OGH 6Ob203/21b

OGH6Ob203/21b22.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek sowie Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* G*, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei b* Ltd., Malta, *, vertreten durch Denkmair Hutterer Hüttner Waldl Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen 42.209 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. September 2021, GZ 15 R 61/21g‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00203.21B.1222.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Revisionswerberin wird auf die Begründung in den – auch sie als Beklagte betreffenden – Zurückweisungsbeschlüssen des Obersten Gerichtshofs vom 1. 9. 2021, 3 Ob 106/21s und vom 12. 10. 2021, 1 Ob 135/21s, verwiesen.

2. Zu dem in diesem Verfahren einzigen neuen Argument der Revision ist Folgendes auszuführen:

[2] 2.1. Die Revision meint, die österreichische Konzessionsregelung, die das Online-Glücksspiel in Österreich einem De-facto-Monopol unterwerfe, sei schon aufgrund mangelnder Notifizierung von im Zuge des Budgetbegleitgesetzes 2011 (BGB I 2010/111) vorgenommenen Änderungen an die Europäische Kommission nach der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. 6. 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl 1998 L 204/37) in der Fassung der Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 7. 1998 zur Änderung der Richtlinie 98/34/EG (ABl 1998 L 217/18) jedenfalls unanwendbar. Die Vorinstanzen hätten daher die novellierte Konzessionsregelung von Amts wegen unangewendet lassen müssen, und zwar nicht nur die durch die Novelle erfolgten (nicht notifizierten) Änderungen, sondern – unter Bedachtnahme auf den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz – den in § 14 GSpG statuierten Konzessionsvorbehalt als solchen, dies mit der Folge, dass diese Regelung nicht zur Begründung der zivilrechtlichen Nichtigkeit der in Rede stehenden Glücksspielverträge zwischen den Streitteilen herangezogen hätte werden können.

Dem ist jedoch nicht zu folgen:

[3] 2.2. Zwar räumt die Revision selbst ein, dass nationale Bestimmungen, deren Inhalt sich darin erschöpft, für die Erbringung von Glücksspieldienstleistungen ein Konzessionssystem und die Bedingungen für die Ausübung dieser Tätigkeit vorzuschreiben, nicht als technische Vorschriften im Sinn des Art 1 Nr 11 Richtlinie 98/34/EG (NotifizierungsRL) zu qualifizieren sind: Keiner Notifizierung bedürften nach dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nationale Vorschriften, die lediglich die Voraussetzungen für die Niederlassung oder die Erbringung von Dienstleistungen durch Unternehmen vorsehen, wie Bestimmungen, die die Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit von einer vorherigen Erlaubnis abhängig machen (vgl insb Rs C‑336/14 , Ince, ECLI:EU:C:2016:72, Rz 76, unter Verweis auf C‑267/03 , Lindberg, ECLI:EU:C:2005:246, Rz 87 [dort zu Art 1 Nr 9 Richtlinie 83/189/EWG ]; s weiters – ebenfalls zur Vorgängerrichtlinie – C‑275/19 , Sportingbet und Internet Opportunity Entertainment, ECLI:EU:C:2020:856, Rz 44).

[4] Die Revision steht jedoch auf dem Standpunkt, dass der Regelungsgehalt des § 14 GSpG gerade über eine bloße Konzessionsregelung hinausgehe: Die durch das Budgetbegleitgesetz 2011 neu eingeführte Vorschrift des § 14 Abs 3 Satz 2 GSpG ziele darauf ab, den Ausschluss von ausländischen Glücksspielanbietern vom österreichischen Markt fortzuschreiben, ohne den (mit Rücksicht auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rs Engelmann) bereits zulässigerweise am Zielmarkt etablierten Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten der EU – wie der Beklagten – eine realisierbare Möglichkeit auf eine österreichische Online-Lizenz zu gewähren. Der darin statuierte Erlaubnisvorbehalt sei faktisch nicht erfüllbar und laufe damit ins Leere. Online-Glücksspielangebote durch Anbieter aus anderen EU-Staaten in Österreich seien aufgrund der in Abs 3 Satz 2 leg cit aufgestellten Hürden de facto verboten; da für sie der Marktzugang nur theoretisch gegeben sei, werde das Glücksspielmonopol zugunsten inländischer Anbieter im praktischen Effekt aufrecht erhalten. Dieses durch die Bestimmung bewirkte (De-facto‑)Verbot des Anbietens von Online-Glücksspiel mache die Regelung aber sehr wohl zu einer notifizierungsbedürftigen „Vorschrift betreffend Dienste“ (allgemein zu Verboten des Anbietens von Glücksspielen im Internet Rs C‑336/14 , Ince, ECLI:EU:C:2016:72, Rz 75; C‑275/19 , Sportingbet und Internet Opportunity Entertainment, ECLI:EU:C:2020:856, Rz 48 ff, 56).

[5] 2.3. Die Revision legt allerdings in diesem Zusammenhang nicht nachvollziehbar dar, weshalb es Glücksspielanbietern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der EU von vornherein unmöglich sein soll, die in § 14 Abs 3 Satz 2 GSpG aufgestellten Anforderungen zu erfüllen. Wieso der von ihr hervorgehobene Umstand, dass nach dem österreichischen Glücksspielgesetz das terrestrische Lotterieangebot und das Online-Glücksspielangebot – anders als in den übrigen Mitgliedstaaten der EU – in einer einzigen Lizenz zusammenfasst sind, dem in § 14 Abs 3 Satz 2 GSpG geforderten Nachweis einer „vergleichbaren Lottariekonzession“ im Sitzstaat zwingend entgegensteht, ist nicht ersichtlich und wird von der Beklagten auch gar nicht näher zu begründen versucht. Auch im Übrigen stellt sie nicht plausibel dar, warum sich beim Nachweis der Vergleichbarkeit der Konzession und der staatlichen Glücksspielaufsicht im Sitzstaat „praktisch kaum überwindbare Hürden“ ergeben sollen. Ebenso wenig verfängt ihr Verweis auf die den „Marktausschluss zementierende“ Vorschrift des § 14 Abs 6 Satz 3 GSpG, wonach weitere Konzessionen nach Abs 1 nicht erteilt werden dürfen, solange eine nach Abs 1 erteilte Konzession aufrecht ist.

[6] Vielmehr beruht das von der Beklagten kritisierte Konzessionssystem – im Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl dazu ua Rs C‑46/08 , Carmen Media Group Ltd, ECLI:EU:C:2010:505, Rz 87;  C‑336/14 , Ince, ECLI:EU:C:2016:72, Rz 55 mwN) – auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien, die geeignet sind, der Ausübung des den zuständigen nationalen Behörden insoweit zustehenden Ermessens hinreichende Grenzen zu setzen. Ein (faktisches) Verbot von Online-Glücksspielangeboten durch ausländische Anbieter wird dadurch gerade nicht bewirkt. Die mit der Implementierung eines Konzessionssystems zwangsläufig einhergehende Beschränkungen für die davon betroffenen Marktteilnehmer machen die zugrunde liegende Regelung nach den unter Punkt 2.2. angeführten Entscheidungen noch nicht zu einer technischen Vorschrift gemäß Art 1 Nr 11 Richtlinie 98/34/EG .

[7] 2.4. Damit baut aber letztlich die gesamte Argumentation der Revision in Zusammenhang mit dem von ihr postulierten Verstoß gegen die Mitteilungspflicht nach Art 8 Abs 1 Richtlinie 98/34/EG auf einer nicht tragfähigen Prämisse auf. Sie kann solcherart keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dartun; insbesondere besteht – mit Blick auf die bereits dargelegte Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der „technischen Vorschriften“ – auch kein Anlass zu einer Vorlage nach Art 267 AEUV („acte clair“; RS0082949).

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