OGH 12Os35/22x

OGH12Os35/22x28.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Strafsache gegen * K* wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 15. Dezember 2021, GZ 52 Hv 13/21t‑86, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0120OS00035.22X.0428.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Schuldspruch zu I.A. und I.B. richtet, wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu IV. und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang, und zwar

1. in Betreff des kassierten Schuldspruchs zu IV. mit dem Auftrag, hinsichtlich des diesem zugrundeliegenden Verhaltens gemäß § 37 SMG vorzugehen,

2. im Übrigen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde und seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Relevanz – der Angeklagte * K* des Verbrechens derVergewaltigung nach § 201 (richtig: Abs 1 und) Abs 2 erster Fall StGB (I.A.) sowie jeweils eines Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 erster Fall StGB (I.B.) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (IV.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W*

I. von 28. bis 29. Mai 2021 * M*

A. mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er ihr zuerst ein Stanleymesser mit ausgefahrener Klinge vorhielt, zu ihr äußerte, dass er zuerst sie und dann sich selbst umbringe und sie ihm gehöre, sie sodann aufs Bett drückte, ihr mit der Faust mehrfach ins Gesicht schlug, sie festhielt, ihr neuerlich das Stanleymesser vorhielt und letztlich den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, welche in ihrem Ausmaß einer an sich schweren Gesundheitsschädigung (iSd § 84 Abs 1 StGB) gleichkommt, zur Folge hatte, und

B. widerrechtlich gefangen gehalten, indem er sie in seiner Wohnung für mehrere Stunden einsperrte und den Schlüssel in seine Hosentasche steckte, sowie

IV. vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain mit dem Wirkstoff Cocain in unbekannter Menge, zu einem unbekannten Zeitpunkt ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und bis zum 28. Mai 2021 besessen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen den Schuldspruch zu I.A. und I.B. richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, Z 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der (zu I.A. ausgeführten) Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider steht die Aussage des Opfers über Gemütsschwankungen des Angeklagten nach der Tat und sein Entsetzen über das eigene Verhalten den Feststellungen zum Fehlen der Voraussetzungen des § 11 StGB sowie zur subjektiven Tatseite (US 7) nicht erörterungsbedürftig entgegen (vgl RIS‑Justiz RS0098646).

[5] Zu I.B. begründeten die Tatrichter die Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten, M* widerrechtlich gefangen zu halten, mit seinem Verhalten, nämlich dem Versperren der Wohnung und Aufbewahren des Schlüssels in seiner Hosentasche (US 14), und – von der Mängelrüge übergangen (vgl aber RIS‑Justiz RS0119370) – mit seiner letztlich geständigen Verantwortung (US 12 f). Indem dieMängelrüge (Z 5 vierter Fall) bloß günstigere Schlussfolgerungen aus dem Verhalten des Angeklagten zieht, bekämpft sie unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung (vgl RIS‑Justiz RS0114524).

[6] Dem weiteren Einwand der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider stehen (in der Beschwerde nur teilweise bezeichnete) Verfahrensergebnisse betreffend das Verhalten des Opfers vor der Tat (gemeinschaftliche Rückkehr mit dem Angeklagten in die Wohnung, nachdem sie diese ebenfalls gemeinsam verlassen hatten) und danach (Verbleib in der unversperrten, leeren Wohnung bis zum Eintreffen des Lebensgefährten) nicht im erörterungsbedürftigen Widerspruch zu den Festellungen, wonach der Angeklagte M* gegen ihren Willen gefangen hielt und sein Vorsatz darauf gerichtet war (US 8).

[7] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a [nominell auch Z 10]) behauptet, dass die Nötigung der M* zur Duldung des Beischlafs und das widerrechtliche Gefangenhalten der Genannten in einem engen zeitlichen Zusammenhang gestanden und einem einheitlichen, auf die Erzwingung des (hier) Beischlafs gerichteten Tätervorsatz entsprungen seien, orientiert sie sich nicht an den Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte nach der Vergewaltigung gemeinsam mit M* die Wohnung verließ und sie erst nach der (gemeinschaftlichen) Rückkehr widerrechtlich gefangen hielt (US 8 und 18; vgl aber RIS‑Justiz RS0099810; vgl zum Verhältnis der §§ 99, 201 StGB Philipp in WK² StGB § 201 Rz 51).

[8] In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen.

[9] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – davon, dass dem Schuldspruch zu IV. eine sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10a StPO) anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[10] Nach den Feststellungen hat der Angeklagte das im Spruch genannte Suchtgift ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch erworben und besessen (US 8). Wurde durch die Tat § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG verwirklicht, so ist ein diversionelles Vorgehen nach § 35 Abs 1 (iVm § 37) SMG – bei Vorliegen auch der sonstigen Voraussetzungen und Bedingungen (§ 35 Abs 3 bis 7 SMG) – stets geboten (RIS‑Justiz RS0131952). Der Umstand, dass der Angeklagte weiterer, mit dem Suchtmittelgesetz in keinem Zusammenhang stehender Verbrechen oder Vergehen schuldig erkannt wurde, hindert eine solche vorläufige Verfahrenseinstellung nicht (RIS‑Justiz RS0113621).

[11] Da das Erstgericht, das dennoch nicht nach § 37 SMG vorgegangen ist, im Urteil keine die Diversionsvoraussetzungen ausschließende Feststellungen traf, liegt ein Rechtsmangel vor, der die (implizite rechtliche) Annahme der Beseitigung eines (nach dem Urteilssachverhalt gegebenen) Ausnahmesatzes (vorliegend Diversion) unschlüssig macht (vgl RIS‑Justiz RS0122332 [T11, T12]). Dies erforderte die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang verbunden mit dem Auftrag eines Vorgehens nach § 37 SMG hinsichtlich des kassierten Schuldspruchs zu IV. (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm §§ 285e, 288 Abs 2 Z 2a StPO).

[12] Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung zu verweisen.

[13] Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte