European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0010OB00135.21S.1012.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Das Erstgericht gab der auf Rückzahlung von Spielverlusten wegen Unerlaubtheit des von der Beklagten angebotenen, gegen das österreichische Glücksspielmonopol (Konzessionssystem) verstoßenden Online-Glücksspiels und daraus resultierender Nichtigkeit der zugrunde liegenden Glücksspielverträge gerichteten Klage statt. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
[2] In ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[3] 1. Die behaupteten Mängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Soweit sich die Revisionswerberin auf bereits vom Berufungsgericht verneinte angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz bezieht, können solche nicht mehr erfolgreich an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS‑Justiz RS0042963).
[4] 2. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung des Verfassungs- sowie des Verwaltungsgerichtshofs – auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union in der auch in der Revision genannten Entscheidung zu 3 Ob 72/21s neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt im Sinn der Rechtsprechung des EuGH und der vom Gerichtshof aufgezeigten Vorgaben nicht gegen Unionsrecht verstößt. Auch in den jüngst zu 5 Ob 30/21d, 1 Ob 229/20p sowie 9 Ob 20/21p ergangenen Entscheidungen wurde diese Rechtsansicht bestätigt. Die außerordentliche Revision zeigt nicht überzeugend auf, warum von dieser Rechtsprechung – in der auch auf die aktuellen Werbepraktiken der Konzessionäre, denen die Beklagte in ihrer Argumentation besonderes Gewicht beimisst, Bezug genommen wurde – abzugehen wäre (vgl auch 3 Ob 106/21s zu einem im Wesentlichen inhaltsgleichen Rechtsmittel der Beklagten).
[5] 3.1. In Bezug auf die Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch den ordnungspolitischen Rahmen für den Glücksspielsektor (hier: für Online-Glücksspiele) durch das österreichische Konzessionssystem sind der Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (zB Betrugsvorbeugung und Verhinderung von Kriminalität wie Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung), Jugendschutz, Verbraucherschutz, Spielerschutz (Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen) und Spielsuchtbekämpfung als legitime Schutzziele vom EuGH anerkannt (C‑212/11 , Jyske Bank Gibraltar, Rn 62 ff; C‑390/12 , Pfleger, Rn 41 f; C‑920/19 , Fluctus, Rn 33 f). Für Werbemaßnahmen der Konzessionäre ist das Ziel, Glücksspieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken und Bürgern die Möglichkeit zu geben, erlaubten und geregelten Spiel- oder Wetttätigkeiten nachzugehen, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses (C‑920/19 , Fluctus, Rn 38 und 47). Dementsprechend kann auch der maßvolle Einsatz von Werbung sowie von neuen Vertriebstechniken eine kohärente Politik sein, um das Ziel, die Spieltätigkeiten in kontrollierte Bahnen zu lenken, verwirklichen zu können (C‑347/09 , Dickinger und Ömer, Rn 67; C‑79/17 , Gmalieva, Rn 27).
[6] 3.2. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung billigt der EuGH den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum zu (vgl nur 3 Ob 72/21s). Dementsprechend steht es den Mitgliedstaaten frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet des Glücksspiels festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen (C‑316/07 , Stoß, insb Rn 77 und 80; C‑98/14 , Berlington Hungary, Rn 56; vgl auch 10 Ob 52/16v). So obliegt – in Ermangelung einer Harmonisierung auf diesem Gebiet – grundsätzlich den einzelnen Mitgliedstaaten die Beurteilung, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben, sowie die Wahl der Bedingungen für die Organisation und Kontrolle der Spieltätigkeiten im Rahmen des den nationalen Behörden zustehenden Ermessens (vgl C‑920/19 , Fluctus, Rn 27 f). Die Mitgliedstaaten haben demnach auch zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihnen verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Tätigkeiten in Bezug auf Spiele und Wetten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen (vgl C‑390/12 , Pfleger, Rn 45). Der EuGH hat auch schon zum Ausdruck gebracht, dass von Online‑Glücksspielen im Vergleich zu herkömmlichen Glücksspielen ein größeres Gefahrenpotential ausgeht (C‑42/07 , Liga Portuguesa, Rn 70; C‑3/17 , Sporting Odds, Rn 41). Daraus folgt, dass für Online‑Glücksspiele restriktivere Maßnahmen unionsrechtlich zulässig sind. An diesen Beurteilungsgrundsätzen hat sich nichts geändert.
[7] 4.1. Das in der außerordentlichen Revision erwähnte Vorabentscheidungsersuchen des VwGH zu C‑231/20 des EuGH betrifft die Frage der Verhältnismäßigkeit von Strafsanktionen bei Verstößen gegen das staatliche „Glücksspielmonopol“ und damit Fragen der Strafbemessung. Diese Fragen sind für das vorliegende Verfahren nicht präjudiziell. In dem in der außerordentlichen Revision ebenfalls zitierten Beschluss des EuGH zu C‑920/19 , Fluctus, der die Frage der Werbepraktiken der Konzessionäre betrifft, hielt der Gerichtshof an den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen fest und bestätigte, dass Art 56 AEUV einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts (wie in Österreich) nicht allein deshalb entgegensteht, weil (wenn) die Werbepraktiken des Monopolisten (der Konzessionäre) für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa in dem das Spiel verharmlost wird, ihnen wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder ihre Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.
[8] 4.2. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des EuGH ist nicht aufzugreifen, weil die unionsrechtlichen Rechtsgrundsätze geklärt sind und dazu keine stichhaltigen Zweifel aufgezeigt werden.
[9] 5. Der Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel zurückgefordert werden können (vgl RS0025607 [T1]; 3 Ob 57/19g), tritt die Beklagte zu Recht nicht entgegen.
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