaltung ereignet habe. Die Art 22.2. AUVB enthaltene Passage „Fahren auf Rennstrecken“ könne systematisch nur im Zusammenhang mit motorsportlichen Veranstaltungen oder Trainingsfahrten verstanden werden. Zumindest liege diesbezüglich eine unklare Vertragsbestimmung vor, die zu Lasten der Beklagten auszulegen sei. Sie sei auch gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB, soweit sie das bloße Fahren auf Rennstrecken vom Versicherungsschutz ausnehme und insofern auch sittenwidrig, weil sich ein derart weitreichender Ausschluss weder in den Musterbedingungen des Verbands der Versicherungsunternehmen Österreichs noch in vergleichbaren deutschen Versicherungsbedingungen finde.
Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Der Motorradunfall vom 29. April 2014 sei aufgrund der „Rennstreckenklausel“ nicht vom Versicherungsschutz umfasst.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach Art 22.2. AUVB sei auch das außerhalb eines motorsportlichen Wettbewerbs stattfindende Fahren auf einer Rennstrecke vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Der Wortlaut der gegenständlichen Ausschlussklausel lasse nur das Verständnis zu, dass als motorsportlicher Wettbewerb, für den kein Versicherungsschutz bestehe, unter anderem auch das (bloße) „Fahren auf Rennstrecken“ gelte. Wären damit lediglich Fahrten bei Wettbewerben oder Rennen gemeint, würde es sich bei dieser Wortfolge um einen überflüssigen Einschub handeln, weil motorsportliche Wettbewerbe bekanntermaßen zu einem erheblichen Teil auf Rennstrecken stattfinden und dies keiner besonderen Erwähnung bedürfte. Ferner wäre bei einem solchen Verständnis das ‑ deutlich auf eine Erweiterung des maßgeblichen Begriffsinhalts hinweisende ‑ Wort „auch“ entbehrlich. Die Wortinterpretation führe damit zu einem für jeden durchschnittlich verständigen Leser der Klausel eindeutigen Ergebnis. Eines Rückgriffs auf die Unklarheitenregel des § 915 ABGB bedürfe es damit nicht.
Die Ausnahme vom Versicherungsschutz sei aber auch inhaltlich unbedenklich und halte einer Prüfung unter dem Blickwinkel des § 879 Abs 1 und 3 ABGB stand. Für gewöhnlich werde jemand nur dann sein Kraftfahrzeug (gegen Entgelt) auf einer für den allgemeinen Verkehr gesperrten Rennstrecke bewegen, wenn er an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Fahrzeugs und/oder seines Fahrkönnens gehen und in einer Weise fahren wolle, wie es (insbesondere hinsichtlich der Wahl der Geschwindigkeit und der Fahrlinie) im öffentlichen Straßenverkehr weder möglich noch erlaubt sei. Ein derartiges Fahrverhalten sei ‑ schon wegen des in der Regel weit höheren Fahrtempos, vor allem auch in Kurven ‑ typischerweise mit einer erheblichen Erhöhung des Unfallrisikos verbunden, das durch das Vorhandensein von besonderen Sicherheitsvorkehrungen und das Fehlen von Gegenverkehr nur teilweise kompensiert werde. Es sei daher sachgerecht, wenn ein Unfallversicherer das Fahren auf Rennstrecken wegen seiner potentiell größeren Risikogeneigtheit generell vom Versicherungsschutz ausnehme.
Das Berufungsgericht sprach aus, die Revision sei zulässig, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Reichweite und Zulässigkeit einer „Rennstreckenklausel“ vorliege.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).
Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166 [T10]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungs-zusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RIS‑Justiz RS0107031).
1.1 Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass die Wortfolge „(auch Wertungsfahrten, Fahren auf Rennstrecken und Rallyes)“ eine Ergänzung zu dem vor der Klammer befindlichen Ausdruck „motorsportliche Wettbewerbe“ darstellt und somit aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers die gegenständliche Ausschlussklausel nur das Verständnis zulässt, dass als motorsportlicher Wettbewerb, für den kein Versicherungsschutz besteht unter anderem auch das (bloße) „Fahren auf Rennstrecken“ gilt. Wären damit lediglich Fahrten bei Wettbewerben oder Rennen gemeint, würde es sich bei der genannten Wortfolge um einen überflüssigen Einschub handeln. Ferner wäre bei einem solchen Verständnis das ‑ deutlich auf eine Erweiterung des maßgeblichen Begriffsinhalts hinweisende ‑ Wort „auch“ entbehrlich. Der Sinn und Zweck des Ausschlusses von Fahrten auf Rennstrecken erhellt sich bereits daraus, dass bei solchen Fahrten weit höhere Geschwindigkeiten als im Straßenverkehr eingehalten werden und dabei die Grenzen der Leistungsfähigkeit von Fahrzeug und/oder Fahrkönnen ausgelotet werden. So steht fest, dass der Kläger selbst bei derartigen Fahrten Geschwindigkeiten von bis zu 200 bis 220 km/h einhält. Art 22.2. AUVB ist damit nicht unklar nach § 915 ABGB.
1.2.1 Die Entscheidungen OLG Karlsruhe, 12 U 107/07 und OLG Frankfurt, 7 U 202/13, auf die sich der Kläger bezieht, betreffen die KFZ‑Haftpflichtversicherung. Die dort zugrunde liegenden AKB 2004 schließen Schäden bei „Fahrveranstaltungen, bei denen es auf Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankommt, oder bei den dazugehörigen Übungsfahrten“ aus. Aus diesen mit der gegenständlichen Klausel auch nicht vergleichbaren deutschen Bedingungen ist für den Kläger nichts zu gewinnen.
1.2.2 Die vom Kläger herangezogenen Ausführungen Grimms (in Unfallversicherung5, AUB 2010 Rz 60) beziehen sich zwar auf die Unfallversicherung, beruhen aber ebenfalls auf einer nicht vergleichbaren Bedingungslage, wonach Unfälle, die der versicherten Person dadurch zustoßen, dass sie sich als Fahrer, Beifahrer oder Insasse eines Motorfahrzeugs an Fahrveranstaltungen einschließlich den dazugehörigen Übungsfahrten beteiligt, für die es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt, nicht unter den Versicherungsschutz fallen.
2. Soweit der Kläger argumentiert, die gegenständliche Ausschlussklausel sei sittenwidrig, weil der Einbezug des allgemeinen Fahrens auf Rennstrecken ‑ im Hinblick auf das Fehlen vergleichbarer Bedingungen ‑ jeder Übung des Verkehrs widerspreche, bezieht er sich inhaltlich auf § 864a ABGB.
Nach der der Inhaltskontrolle vorangehenden (RIS‑Justiz RS0037089) Geltungskontrolle nach § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde nicht zu rechnen brauchte, es sei denn, der eine Vertragsteil hätte den anderen besonders darauf hingewiesen. Verstößt eine Vertragsbestimmung gegen diese Vorschrift, so gilt der Vertrag ohne sie.
Objektiv ungewöhnlich ist nur eine Klausel, die von den Erwartungen der Vertragspartei deutlich abweicht, mit der sie also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen brauchte. Der Klausel muss also ein Überraschungs‑ oder Übertölpelungseffekt innewohnen. Insbesondere dann, wenn nur ein beschränkter Adressatenkreis angesprochen wird, kommt es auf die Branchenüblichkeit und den Erwartungshorizont der angesprochenen Kreise an (RIS‑Justiz RS0014646). Die Ungewöhnlichkeit eines Inhalts ist nach dem Gesetzestext objektiv zu verstehen. Die Subsumtion hat sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Ein Abstellen auf die subjektiven Erwartungen gerade für den anderen Teil ist daher ausgeschlossen (RIS‑Justiz RS0014627).
Zahlreiche Unfallversicherungsbedingungen schließen besonders gefahrengeneigte Tätigkeiten vom Versicherungsschutz aus. Ein Versicherungsnehmer muss daher damit rechnen, dass die Unfallversicherung Unfälle aus besonders gefährlichen Hobbys nicht umfasst. Ein Risikoausschluss für wettbewerbsmäßigen Motorsport entspricht den Musterbedingungen. Der Versicherungsnehmer kann aber auch nicht von einem Ausschluss für ohne unmittelbare Wettbewerbsabsicht betriebenen Motorsport auf einer Wettbewerbsstrecke überrascht sein, werden bei solchen Fahrten doch üblicherweise ‑ wie bei einem Wettbewerb selbst ‑ sehr hohe Geschwindigkeiten eingehalten und die Grenzen des Fahrkönnens und/oder des Fahrzeugs ausgelotet.
Der Ausschluss ist daher nicht objektiv ungewöhnlich, er ist auch nicht im Text „versteckt“. Ein durchschnittlich sorgfältiger Leser kann ihn schon im Hinblick auf die Überschrift zu Art 22 AUVB dort finden, wo er zu vermuten ist.
3. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. § 879 Abs 3 ABGB geht von einem sehr engen Begriff der „Hauptleistung“ aus. Für Versicherungsverträge gibt es den Kernbereich der Leistungsumschreibung, der kontrollfrei ist. Kontrollfrei ist in Allgemeinen Versicherungsbedingungen jedenfalls die Festlegung der Versicherungsart und die Prämienhöhe. Im Übrigen ist die Leistungsbeschreibung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Inhaltskontrolle zugänglich, ohne dass es darauf ankäme, ob es sich um die Stufe der primären Umschreibung der versicherten Gefahr oder um Risikoausschlüsse handelt. Kontrollmaßstab für die Leistungsbeschreibung außerhalb des Kernbereichs sind die berechtigten Deckungserwartungen des Versicherungsnehmers (RIS‑Justiz RS0128209).
Bei der Beurteilung, ob eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in einem Vertragsformblatt enthaltene Bestimmung eine „gröbliche“ Benachteiligung eines Vertragspartners bewirkt, hat sich der Rechtsanwender am dispositiven Recht als dem Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessensausgleichs zu orientieren (RIS‑Justiz RS0014676 [T7, T43]). Nach ständiger Rechtsprechung können Abweichungen vom dispositiven Recht unter Umständen schon dann eine gröbliche Benachteiligung sein, wenn sich dafür keine sachliche Rechtfertigung ins Treffen führen lässt. Das ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RIS‑Justiz RS0014676 [T21]; RS0016914 [T2, T4, T6, T32]). Bei der Angemessenheitsprüfung nach § 879 Abs 3 ABGB ist objektiv auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Für diesen Zeitpunkt ist eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenprüfung vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0016913 [T3, T8]).
Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht liegt im hier zu beurteilenden Fall keine Benachteiligung im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB vor. Zum einen besteht keine einschlägige dispositive Regelung, an der man sich in dieser Hinsicht orientieren könnte. Zum anderen führt es nicht zu einer unsachlichen Benachteiligung des Versicherungsnehmers, dass der Versicherer Unfälle aus Fahrten auf Rennstrecken mit üblicherweise sehr hohen Geschwindigkeiten als besonders gefährlich aus dem Versicherungsschutz ausschließt. Zutreffend ging bereits das Berufungsgericht davon aus, dass bei derartigen Fahrten aufgrund des höheren Fahrtempos die Unfall‑ und Verletzungswahrscheinlichkeit weitaus höher ist als bei Fahrten im normalen Straßenverkehr, was durch fehlenden Gegenverkehr und besondere Sicherheitsvorkehrungen nicht ausgeglichen wird.
5. Der Revision war der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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