OGH 14Os109/21t

OGH14Os109/21t12.10.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz‑Hummel LL.M.sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Scheichel in der Strafsache gegen ***** P*****wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 27. Jänner 2021, GZ 72 Hv 123/20y‑22, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00109.21T.1012.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.

Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen Punkt I./ des Schuldspruchs richtet, und mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** der Vergehen der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (I./) und des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 27. Februar 2020 in T*****

I./ die Polizisten ***** R***** und ***** S***** durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an Ehre und Vermögen, und zwar durch die im Zuge einer Fahrzeug- und Lenkerkontrolle getätigten Ankündigungen „I sog ihnen glei, wenns mi anzagen, dann mach i a Dienstaufsichtsbeschwerde, damit kenne i mi aus!“, „I sog Ihnen, bin ja bekannt als Querulant, also passns auf!“ „Sie kennen mi lei no nit, aber sie werden mi schon noch kennen lernen!“, „I bin da ***** P*****, *****, kennens glei a Stellungnahme schreiben, kriagns an Disziplinarverfahren!“, „Sie kommen auf mei Internetseiten, da sand schon anige von eich, damit de Leit segn, wie i behandelt werd!“ sowie „Na i hoff nit, weil wenn sie nix unternehmen gegen mich, dann muss i a nix machen!“, zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Erstattung von Anzeigen wegen der Begehung von Verwaltungsübertretungen, zu nötigen versucht;

II./ mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem Recht auf Verfolgung von Verwaltungsübertretungen zu schädigen, die Polizisten R***** und S*****, mithin Beamte, dazu zu bestimmen versucht, ihre Befugnis, im Namen der Republik Österreich (richtig: des Landes [Art 11 Abs 1 Z 4 B‑VG]) als deren Organe in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem er sie durch die zu I./ dargestellten Äußerungen aufforderte, die Einbringung von Anzeigen bei den örtlich zuständigen Behörden gegen ihn wegen wahrgenommener Verstöße gegen § 11 Abs 2 StVO, § 46 Abs 4 lit d StVO, § 102 Abs 3 fünfter Satz KFG und § 45 Abs 4 zweiter Satz KFG zu unterlassen, wobei er es für gewiss hielt, dass R***** und S***** dadurch ihre Befugnis vorsätzlich missbrauchen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Zutreffend macht die Mängelrüge zu Punkt II./ des Schuldspruchs eine unvollständige Begründung der Feststellung zur Wissentlichkeit des Angeklagten in Bezug auf (vorsätzlichen) Fehlgebrauch der Befugnis durch die unmittelbaren Täter (US 6) geltend (Z 5 zweiter Fall). Denn die Tatrichter ließen den ihr entgegenstehenden Teil der (ansonsten hinsichtlich des Inhalts der Äußerungen, der Beweggründe für das Verlangen um die Dienstausweise und des von Anfang an feststehenden Entschlusses zur Erstattung einer Dienstaufsichtsbeschwerde berücksichtigten [US 7 f]) Verantwortung des Angeklagten, er sei davon überzeugt gewesen, kein die Anzeigepflicht der Polizeibeamten begründendes Verhalten gesetzt zu haben (ON 21 S 4), unerörtert (vgl RIS‑Justiz RS0098646).

[5] Ein Eingehen auf das

weitere Punkt II./ des Schuldspruchs betreffende Vorbringen der Nichtigkeitsbeschwerde

erübrigt sich daher.

[6] Zudem überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde weiters, dass das angefochtene Urteil im Punkt I./ des Schuldspruchs mit nicht geltend gemachter materieller Nichtigkeit (Z 10) behaftet ist, die dem Angeklagten zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[7] Die rechtliche Annahme der Eignung einer Äußerung, dem Opfer die begründete Besorgnis einzuflößen, der Täter sei willens und in der Lage, das angekündigte Übel herbeizuführen (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 34; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 74 Rz 21; RIS‑Justiz RS0092255), erfordert Feststellungen zu ihrem Bedeutungsgehalt, die durch die bloße Wiedergabe ihres Wortlauts nicht ersetzt werden können. Dieser dient allenfalls der Begründung getroffener Konstatierungen (RIS‑Justiz RS0092437 [T4]).

[8] Hinsichtlich der von den Tatrichtern angenommenen Drohung mit einer Verletzung an der Ehre durch die Ankündigung einer Dienstaufsichtsbeschwerde und der Veröffentlichung des Vorfalls auf der Website des Angeklagten (US 6) ergibt sich aus den Entscheidungsgründen nicht deutlich und bestimmt, welches Verhalten der Polizeibeamten die angedrohte Dienstaufsichtsbeschwerde oder Veröffentlichung zum Inhalt hätte haben sollen. Ob das Inaussichtstellen einer (ungerechtfertigten) Anzeige oder Veröffentlichung eines bestimmten Verhaltens während einer Amtshandlung eine Drohung mit einer Verletzung an der Ehre darstellt, hängt aber entscheidend vom angekündigten Inhalt der Dienstaufsichtsbeschwerde oder Veröffentlichung ab (Jerabek/Ropper in WK² StGB § 74 Rz 31 mwN), weil nicht jeder Vorwurf, der den Gegenstand einer Anzeige bilden kann, oder jedes vom Angeklagten als „inkorrekt“ (US 6) beurteilte Verhalten per se ehrenrührig ist. Dies ist bei angelastetem gerichtlich strafbarem Verhalten in der Regel der Fall, aber etwa bei Verwaltungsübertretungen keineswegs selbstverständlich (RIS-Justiz RS0092362 [insb T6], vgl auch RS0093181 [T7]).

[9] Zudem ergibt sich aus den Entscheidungsgründen   hinsichtlich der ebenfalls angenommenen Drohung mit einer Verletzung am Vermögen – ausgehend von einem objektiv‑individuellen Maßstab (RIS‑Justiz RS0092753) – keine ausreichende Sachverhaltsgrundlage für die (rechtliche) Annahme der Eignung der Dienstaufsichtsbeschwerde, die Besorgnis vor dem Verlust der „einkommensrechtlichen Stellung als Polizeibeamte“ (US 5) zu wecken. Denn dafür wäre (ebenfalls) der vom Angeklagten erhobene, den Opfern bekannt gemachte Vorwurf darzustellen gewesen, weil allein der Umstand der Erstattung einer Dienstaufsichtsbeschwerde (auch bei Fehlen einer Definitivstellung) keine Rückschlüsse auf Folgen für Gehaltszahlungen an die Polizeibeamten oder den Bestand ihres Dienstverhältnisses zulässt.

[10] Hinzu kommt, dass im Fall der Erweislichkeit (wie vom Beschwerdeführer behauptet) zu Unrecht in Aussicht gestellter Schritte zur verwaltungsbehördlichen Verfolgung die Androhung einer (ehrrührigen) Dienstaufsichtsbeschwerde mit dem Ziel, ein solches Vorgehen zu unterbinden, nach den Maßstäben der in § 105 Abs 2 StGB normierten Mittel‑Zweck‑Relation nicht rechtswidrig wäre (vgl RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0093130&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ; Kienapfel/Schroll,BT I3 § 105 Rz 70).

[11] Der geltend gemachte Begründungsmangel und der eben dargestellte Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e erster Satz StPO).

[12] Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde, soweit sie sich gegen Punkt I./ des Schuldspruchs richtet, und mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

[13] Zufolge Aufhebung des gesamten Urteils fallen dem Angeklagten keine Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 7).

Stichworte