European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00175.21W.1216.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Streitteile sind im Handel mit Sportnahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln tätig. Der Erstbeklagte ist Geschäftsführer der (in Deutschland ansäßigen) Zweit‑ und Drittbeklagten. Im November 2020 erwarb die Klägerin im Rahmen eines Asset Deals sämtliche Vermögenswerte einer insolventen Gesellschaft aus dem Firmengeflecht der Beklagten. Die Zweitbeklagte macht ua Werbung mit Kundenbewertungen des – nunmehr von der Klägerin fortgeführten – Webshop der Insolvenzgesellschaft.
[2] Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres klageweise geltend gemachten Unterlassungsanspruchs die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, womit den Beklagten die Unterlassung von im Einzelnen bezeichneten irreführenden Handlungen im Zusammenhang mit der Weiterführung des Geschäftsbetriebs der Insolvenzgesellschaft durch die Klägerin (und nicht – wie fälschlich der Eindruck entstehe – durch die Zweit‑ und Drittbeklagte) geboten werden möge.
[3] Die Vorinstanzen erließen eine Reihe von Unterlassungsverfügungen gegen den Erst‑ und die Zweitbeklagte und wiesen sämtliche Begehren gegen die Drittbeklagte ab.
[4] Das Rekursgericht bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands je Beklagter und je Sicherungsbegehren mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.
[5] Die Zweitbeklagte bekämpft mit ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs ausschließlich den Auftrag des Rekursgerichts an die Zweitbeklagte, es im geschäftlichen Verkehr in Österreich zu unterlassen, mit Kundenbewertungen und Auszeichnungen […] zu werben, wenn diese Bewertungen tatsächlich zu einem wesentlichen Teil für ein anderes Unternehmen abgegeben wurden, das kein Rechtsvorgänger der Beklagten ist.
[6] Die Zweitbeklagte argumentiert in ihrem Revisionsrekurs, ihr Verhalten unterliege nach dem Herkunftslandprinzip der E‑Commerce‑Richtlinie bzw dem E‑Commerce‑Gesetz (ECG) deutschem Recht. Die Klägerin habe keine Verletzung deutschen Rechts behauptet. Im Übrigen liege in Bezug auf den bekämpften Punkt keine Irreführung vor. Der Webshop der Zweitbeklagten sei ident mit dem seinerzeitigen Shop der Insolvenzgesellschaft und erfülle daher sämtliche Erwartungen der Kunden; welche juristische Person den Webshop betreibe, sei für seine Kunden nicht relevant.
Rechtliche Beurteilung
[7] Damit zeigt die Zweitbeklagte keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Rekursgerichts auf. Der Revisionsrekurs ist daher in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen nicht zulässig und somit zurückzuweisen.
[8] 1.1. Online-Werbung ist ein Dienst der Informationsgesellschaft im Sinne des § 3 Z 1 ECG. Für sie gilt § 20 Abs 1 ECG, wonach sich im koordinierten Bereich (§ 3 Z 8 ECG) die rechtlichen Anforderungen an einen in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Diensteanbieter nach dem Recht dieses Staats richten (Herkunftslandprinzip).
[9] 1.2. Das auf Ansprüche wegen irreführender Werbung im Internet anzuwendende Recht ist nach Art 6 Abs 1 Rom II‑VO zu bestimmen. Danach ist das Recht jenes Staats anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder die kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Maßgebend ist daher, auf welchem Markt sich das beanstandete Verhalten auswirkt. Bei Werbemaßnahmen kommt es dabei auf den (tatsächlichen oder wahrscheinlichen) Ort des Einwirkens auf die Marktgegenseite an (4 Ob 12/11k; 4 Ob 202/12b). Soweit das Herkunftslandprinzip der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (Art 3 RL 2000/31/EG ) anwendbar ist, darf die Anwendung dieses Rechts zu keinen strengeren Anforderungen führen, als sie im Recht jenes Staats vorgesehen sind, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist (4 Ob 29/13p = RS0128815).
[10] 1.3. Im konkreten Fall, dem zugrunde liegt, dass sich die Werbemaßnahmen der Zweitbeklagten auf den österreichischen Markt auswirken, ist zu beachten, dass die relevanten Normen beider Rechte (dem österreichischen und dem deutschen) auf einer gemeinsamen unionsrechtlichen Grundlage beruhen. Denn strittig ist das Vorliegen einer irreführenden Geschäftspraktik im Sinn der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt (RL 2005/29/EG ). Da diese Richtlinie nicht bloß Mindeststandards vorsieht, sondern das verbraucherschützende Lauterkeitsrecht vollständig harmonisiert (EuGH C‑261/07 und C‑299/07 , VTB-VAB; C‑304/08 , Plus Warenhandelsgesellschaft; C‑540/08 , Mediaprint), ist nicht davon auszugehen, dass das Recht des Herkunftslandes dem Diensteanbieter mehr Freiheiten gestattet als jenes des Marktorts im Sinne von Art 6 Abs 1 Rom II-VO. Tatsächlich sind die Irreführungstatbestände des § 2 UWG und des § 5 dUWG im Wesentlichen gleichlautend. Die Anwendung des österreichischen Rechts durch die Vorinstanzen ist daher nicht zu beanstanden.
[11] 2.1. Zur (bestrittenen) Irreführungseignung ist vorauszuschicken, dass die Frage, wie die angesprochenen Verkehrskreise eine Werbeaussage verstehen oder ob sie zur Irreführung geeignet ist, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat und daher nicht erheblich im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ist, soweit nicht eine krasse Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RS0107771; RS0053112). Dies ist hier nicht der Fall.
[12] 2.2. Die Revisionsrekurswerberin verkennt mit ihrer Behauptung, ihr Webshop gleiche ohnehin jenem der Konkursgesellschaft, dass für den Durchschnittsverbraucher die Anzahl der auf einer Bewertungsplattform für ein Unternehmen abgegebenen Bewertungen sowie der Bewertungszeitraum von maßgeblicher Bedeutung ist: Je mehr Bewertungen über einen längeren Zeitraum abgegeben wurden, desto aussagekräftiger ist das Bewertungsergebnis; außerdem wird dem Kunden durch einen längeren Bewertungszeitraum auch eine gewisse Stabilität des bewerteten Unternehmens vermittelt. Der durchschnittliche Verbraucher verlässt sich darauf, dass die zu einem Unternehmen gelisteten Bewertungen auch für dieses Unternehmen abgegeben wurden.
[13] Wenn daher das Rekursgericht die Bezugnahme der Zweitbeklagten in ihrer Eigenwerbung auf Kundenbewertungen der Insolvenzgesellschaft (deren Assets die Klägerin übernommen hat) als irreführend erachtet, so liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.
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