European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00026.22K.0329.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die klagende Partei vertrieb als langjährige Vertriebspartnerin und Vertragshändlerin der beklagten Partei deren Produkte (Kopfhörer, Lautsprecher etc). Dem lagen zwei befristete, aber immer wieder automatisch verlängerte und adaptierte Verträge („Partner‑Vertrag“ und „Pro‑Vertrag“) zugrunde. Am 11. 11. 2016 kündigte die Beklagte den Partner-Vertrag wegen mehrerer schwerwiegender Vertragsverletzungen mit sofortiger Wirkung und stellte die Belieferung der Klägerin am selben Tag ein. Der zweite Vertrag wurde am 22. 12. 2016 zum 31. 3. 2017 gekündigt.
[2] Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass die Kündigungen unwirksam seien und das Vertragsverhältnis zwischen den Streitteilen aufrecht sei. Weiters erhob sie wegen der Einstellung der Belieferung ein auf Schadenersatz gestütztes Zahlungsbegehren über 874.943 EUR sA. Sollte das Gericht zum Ergebnis kommen, dass die Kündigungen rechtswirksam seien, stünde ihr ein Ausgleichsanspruch (analog) nach § 24 HVertrG 1993 zu, weshalb sie mit hilfsweise erhobener Stufenklage nach Art XLII EGZPO begehrte, die Beklagte zu verurteilen, über die von ihr realisierten Deckungsbeiträge hinsichtlich der von der Klägerin für die beklagte Partei durchgeführten Verkäufe ihrer Produkte Rechnung zu legen und den sich aufgrund der Rechnungslegung ergebenden Betrag zu bezahlen, wobei die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungsbegehrens bis zur Rechnungslegung vorbehalten bleibt. Für den Fall, dass der Anspruch auf Rechnungslegung verneint werde, stellte die Klägerin ein weiteres Eventualbegehren auf Zahlung von 223.674,84 EUR sA.
[3] Das Erstgericht wies mit Teil- und Zwischenurteil das Feststellungsbegehren ab und sprach aus, dass das Leistungsbegehren hinsichtlich der Teilforderung für das Wirtschaftsjahr 2016 von 158.943 EUR sA dem Grunde nach zu Recht besteht. Das darüber hinausgehende Leistungsbegehren von 716.000 EUR sA wies es ebenso ab wie das auf Art XLII EGZPO gestützte erste Eventualbegehren. Hinsichtlich des zweiten Eventualbegehrens sprach es aus, dass das diesbezügliche Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe.
[4] Das Berufungsgericht hob die Entscheidung zum zweiten Eventualbegehren auf und trug dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Im Übrigen wurde das Ersturteil bestätigt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Rechtliche Beurteilung
[5] In der gegen das Berufungsurteil erhobenen außerordentlichen Revision der Klägerin, zielt diese erkennbar auf die gänzliche Stattgabe des Hauptbegehrens, hilfsweise des ersten Eventualbegehrens ab. Der verfehlte Rechtsmittelantrag, der sich missverständlich nur auf das erste Eventualbegehren bezieht, schadet im Anlassfall nicht (RS0109220), weil die Entscheidung im Zweifel (vgl 2 Ob 111/21v Rz 16 mwN) im Hinblick auf die umfassende Anfechtungserklärung, die inhaltlichen Ausführungen im Rechtsmittel zur (das Hauptbegehren betreffenden) Wirksamkeit der Kündigung und die ziffernmäßige Anführung des Rechtsmittelinteresses auch hinsichtlich des Hauptbegehrens als angefochten gilt.
[6] 1. Das Berufungsgericht hat über das Haupt- und Eventualbegehren entschieden. Für die Beurteilung der Revisionszulässigkeit reicht es daher aus (Lovrek in Fasching/Konecny 3 § 502 ZPO Rz 164), dass das Hauptbegehren (Zahlungsbegehren) die Wertgrenze von 30.000 EUR übersteigt, sodass eine Bewertung des (ersten) Eventualbegehrens nicht erforderlich war (vgl RS0042305 [T2]; vgl auch RS0039370). Der Zulässigkeit des Rechtsmittels stehen damit keine Wertgrenzen entgegen.
[7] Die außerordentliche Revision ist aber mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
[8] 2. Die Ausführungen zur Berechnung des Ausgleichsanspruchs nach § 24 HVertrG 1993, mit der die Klägerin die Berechtigung ihres Rechnungungslegungsbegehrens stützt, zeigen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[9] 2.1 Die nach § 24 Abs 1 Z 3 HVertrG 1993 „unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den betreffenden Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit“ entsprechend festzusetzende Ausgleichszahlung ist geradezu ein Musterbeispiel für eine nach dem jeweiligen Einzelfall zu treffende Billigkeitsentscheidung. Abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung begründet sie deshalb regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage (RS0112590). Wegen der notwendigerweise an den Besonderheiten des Einzelfalls auszurichtenden Ermittlung des Anspruchs ist – entgegen der Auffassung der Klägerin – für pauschale Berechnungsweisen oder die Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach festen Formeln grundsätzlich kein Raum (RS0116276). Es besteht nach § 24 HVertrG 1993 kein Anspruch auf den höchstmöglichen irgendwie errechenbaren, sondern auf den der Billigkeit entsprechenden Ausgleich (8 ObA 55/16w).
[10] 2.2 Auf eine pauschale Berechnungsweise zielt das auf Art XLII EGZPO gestützte Begehren aber ab, weil die Klägerin ihr Zahlungsbegehren 1 : 1 an die von der Beklagten realisierten Deckungsbeiträge (iSd Roherträge) der von der Klägerin für die Beklagte durchgeführten Verkäufe knüpft, über die die Beklagte Rechnung legen soll. Wenn die Vorinstanzen im Anlassfall den erzielten Rohertrag, der dem Unternehmer von den Erlösen nach Abzug der variablen Kosten verbleibt, nicht als taugliche Grundlage für das in casu geltend gemachte Leistungsbegehren qualifizierten, bedarf das keiner Korrektur. Diese Ansicht entspricht – bei vergleichbarer Rechtslage (vgl § 89b Abs 1 Z 1 HGB) – auch der Rechtsprechung des BGH (VII ZR 69/19 NJW 2021, 69).
[11] 2.3 Die Klägerin stützt die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels zentral auf die Entscheidung des EuGH vom 26. 3. 2009, C-348/07 , Turgay Semen/Deutsche Tamoil GmbH. In dieser Entscheidung wurde der Begriff des Unternehmensvorteils allerdings nicht neu definiert. Es wurde lediglich ausgesprochen, dass der Ausgleichsanspruch eines Handelsvertreters nicht von vornherein mit seinen Provisionsverlusten begrenzt sein darf, auch wenn die dem Unternehmer verbleibenden Vorteile höher zu bewerten sind (Rn 25). Eine derartige Begrenzung enthält § 24 HVertrG 1993 aber ohnedies nicht (idS bereits 9 ObA 123/13y).
[12] 2.4 Aus dem Vorbringen der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren lassen sich keine Hinweise für das Vorliegen eines höheren Unternehmensvorteils ableiten. Derartiges wird auch im Rechtsmittel nicht behauptet. Einzelumsätze/gewinne mit Letztverbrauchern lassen keinen zwingenden Schluss auf einen (weiterwirkenden) höheren Unternehmensvorteil zu, der einem Ausgleichsanspruch zugrundeliegt, weshalb auch das Rechnungslegungsbegehren hier keinen Aufschluss bieten kann.
[13] 3. Auch die Ausführungen zur Konversion der Kündigung können die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.
[14] 3.1 Die Klägerin macht hier erkennbar einen sekundären Verfahrensmangel geltend und vermisst Feststellungen zur von ihr behaupteten sittenwidrigen Kündigung der Beklagten.
[15] 3.2 Die Feststellungsgrundlage wäre in diesem Sinn aber nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317).
[16] 3.3 Die Klägerin brachte vor, sie habe sich geweigert, bei der von der Beklagten gewünschten Preisgestaltung („bei den kartellrechtswidrigen Vorgängen“) „mitzuspielen“. Dies sei das Motiv für die Kündigung(en) gewesen. Dazu traf das Erstgericht aber eine Negativfeststellung, wonach nicht festgestellt werden konnte, dass die Weigerung der Beklagten ein Beweggrund für die Kündigung gewesen sei.
[17] 3.4 Wurden aber zu einem bestimmten Thema Tatsachenfeststellungen getroffen, mögen diese auch von den Vorstellungen des Rechtsmittelwerbers abweichen, können diesbezüglich keine rechtlichen Feststellungsmängel erfolgreich geltend gemacht werden (RS0053317 [T1]). Die Behauptung der hier beweisbelasteten Klägerin (vgl 8 Ob 126/17p, 10 Ob 52/15t ua), dass ihre Weigerung der tatsächliche Grund der Kündigung gewesen sei, konnte im Verfahren damit nicht bewiesen werden. Insoweit die Klägerin den Vorinstanzen vorwirft, dass diese die Relevanz weiterer Beweisaufnahmen zu Unrecht verneint hätten, bleibt offen, welche (weiteren) Feststellungen sie in diesem Zusammenhang vermisst.
[18] 4. Da die außerordentliche Revision damit insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt, die einer Klärung durch den Obersten Gerichtshof bedürfte, ist sie zurückzuweisen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)