OGH 5Ob224/21h

OGH5Ob224/21h27.1.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des P*, geboren am *, zuletzt wohnhaft *, über den Revisionsrekurs des Betroffenen, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer, Rechtsanwalt in Linz, als Rechtsbeistand gemäß § 119 AußStrG, gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. September 2021, GZ 15 R 192/21t, 15 R 321/21t‑224, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Linz vom 2. April 2021, GZ 67 P 37/20s‑203, und vom 16. Juli 2021, GZ 67 P 37/20s‑215, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00224.21H.0127.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Dem Verfahren zur Prüfung, ob für die betroffene Person ein Erwachsenenvertreter zu bestellen ist, ging eine Anregung der Bezirkshauptmannschaft Urfahr‑Umgebung vom März 2020 sowie des Landesgerichts Linz, das mit Beschluss vom 9. 7. 2020 das Verfahren 45 Cg 17/20v gemäß § 6a ZPO unterbrochen hatte, voraus. Mit Beschluss vom 27. 7. 2020 beauftragte das Erstgericht einen Erwachsenenschutzverein mit einer Abklärung iSd § 4a ErwSchVG. Es verständigte den Betroffenen am 28. 7. 2020 von der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens und informierte ihn darüber, dass der zuständige Erwachsenenschutzverein mit der Abklärung beauftragt wurde und sich ein Mitarbeiter mit ihm in Verbindung setzen werde. Diese Verständigung wurde der betroffenen Person am 5. 8. 2020 ausgefolgt. In der Folge unterbrach das Bezirksgericht Linz die Verfahren 10 C 23/20s, 15 C 81/20g und 50 C 767/20x jeweils gemäß § 6a ZPO und verständigte das Pflegschaftsgericht davon.

[2] Im Clearingbericht vom 10. 9. 2020 teilte der Erwachsenenschutzverein mit, dass es nicht möglich gewesen sei, einen persönlichen Kontakt zum Betroffenen herzustellen, weswegen eine Einschätzung nur aufgrund der Aktenlage erfolgen könne. Er empfahl, das Verfahren fortzusetzen, weil die Vertretung für die Verwaltung von Einkünften einschließlich Verfügungen über Girokonten, die Vertretung bei der Geltendmachung von Leistungen aus Anlass von Alter, Krankheit, Behinderung oder Existenzsicherung und einer damit in Verbindung stehenden Krankenversicherung und die Vertretung in gerichtlichen Verfahren notwendig erscheine. Die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters für dringende Angelegenheiten erachtete er demgegenüber nicht als notwendig. Im Verfahren 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz habe die Vermieterin gegen den Betroffenen eine Mietzins- und Räumungsklage eingebracht, weil er die Miete nicht zahle. Darüber hinaus seien Verfahren über Schadenersatzklagen des Betroffenen gegenüber verschiedenen Personen gemäß § 6a ZPO unterbrochen.

[3] Die Ladung des Betroffenen zur Erstanhörung konnte nicht zugestellt werden, weil er nach einem Vermerk auf dem Rückschein verzogen bzw ortsabwesend sei. Laut Auskunft aus dem Zentralmelderegister vom 19. 10. 2020 war er mit 4. 9. 2020 nach unbekannt verzogen. In der Folge durchgeführte weitere Abfragen aus dem ZMR ergaben das selbe Ergebnis.

[4] Mit Beschluss vom 2. 4. 2021 bestellte das Erstgericht eine Rechtsanwältin zur einstweiligen Erwachsenenvertreterin zur Vertretung im Verfahren 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz. Der Clearingbericht nehme Bezug auf ein psychiatrisches Gutachten vom 16. Oktober 2016, nach dem bei der betroffenen Person eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, querulatorischen Anteilen und Somatisierung vorliege. Diese Konstatierung stehe mit dessen Verhalten im Verfahren 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz im Einklang, weswegen davon auszugehen sei, dass der Betroffene jedenfalls zur Führung des Verfahrens 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst in der Lage sei. Eine Einstellung des Verfahrens komme vor diesem Hintergrund nicht in Frage. Gegenstand des Verfahrens zu 10 C 23/20s sei die Räumung der Wohnung, wobei der bisherige Akteninhalt eine titellose Nutzung durch den Betroffenen sowie Forderungen der Klägerin auf angemessenes Benutzungsentgelt nahe lege. Damit drohe dem Betroffenen ein erheblicher finanzieller Nachteil, der die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters vor Durchführung der Erstanhörung erfordere.

[5] Nachdem das Rekursgericht den Akt nach Vorlage eines Rechtsmittels der einstweiligen Erwachsenenvertreterin, mit dem sie ihre Bestellung bekämpfte, mit einem dahin lauteten Auftrag zurückgestellt hatte, bestellte das Erstgericht mit Beschluss vom 16. 7. 2021 einen weiteren Rechtsanwalt zum Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren. Werde ein einstweiliger Erwachsenenvertreter ausnahmsweise ohne Erstanhörung bestellt, sei es konsequent, der betroffenen Person – insbesondere im Hinblick auf die beschränkten verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der einstweiligen Erwachsenenvertreterin – auch einen Rechtsbeistand für seine Vertretung im Verfahren zu bestellen.

[6] Das Rekursgericht gab weder dem Rechtsmittel der einstweiligen Erwachsenenvertreterin noch jenem des Rechtsbeistands im Verfahren Folge, mit dem er sich gegen seine Bestellung und die Bestellung der Erwachsenenvertreterin wendete. Soweit für das Revisionsrekursverfahren relevant, führte es aus, § 277 Abs 1 ABGB ordne die Subsidiarität (auch) der Abwesenheitskuratel zu den anderen Formen der gesetzlichen Vertretung und damit auch zur Erwachsenenvertretung an. Das Verfahren zur Prüfung, ob die Bestellung eines Erwachsenenvertreters erforderlich sei, sei nach erfolgter Abklärung durch einen Erwachsenenschutzverein aber bereits dann fortzusetzen, wenn die bloße Möglichkeit bestehe, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters kommen könne. Dafür bedürfe es eines Mindestausmaßes an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem sich das Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte ableiten lasse, was hier nach dem Clearingbericht und in Anbetracht einer Mehrzahl von Verfahren, die nach § 6a ZPO unterbrochen worden seien, gegeben sei. Die Fortsetzung des Verfahrens sei daher nicht zu beanstanden. Die Bestellung eines Abwesenheitskurators für den Betroffenen komme damit nicht in Betracht. Ausnahmsweise könne ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bereits vor der Abklärung und der Erstanhörung bestellt werden. Das erfordere jedoch, dass ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für die betroffene Person zu besorgen wäre. Die Erledigung des Rechtsstreits betreffend die Wohnung des Betroffenen im Verfahren zu 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz sei eine solche dringende Angelegenheit, die die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters rechtfertige. Dass das Verfahren wegen Unmöglichkeit der Durchführung der Erstanhörung, weil sich die betroffene Person – wie hier – einer solchen entziehe, im Stadium der Bestellung eines vorläufigen Erwachsenenvertreters dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum verbleiben könne, werde vom Gesetzgeber offensichtlich hingenommen. Die Bestellung eines Rechtsbeistands im Verfahren sei grundsätzlich zwingend und habe konsequenterweise auch dann zu erfolgen, wenn – ausnahmsweise – ein einstweiliger Erwachsenenvertreter vor Durchführung der Erstanhörung bestellt werde. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage, ob in Fällen wie dem vorliegenden ein Rechtsbeistand bestellt werden könne, und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters bei einer längeren Abwesenheit des Betroffenen höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der durch den Rechtsbeistand vertretenen betroffenen Person, der aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig, aber nicht berechtigt ist.

[8] 1.1 Kann eine Person ihre Angelegenheiten selbst nicht besorgen, weil sie (unter anderem) abwesend ist, so ist für sie ein Kurator zu bestellen, wenn diese Angelegenheiten nicht durch einen anderen Vertreter wahrgenommen werden können und die Interessen dieser Person dadurch gefährdet sind (§ 277 Abs 1 ABGB idF BGBl I 2017/59). Die Abwesenheitskuratel ist subsidiär zu den anderen Formen der gesetzlichen Vertretung iSd § 1034 ABGB und damit auch zur Vorsorgevollmacht und Erwachsenenvertretung. Es kann daher nur für eine entscheidungsfähige Person ein Abwesenheitskurator bestellt werden (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5, § 277 ABGB Rz 10). Besteht der Verdacht, dass die abwesende Person psychisch krank oder vergleichbar in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt und nicht in der Lage ist, bestimmte Angelegenheiten zu besorgen, ist ein Verfahren zur Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters einzuleiten (dazu Barth/Ganner in Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts, 23).

[9] 1.2 Bei der Einleitung eines Verfahrens zur Prüfung der Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters müssen begründete und konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die betroffene Person ohne einen solchen zur Wahrung ihrer Belange nicht ausreichend in der Lage ist. Dies traf schon nach § 117 Abs 1 AußStrG aF zu (vgl RIS‑Justiz RS0013479 [T2, T3]) und gilt (umso mehr) nach der Rechtslage nach dem 2. ErwSchG, BGBl I 2017/59 (RS0013479 [T4]). Die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein und haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder eine vergleichbare Beeinträchtigung als auch auf die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters zum Schutz der betroffenen Person zu beziehen (9 Ob 89/18f). Für die Fortsetzung des Verfahrens genügt schon – insofern ist es durch die Neuregelung zu keiner Änderung gekommen – die bloße Möglichkeit, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommen kann (vgl RS0008542). Dazu bedarf es eines Mindestmaßes an nachvollziehbarem Tatsachensubstrat, aus dem abgeleitet werden kann, dass sich der Betroffene in einer seinen Interessen objektiv zuwiderlaufenden Weise verhalten hat und/oder aufgrund welcher Umstände zu befürchten ist, er werde sich (auch) in Hinkunft Schaden zufügen (RS0008526 [T2, T4]).

[10] 1.3 Der Revisionsrekurswerber stellt nicht in Abrede, dass aufgrund der Mitteilungen von Behörden (Bezirkshauptmannschaft und Gerichten) begründete Anhaltspunkte zur Prüfung, ob ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter zu bestellen ist, vorlagen, sodass das Erstgericht verpflichtet war, einen Erwachsenenschutzverein mit der Abklärung zu beauftragen (§ 117a Abs 1 AußStrG). Der beauftragte Verein empfahl in seinem Clearingbericht, das Verfahren fortzusetzen und bezog sich auf eine Mehrzahl von gerichtlichen Verfahren, die nach § 6a ZPO unterbrochen worden waren, und auf ein psychiatrisches Gutachten aus dem Jahr 2016, in dem der betroffenen Person eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, querulatorischen Anteilen und Somatisierung attestiert worden war. Nach dem Akteninhalt lagen damit für das Erstgericht ausreichend konkrete Anhaltspunkte vor, das Verfahren fortzusetzen und nicht gemäß § 122 AußStrG einzustellen. Dass bereits davor ein zur Prüfung der Notwendigkeit eines Erwachsenenvertreters geführtes Verfahren eingestellt worden war, weil damals alle (Gerichts‑)Verfahren, an denen die betroffene Person beteiligt war, beendet waren und der damals entscheidende Richter offensichtlich davon ausgegangen ist, der Betroffene könne (nunmehr) seine Angelegenheiten ohne Gefahr für sich selbst besorgen, kann an dieser Einschätzung entgegen der Ansicht des Rechtsbeistands nichts ändern. Zwar trifft es zu, dass das Interesse eines Dritten, der Allgemeinheit oder des Staats kein Grund zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters ist; bei der nunmehr vorliegenden Sachlage kann aber gerade nicht gesagt werden, dass sich der Betroffene durch sein Verhalten – etwa durch kostenaufwendige, mutwillige oder offenbar aussichtslose Prozessführungen – keinen Nachteil zufügen kann (vgl RS0072687 [T2]).

[11] 1.4 Solange das Verfahren nicht nach § 122 AußStrG einzustellen ist, kommt auch die Bestellung eines Abwesenheitskurators nicht in Betracht. Das legt letztlich auch der Revisionsrekurswerber zugrunde, wenn er darauf abstellt, dass die Notwendigkeit der Bestellung eines Erwachsenenvertreters primär zu prüfen sei. Seiner Schlussfolgerung, die Bestellung eines derartigen Vertreters sei nicht möglich, weswegen im gerichtlichen (Streit‑)Verfahren ein Abwesenheitskurator die Interessen der betroffenen Person wahrzunehmen habe, kann aber nicht beigetreten werden.

[12] 2.1 Richtig ist, dass das Verfahren, wird es nach Vorliegen des Berichts eines Erwachsenenschutzvereins nicht eingestellt, mit der Erstanhörung (§ 118 AußStrG) fortzusetzen ist, bei der sich das Gericht einen persönlichen Eindruck von der betroffenen Person zu verschaffen hat. Die Erstanhörung ist grundsätzlich obligatorisch und dient im Bestellungsverfahren der Wahrung der Grundsätze der Unmittelbarkeit und des rechtlichen Gehörs (Mondel in Rechberger/Klicka, AußStrG³ § 118 Rz 1; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG [2019], § 118 Rz 4 je mwN ua).

[13] 2.2.1 Ist das Verfahren aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen, sieht § 119 AußStrG vor, dass das Gericht für einen Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren zu sorgen hat. Ein solcher Rechtsbeistand ist dann zu bestellen, wenn der Betroffene selbst keinen geeigneten Vertreter hat; er ist zu entheben, sobald ein solcher namhaft gemacht wurde.

[14] 2.2.2 Die Bestimmung des § 120 AußStrG ordnet an, dass zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens ein einstweiliger Sachwalter mit sofortiger Wirksamkeit zu bestellen ist, wenn es das Wohl der betroffenen Person erfordert. Nach Absatz 2 dieser Bestimmung kann ein einstweiliger Erwachsenenvertreter erst nach Abklärung durch einen Erwachsenenschutzverein und Durchführung der Erstanhörung bestellt werden, es sei denn, dass sonst ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für die betroffene Person zu befürchten ist. In diesem Fall ist die Erstanhörung unverzüglich nachzuholen.

[15] 2.2.3 Die Bestellung eines Rechtsbeistands erfordert nach dem Wortlaut des Gesetzes, dass ihr eine Erstanhörung vorausgeht. Das gilt grundsätzlich auch für die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters. Der Betroffene hat sich, nachdem er von der Einleitung des Verfahrens verständigt worden war, von seiner bisherigen Wohnanschrift abgemeldet, ohne einen neuen Wohnsitz anzugeben. Seitdem ist er unbekannten Aufenthalts, sodass es dem Erstgericht nicht möglich war, eine Erstanhörung durchzuführen. Daraus folgert der Rechtsbeistand in Vertretung der betroffenen Person, dass die Voraussetzungen für seine Bestellung nicht vorlägen; die Bestellung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin sei rechtswidrig, weil die Erstanhörung wegen des unbekannten Aufenthalts der betroffenen Person nicht unverzüglich nachgeholt werden könne. Zudem sei ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für den Betroffenen nicht erkennbar.

3. Zur Bestellung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin:

[16] 3.1 Anders als noch nach der Rechtslage vor dem 2. ErwSchG untersagt § 118 Abs 2 Satz 2 AußStrG ausdrücklich die Vorführung des Betroffenen zur Erstanhörung. Entzieht sich der Betroffene beharrlich der Erstanhörung oder ist er unbekannten Aufenthalts, stellt sich die Frage, wie vorzugehen ist, wenn das Ergebnis der Abklärung durch den Erwachsenenschutzverein – wie hier – einer Einstellung des Verfahrens nach § 122 AußStrG entgegensteht. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Weigerung des Betroffenen, am Verfahren mitzuwirken auch Ausfluss gerade jener psychischen Erkrankung sein kann, die die Bestellung eines Erwachsenenvertreters allenfalls notwendig macht (vgl 7 Ob 278/08w). Im vorliegenden Fall gibt die durch die Aktenlage dokumentierte Vielzahl von Eingaben des Betroffenen in den unterschiedlichsten Verfahren begründeten Anlass zu einer solchen Annahme.

[17] 3.2 Nach den Materialien soll das Gericht einen einstweiligen Erwachsenenvertreter bestellen, wenn es der betroffenen Person nicht habhaft wird und die Gefahr besteht, dass sich diese schädigt (RV 1461 BlgNR 25. GP 66). Diese Möglichkeit wird auch in der Literatur unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien vertreten (Mondel aaO § 118 AußStrG Rz 6; Fritz aaO § 118 AußStrG Rz 12). Deixler‑Hübner (in Deixler‑Hübner/Schauer, HB Erwachsenenschutzrecht 5.31) verweist darauf, dass die beharrliche Weigerung des Betroffenen, an der Erstanhörung mitzuwirken, bedeute, dass es entweder zu keiner Bestellung eines Erwachsenenvertreters komme (Anm: Womit das Verfahren einzustellen wäre) oder der einstweilige Erwachsenenvertreter zur „Dauereinrichtung“ mutiere. Weil es äußerst unbefriedigend sei, dass der Betroffene das Verfahren auf diese Weise torpedieren könne, müssten in einem solchen Fall die Gerichte „rechtsfortbildend vorgehen“ bzw sei der Gesetzgeber mit Implementierung einer expliziten Bestimmung gefordert. Schauer (in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 118 Rz 35) sieht im Verzicht auf die Erstanhörung in einem solchen Fall eine mögliche rechtsfortbildende Maßnahme, die mit Art 6 MRK vereinbar erscheine. Nach Gitschthaler/Schweighofer, Erwachsenenschutzrecht (2017) § 118 AußStrG Anm 2, werde es als Folge des Verbots einer Vorführung zur Erstanhörung Fälle geben, in denen das Verfahren im Stadium der Bestellung eines vorläufigen Erwachsenenvertreters dauerhaft oder über einen längeren Zeitraum verbleibe, was der Gesetzgeber als Konsequenz offensichtlich hinnehme.

[18] 3.3 Die Voraussetzungen für die Einstellung des Verfahrens liegen – wie dargelegt – nicht vor. Ein Verzicht auf die Erstanhörung, wie in der Literatur vorgeschlagen, kommt nach Ansicht des erkennenden Senats auch nicht ausnahmsweise in Betracht, weil als Konsequenz daraus die Sachentscheidung (Bestellung des Erwachsenenvertreters) unter Außerachtlassung der tragenden Verfahrensgrundsätze der Unmittelbarkeit und des rechtlichen Gehörs ermöglicht und damit der hohe Stellenwert der Erstanhörung für das Erwachsenenschutzverfahren (dazu Schauer aaO § 118 AußStrG Rz 17) ausgehöhlt würde. Entzieht sich der Betroffene beharrlich der Erstanhörung oder ist er unbekannten Aufenthalts und liegen die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nicht vor, ist nach Auffassung des Senats die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen für die Bestellung eines solchen vor, muss als Konsequenz auch hingenommen werden, dass das Verfahren allenfalls auch für längere Zeit in diesem Stadium verbleibt.

[19] 3.4.1 Die Frage, unter welchen Voraussetzungen es das Wohl des Betroffenen erfordert, ihm für die Dauer des Verfahrens einen einstweiligen Erwachsenenvertreter (§ 120 Abs 1 AußStrG) beizugeben, ist im Gesetz für den Regelfall, dass ein solcher nach Durchführung der Erstanhörung bestellt wird, nicht näher geregelt. Nach dem Gesetzeswortlaut sind aber ausschließlich die Interessen des Betroffenen zu wahren. Da es sich um eine vorläufige Maßnahme zum Schutz der betroffenen Person vor Rechtsnachteilen handelt, bei der die Voraussetzungen und die Erforderlichkeit einer Erwachsenenvertretung noch nicht endgültig geklärt sind, wird aucheine gewisse Dringlichkeit der zu besorgenden Angelegenheiten verlangt (vgl 9 Ob 67/19x; RS0117005; vgl auch Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 120 AußStrG Rz 2). Daneben muss die – generell für die Fortsetzung des Verfahrens erforderliche – Möglichkeit bestehen, dass es nach Abschluss des Verfahrens zur Bestellung eines Erwachsenenvertreters kommen kann.

[20] 3.4.2 Ausnahmsweise kann ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bereits vor der Abklärung und der Erstanhörung bestellt werden (§ 120 Abs 2 AußStrG). Neben den Voraussetzungen für die Bestellung nach der Abklärung und der Erstanhörung fordert das Gesetz dafür, dass sonst – also ohne die Bestellung des einstweiligen Erwachsenenvertreters – ein erheblicher und unwiederbringlicher Nachteil für die betroffene Person zu besorgen wäre. Die Bestimmung des § 120 Abs 2 AußStrG entspricht § 120 dritter Satz AußStrG 2005, BGBl I 2004/128. Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (abgedruckt bei Fucik/Kloiber, AußStrG [2005] zu § 120 AußStrG) ist die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters (nunmehr Erwachsenenvertreters) vor Durchführung der Erstanhörung als besonderer Ausnahmefall zu verstehen, die wegen des Entfalls des sich aus § 6 EMRK ergebenden Anhörungsrechts der betroffenen Person nur unter Einhaltung strenger Kriterien angeordnet werden dürfe. Zur Frage der Unwiederbringlichkeit eines Nachteils verweisen die Erläuterungen auf die Rechtsprechung im Provisorialverfahren, an der „man sich auch hier“ zu orientieren habe. Danach ist ein Schaden unwiederbringlich, wenn ein Nachteil an Vermögen, Rechten oder Personen eingetreten ist und die Zurückversetzung in den vorigen Stand nicht tunlich ist und Geldersatz entweder – etwa infolge Zahlungsunfähigkeit des Schädigers – nicht geleistet werden kann oder die Leistung des Geldersatzes dem angerichteten Schaden nicht völlig adäquat ist (RS0005270).

[21] 3.4.3 Die Orientierung an dieser, zum Provisorialverfahren ergangenen (strengen) Judikatur ist grundsätzlich auch bei der Prüfung, ob ein einstweiliger Erwachsenenvertreter vor Durchführung der Erstanhörung zu bestellen ist, geboten (Bauer/Hengl in Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts [2019] § 120 AußStrG, 846 ff; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 120 Rz 7; Schauer aaO § 120 AußStrG Rz 13). Darüber hinaus muss der Nachteil, der ohne Bestellung eines Vertreters gemäß § 120 AußStrG zu besorgen wäre, erheblich sein. Was erheblich ist, wird im Gesetz nicht näher definiert. Daraus kann aber jedenfalls abgeleitet werden, dass geringfügige Nachteile die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters vor der Erstanhörung nicht rechtfertigen.

[22] 3.4.4 Das Gesetz hat in § 120 Abs 2 AußStrG den Fall vor Augen, dass die Abklärung durch einen Erwachsenenschutzverein und die Durchführung der Erstanhörung zwar möglich wären, die Dringlichkeit der für die betroffene Person zu erledigenden Angelegenheiten aber ein unverzügliches Einschreiten durch einen (einstweiligen) Vertreter erfordert, um diesen vor einem unwiederbringlichen und erheblichen Nachteil zu schützen. Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall, in dem der Erstrichter nach Abklärung durch einen Erwachsenenschutzverein die Erstanhörung des Betroffenen vergeblich versucht hat. Das rechtliche Gehör konnte der betroffenen Person nicht gewährt werden, weil ihr Aufenthalt unbekannt ist und sie durch ihre behördliche Abmeldung in Kenntnis des Verfahrens zu erkennen gegeben hat, dass sie am Verfahren auch nicht mitwirken will. Ob in einem solchen Fall ein Festhalten an den strengen Kriterien des § 120 Abs 2 AußStrG geboten ist, mit der Folge, dass auch bei Dringlichkeit der für den Betroffenen zu besorgenden Angelegenheiten von der Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters Abstand zu nehmen wäre, obwohl ihm zwar ein Nachtteil droht, dieser aber nicht als unwiederbringlich im Sinn der oben wiedergegebenen Judikatur einzustufen wäre, scheint fraglich. Als Folge davon bliebe lediglich die Einstellung des Verfahrens. Ob diese Konsequenz vom Gesetz beabsichtigt ist, muss für den vorliegenden Fall aber nicht näher untersucht werden, weil die Voraussetzungen des § 120 Abs 2 AußStrG entgegen der Ansicht des Rechtsbeistands ohnedies gegeben sind.

[23] 3.4.5 Das Erstgericht hat den Wirkungsbereich der einstweiligen Erwachsenenvertreterin auf die Vertretung im Verfahren 10 C 23/20s des Bezirksgerichts Linz beschränkt. Aus dem Akteninhalt folgt dazu, dass es sich dabei um ein Mietzins- und Räumungsverfahren samt Antrag auf pfandweise Beschreibung von Fahrnissen des Betroffenen handelt. Das Verfahren ist gemäß § 6a ZPO unterbrochen, sodass noch nicht beurteilt werden kann, ob eine wirksame Auflösungserklärung im Sinn des § 1118 ABGB vorliegt. Ob das Räumungsbegehren berechtigt ist, weilein qualifizierter Mietzinsrückstand zum Zeitpunkt der Abgabe der Auflösungserklärung (oder der diese ersetzenden Fortführung des Räumungsprozesses) noch bestand (siehe nur 3 Ob 37/19s), muss erst geprüft werden. Für den Betroffenen geht es damit nach derzeitiger Sachlageum den drohenden Verlust seiner Wohnung. Solange gesicherte Anhaltspunkte dafür fehlen, dass er die Wohnung nicht mehr benötigt und er sein Wohnbedürfnis anders befriedigen kann, ist davon auszugehen, dass ihm damit ein unwiederbringlicher Nachteil im Sinn des § 120 Abs 2 AußStrG droht. Zwar mutmaßte das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung, dass der Betroffene die Wohnung seit geraumer Zeit nicht mehr oder nur fallweise benützt; dass er sie zur Befriedigung seines Wohnbedürfnisses gar nicht mehr benötigt, kann aber weder daraus noch aus dem Akteninhalt gesichert geschlossen werden. Das mit (streitigen) Gerichtsverfahren generell verbundene Kostenrisiko (vgl dazu 5 Ob 209/20a) und mögliche Forderungen auf angemessenes Benützungsentgelt, weil sich in der Wohnung Fahrnisse befinden, auf die die Klägerin zur Sicherung ihrer Mietzinsforderungen greifen möchte, unterstreichen die Notwendigkeit zur Bestellung der einstweiligen Erwachsenenvertreterin. Ganz allgemein gilt es den Betroffenen auch vor den Nachteilen zu schützen, die mit einer ungewollten Räumung der Wohnung verbunden wären.

4. Zur Bestellung des Rechtsbeistands:

[24] 4.1 Nach dem Wortlaut des § 119 AußStrG ist die Bestellung eines Rechtsbeistands im Verfahren nur zulässig, wenn das Verfahren nach Durchführung der Erstanhörung fortzusetzen ist. Das Gericht hat für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person daher grundsätzlich nur dann zu sorgen, wenn das Verfahren aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung nicht einzustellen ist. Damit wird der zeitliche Beginn der Pflicht, einen Rechtsbeistand zu bestellen, festgelegt. Im „Vorverfahren“ (Schauer aaO § 119 AußStrG Rz 7) – also zwischen der Einleitung des Verfahrens und der Erstanhörung – ist das Gericht zu keinerlei Handlung aufgrund des § 119 AußStrG verpflichtet oder berechtigt. Für einen Rechtsbeistand zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person muss in diesem frühen Verfahrensstadium noch nicht Sorge getragen werden (Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 119 Rz 7).

[25] 4.2 In der Literatur wird die Bestellung eines Rechtsbeistands ausnahmsweise auch dann für möglich gehalten, wenn sich die betroffene Person der Erstanhörung entzieht (Schauer aaO § 119 AußStrG Rz 7) oder sonst vor Durchführung der Erstanhörung für die betroffene Person ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bestellt werden muss (Bauer/Hengl in Barth/Ganner, Handbuch des Erwachsenenschutzrechts § 119 AußStrG, 842; Traar/Pesendorfer/Fritz/Barth, Sachwalterrecht und Patientenverfügung § 119 AußStrG Rz 3).

[26] 4.3 Der Rechtsbeistand vertritt die betroffene Person im Erwachsenenschutzverfahren. Er kann in ihrem Namen alle Verfahrenshandlungen vornehmen, wie auch die betroffene Person selbst. Als Vertreter ist er zur Wahrung der Interessen des Betroffenen im Verfahren über die Bestellung eines Erwachsenenvertreters verpflichtet (Fritz in Schneider/Verweijen AußStrG § 119 Rz 3). Im Regelfall besteht zwischen der Einleitung des Verfahrens und der Erstanhörung keine Notwendigkeit, gerichtlich für eine Vertretung des Betroffenen zu sorgen, weil es in dieser Phase erst abzuklären gilt, ob das Verfahren fortgesetzt wird oder einzustellen ist. Dass dabei Interessen des Betroffenen berührt sind, die einer Verfahrensvertretung bedürfen, kann im Allgemeinen verneint werden. Für den Normalfall sieht daher das Gesetz eine Verpflichtung des Gerichts, für einen Rechtsbeistand Sorge zu tragen, sofern der Betroffene keinen geeigneten Vertreter hat, erst für das Verfahren nach Erstanhörung vor.

[27] 4.4 Anders verhält es sich, wenn – wie im vorliegenden Fall – für den Betroffenen eine einstweilige Erwachsenenvertreterin zur Besorgung dringender Angelegenheiten bestellt wurde, ohne dass eine Erstanhörung durchgeführt wurde (werden konnte), weil der Betroffene unbekannten Aufenthalts ist. Ein Rechtsmittel gegen die Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters steht der betroffenen Person und im Namen der betroffenen Person ihrem (gesetzlichen oder selbstgewählten) Vertreter sowie dem Rechtsbeistand zu. Demgegenüber kann die einstweilige Erwachsenenvertreterin keine Verfahrensrechte für den Betroffenen wahrnehmen(RS0124559; RS0048288 ua; Fritz in Schneider/Verweijen, AußStrG § 120 Rz 9; Schauer in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG² § 120 Rz 21; Mondel in Rechberger/Klicka, AußStrG³ [2021] § 120 Rz 10). Wird – als Ausnahme – bereits vor Durchführung einer Erstanhörung ein einstweiliger Erwachsenenvertreter bestellt, weil entweder die Voraussetzungen des § 120 Abs 2 AußStrG vorliegen oder die betroffene Person durch ihr Verhalten eine Erstanhörung verhindert bzw unbekannten Aufenthalts ist, bedarf es zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen eines Rechtsbeistands nach § 119 AußStrG, der ihn vertritt und in seinem Namen Verfahrenshandlungen vornehmen (Rechtsmittel ergreifen) kann. Die Interessenlage entspricht insoweit jener im Verfahrensstadium nach Erstanhörung, sodass erkennbar eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die im Weg der Analogie zu schließen ist (RS0008866). Entgegen der Ansicht des Rechtsbeistands war seine Bestellung durch die Vorinstanzen schon deshalb geboten, weil bereits die Bestellung einer einstweiligen Erwachsenenvertreterin zur Besorgung dringender Angelegenheiten durch das Erstgericht eine Vertretung der betroffenen Person im Verfahren erforderlich machte.

[28] 5. Dem Revisionsrekurs ist damit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

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