OGH 10ObS197/21z

OGH10ObS197/21z29.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Arno Sauberer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI M*, vertreten durch Mag. Martin Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, wegen Feststellung der Berufsunfähigkeit, über die (außerordentlichen) Revisionsrekurse und die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen die Beschlüsse und das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Rekurs‑ und Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. September 2021, GZ 12 Rs 84/21 s‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:010OBS00197.21Z.0329.000

 

Spruch:

I. Der Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts, mit dem dieses den Rekurs des Klägers gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags für das Verfahren erster Instanz zurückgewiesen hat, wird zurückgewiesen.

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss des Rekursgerichts, mit dem dieses dem Rekurs des Klägers gegen die Zurückweisung der Klage hinsichtlich seiner Anträge auf Feststellung der Berufsunfähigkeit vom 2. Oktober 2018 und 29. Mai 2019 nicht Folge gab, wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

III. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

IV. Der Schriftsatz des Klägers vom 1. 3. 2022, „Berichtigungen zur Revision vom 9. 12. 2021“ wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der 1976 geborene Kläger ist syrischer Staatsbürger und war in Österreich am 20. April 2012 bei der R* GmbH beschäftigt. Weitere Beschäftigungszeiten in Österreich weist der Kläger nicht auf. In der österreichischen Pensionsversicherung hat der Kläger neun Beitragsmonate der Teilversicherung nach APG und einen Beitragsmonat der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, daher insgesamt zehn Versicherungsmonate erworben. Weiters liegen 30 neutrale Monate vor. Der Kläger gab an, in Damaskus ein Universitätsstudium absolviert zu haben und in Syrien zwischen 2001 und 2008 an verschiedenen Universitäten als Lektor tätig gewesen zu sein.

[2] Der Kläger beantragte am 2. 10. 2018 bei der beklagten Pensionsversicherungsanstalt die Feststellung der Berufsunfähigkeit. Am 10. 5. 2019 erhob er beim Landesgericht Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht zu 18 Cgs 87/19f eine Säumnisklage, die mit Beschluss vom 11. 11. 2019 rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Am 29. 5. 2019 beantragte der Kläger erneut die Feststellung der Berufsunfähigkeit. Das infolge der Nichterledigung dieses Antrags mit Säumnisklage vom 18. 8. 2020 zu 16 Cgs 134/20d des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht eingeleitete Verfahren ist nach wie vor anhängig.

[3] Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. 8. 2020 sprach die beklagte Pensionsversicherungsanstalt aus, dass die Anträge des Klägers vom 2. 10. 2018, 29. 5. 2019, 12. 8. 2019, 13. 9. 2019, 1. 10. 2019, 22. 11. 2019, 13. 12. 2019, 9. 1. 2020, 7. 2. 2020, 3. 3. 2020, 30. 4. 2020, 22. 5. 2020 und 26. 6. 2020 auf Feststellung der Berufsunfähigkeit mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt werden.

[4] In seiner dagegen erhobenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Berufsunfähigkeit und beantragte die Verfahrenshilfe im vollen Umfang. Für die von ihm beantragte Feststellung der Berufsunfähigkeit sei die Erfüllung der Wartezeit keine notwendige Voraussetzung.

[5] Die Beklagte wandte insbesondere ein, dass der Kläger die Wartezeit nicht erfüllt habe, sodass eine Feststellung gemäß § 273a ASVG nicht in Frage komme.

[6] Das Erstgericht wies mit in sein Urteil aufgenommenen Beschlüssen den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab und die Klagebegehren hinsichtlich der Anträge vom 2. 10. 2018 und 29. 5. 2019 zurück. Hinsichtlich dieser Anträge liege das Prozesshindernis der Rechtskraft und der Streitanhängigkeit vor. Mit Urteil wies es das Klagebegehren hinsichtlich der weiteren elf Anträge des Klägers auf Feststellung der Berufsunfähigkeit gemäß § 273a ASVG ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Ein Sozialversicherungsabkommen mit Syrien existiere nicht, sodass allfällige Beschäftigungszeiten des Klägers in Syrien nicht berücksichtigt werden könnten.

[7] Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht wies – funktionell als Rekursgericht – erstens den Rekurs gegen die Abweisung des Verfahrenshilfeantrags für das Verfahren erster Instanz mangels Beschwer zurück, weil dem Kläger mittlerweile die Verfahrenshilfe im vollen Umfang bewilligt worden sei. Zweitens gab es dem Rekurs gegen die Zurückweisung der Klage hinsichtlich der Anträge des Klägers auf Feststellung der Berufsunfähigkeit vom 2. 10. 2018 und 29. 5. 2019 nicht Folge, weil die vom Erstgericht zu Recht bejahten Prozesshindernisse ungeachtet des Umstands wahrzunehmen seien, dass die Beklagte über diese Anträge nunmehr mit dem bekämpften Bescheid vom 24. 8. 2020 entschieden habe. Der Revisionsrekurs sei in diesem Umfang mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[8] In der Sache selbst gab das Berufungsgericht der Berufung nicht Folge. Ein Feststellungsantrag gemäß § 273a ASVG diene zur Beurteilung beruflicher (§ 270a ASVG) und medizinischer Maßnahmen der Rehabilitation (§ 270b ASVG). Derartige Maßnahmen seien Pflichtleistungen der Pensionsversicherung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit gemäß § 222 Abs 1 Z 2 lit a und lit d ASVG. Der Anspruch auf jede der in § 222 Abs 1 ASVG angeführten Leistungen sei gemäß § 235 Abs 1 ASVG an die allgemeine Voraussetzung geknüpft, dass die Wartezeit durch Versicherungsmonate im Sinn des § 235 Abs 2 ASVG erfüllt sei. Diese sekundäre Leistungsvoraussetzung solle sicherstellen, dass nur solche Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehört und durch ihre Beiträge zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben. Für die Wartezeit seien gemäß § 235 Abs 2 ASVG die Versicherungsmonate aller Zweige der Pensionsversicherung – ausgenommen mehr als zwölf Monate der Selbstversicherung nach § 16a ASVG – zu berücksichtigen. Der Kläger habe die Wartezeit nicht erfüllt, weil er nicht mindestens 60 Versicherungsmonate innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem Stichtag (§ 236 Abs 1 Z 1 lit a iVm Abs 2 Z 1 ASVG) erworben habe.

[9] Gegen diese Beschlüsse und das Urteil des Rekurs‑ und Berufungsgerichts richten sich die Rechtsmittel des Klägers, die – inhaltlich – als Revisionsrekurs und außerordentlicher Revisionsrekurs sowie als außerordentliche Revision zu behandeln sind.

I. Zur Verfahrenshilfe:

Rechtliche Beurteilung

[10] Gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO ist der Revisionsrekurs gegen einen Beschluss des Rekursgerichts über die Verfahrenshilfe jedenfalls unzulässig. Damit sind alle Entscheidungen des Gerichts zweiter Instanz über die Verfahrenshilfe absolut unanfechtbar und einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0036078 [T8]; RS0052781 [T3, T9]). Eine Entscheidung über die Verfahrenshilfe nach § 528 Abs 2 Z 4 ZPO ist auch eine Formalerledigung, mit der die Sachentscheidung über ein Rechtsmittel in einer Angelegenheit der Verfahrenshilfe abgelehnt wurde (RS0044213). Das in diesem Umfang als Revisionsrekurs zu behandelnde Rechtsmittel des Klägers ist daher zurückzuweisen.

II. Zur Zurückweisung der Klage über die Anträge des Klägers auf Feststellung der Berufsunfähigkeit vom 2. 10. 2018 und 29. 5. 2019:

[11] Der Kläger macht geltend, dass das anhängige Verfahren über die Säumnisklage gegen den Feststellungsantrag vom 29. 5. 2019 (16 Cgs 134/20d des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht) dazu führen müsse, dass das vorliegende Verfahren gemäß §§ 190 ff ZPO zu unterbrechen sei, weil die Vorfrage, ob für einen bloßen Feststellungsantrag eine bestimmte Wartezeit erfüllt sein müsse, für die Beurteilung der Hauptfrage in diesem Verfahren bedeutsam sei und das Erstgericht gebunden hätte. Im Zusammenhang mit dem Verfahren 18 Cgs 87/19f des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht seien die Ausführungen des Rekursgerichts zur Frage der „Sperrfrist“ (im Sinn des § 362 ASVG) nicht zutreffend.

[12] Damit wird aber die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043605), weil der Kläger in seinem Rechtsmittel nicht darlegt, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts, dass in Bezug auf diese beiden Anträge und die darüber geführten sozialgerichtlichen Verfahren die Prozesshindernisse der Rechtskraft und der Streitanhängigkeit vorliegen, unrichtig sein sollte.

[13] Das in diesem Umfang inhaltlich als außerordentlicher Revisionsrekurs zu wertende Rechtsmittel ist daher mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

III. Zur außerordentlichen Revision des Klägers:

[14] 1. Der Revisionswerber macht als Nichtigkeit geltend, dass die Unterlassung der Behandlung seiner Eingabe vom 4. 2. 2021 als entweder Verlegungsantrag oder hinreichende Entschuldigung mit der Folge der Verlegung der Tagsatzung sowie weiters die Unterlassung der Beigebung der längst beantragten Verfahrenshilfe im Umfang der Beigebung eines Rechtsanwalts schon im Verfahren erster Instanz den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 und Z 5 ZPO verwirkliche. Der Kläger hat jedoch diese seiner Ansicht nach eine Nichtigkeit begründenden Umstände im Berufungsverfahren als Mangel des erstgerichtlichen Verfahrens geltend gemacht. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneint, weil der Kläger auch in der Berufung nicht dargelegt habe, welche weiteren, vom Erstgericht noch nicht festgestellten Versicherungszeiten er erworben hätte. Selbst wenn daher diese vom Kläger behaupteten Umstände eine allfällige Nichtigkeit begründen sollten, hat das Berufungsgericht diese inhaltlich behandelt, sodass in diesem Umfang ein gemäß § 519 ZPO unanfechtbarer Beschluss des Berufungsgerichts vorliegt (RS0042925 [T5, T6]).

[15] 2. Als Verfahrensmängel macht der Kläger geltend, dass ihm nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren die Verfahrenshilfe bewilligt wurde, dass das Erstgericht die Verhandlung vom 5. 2. 2021 zu Unrecht ohne ihn durchgeführt habe, weshalb er ua seine Klage nicht auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension ausdehnen habe können, und dass das Erstgericht aufgrund vorgreifender Beweiswürdigung keine Gutachten aus den medizinischen Fachgebieten eingeholt habe.

[16] Das Vorliegen dieser behaupteten Verfahrensmängel hat das Berufungsgericht begründet verneint, sodass sie in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden können (RS0042963). Ob ein in der Berufung behaupteter Verfahrensmangel vom Berufungsgericht zu Recht verneint wurde, ist vom Revisionsgericht auch in Sozialrechtssachen nicht mehr zu prüfen (RS0043061). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei – weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei – mangelhaft geblieben, umgangen werden (RS0042963 [T58]).

[17] 3.1 In der Rechtsrüge legt der Revisionswerber zunächst neuerlich dar, dass ihm durch die Nichtbewilligung der Verfahrenshilfe bereits im Verfahren erster Instanz wesentliche, von ihm im Einzelnen bezeichnete Prozessnachteile entstanden seien. Auch sei die Zurückweisung der Klage hinsichtlich der Anträge auf Feststellung der Berufsunfähigkeit vom 2. 10. 2018 und 29. 5. 2019 zu Unrecht erfolgt; vielmehr hätte das anhängige Verfahren unterbrochen werden müssen und die Argumentation des Berufungsgerichts zur „Sperrfrist“ sei verfehlt. Damit wird inhaltlich die Mängelrüge wiederholt, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann.

[18] 3.2 Der Kläger führt in der Revision weiters aus, dass er keinen Leistungsanspruch auf eine Berufsunfähigkeitspension geltend gemacht habe, sondern einen Feststellungsanspruch, sodass es auf die Erfüllung der Wartezeit nicht ankomme. Er sei am 2. 10. 2018 in der Krankenversicherung pflichtversichert gewesen („KV‑Pflichtversicherung für Sozialhilfeempfänger“) und absolviere ein Doktoratsstudium in Salzburg, das er bisher nicht abgeschlossen habe. Mit diesen Ausführungen bezieht sich der Kläger jedoch – wie auch aus seinem Hinweis auf die in RS0085115 dargestellte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hervorgeht – nicht auf die geltende Rechtslage, sondern auf § 273a ASVG idF des SRÄG 1991, BGBl 1991/157, der nicht mehr in Kraft steht (vgl SRÄG 1993, BGBl 1993/335, Art I Z 103). Der auf dem hier anwendbaren § 273a ASVG (eingeführt mit dem SRÄG 2012, BGBl I 2013/3, in der seit 1. 1. 2017 geltenden Fassung SVÄG 2016, BGBl I 2017/29) beruhenden rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Kläger inhaltlich lediglich ohne weitere Begründung entgegen, dass es auf die Erfüllung der Wartezeit nicht ankomme, womit er jedoch nach der bereits zitierten Rechtsprechung (RS0043605) keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[19] IV. Der vom Kläger nachgereichte Schriftsatz vom 1. 3. 2022 („Berichtigungen zur Revision vom 9. 12. 2021“) war infolge des Grundsatzes der Einmaligkeit des Rechtsmittels (RS0041666) zurückzuweisen.

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