OGH 13Os69/21b

OGH13Os69/21b29.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz‑Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** G***** wegen Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Geschworenengericht vom 1. April 2021, GZ 7 Hv 102/20t‑69, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00069.21B.0929.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde ***** G***** des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (A) und mehrerer Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (B) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 17. Juli 2020 in R*****

A) J***** Gah***** vorsätzlich am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, indem er sie mit beiden Händen am Hals packte und würgte, und dadurch fahrlässig eine schwere Gesundheitsschädigung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine längere Bewusstlosigkeit, und eine Prellung mit Bluterguss im Bereich des linken Oberlides sowie Einblutungen in den Bereichen der Bindehäute und der Rachen‑, Gaumen‑ sowie Kehldeckelschleimhaut herbeigeführt, sowie

B) Nachgenannte zu töten versucht, und zwar

I) A***** Gah***** und I***** Gah*****, indem er sie in eine halbvoll mit Wasser gefüllte Badewanne setzte und dann einen eingeschalteten Elektrotoaster in die Badewanne warf, wobei die Tat beim Versuch blieb, weil der Fehlerstrom‑Schutzschalter auslöste, und

II) J***** Gah***** und I***** Gah*****, indem er in einem Raum zwei Camping‑Gaskartuschen mit Brennern rechts und links des Bettes, auf dem J***** Gah***** lag, platzierte, die Tür verschloss und die Gashähne aufdrehte, wobei die Tat beim Versuch blieb, weil J***** Gah***** erwachte und, als sie den Gasgeruch wahrnahm, ***** G***** aufforderte, sofort die Gashähne abzudrehen und die Fenster sowie die Tür zu öffnen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 6, 8, 9, 10a und 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 5) wurden durch die Abweisung (ON 66 S 103 f) der Anträge auf Vernehmung der Zeugen ***** H***** (auch: H*****), ***** B*****, jener Beamten, die die Wohnung nach der Tat inspiziert hatten, der Mutter des Angeklagten sowie dessen Onkel ***** Ga*****, zusammengefasst zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte bis zur Tatnacht täglich in der Wohnung der J***** Gah***** aufgehalten und dort auch persönliche Gegenstände aufbewahrt habe (ON 66 S 102), Verteidigungsrechte nicht verletzt. Zwar waren diese Anträge, die auf die Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin J***** Gah***** abzielten, grundsätzlich auf erhebliche Tatsachen gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS‑Justiz RS0028345; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 340, 350). Sie gaben jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Genannte in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt hätte (RIS‑Justiz RS0120109 [T3]).

[5] Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt ein absolut untauglicher Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) nur dann vor, wenn die Verwirklichung der angestrebten strafbaren Handlung auf die vorgesehene Art bei generalisierender Betrachtung, somit losgelöst von den Besonderheiten des

Einzelfalls, geradezu denkunmöglich ist und demzufolge unter keinen wie immer gearteten Umständen erwartet werden kann (RIS‑Justiz RS0115363 [T1] und RS0089880). Für die hier relevante Unterscheidung absoluter von (bloß) relativer Untauglichkeit der Handlung ist dabei die ex‑ante‑Sicht eines über den Tatplan informierten mit Durchschnittswissen ausgestatteten Beobachters maßgebend (vgl RIS‑Justiz RS0098852). Sachverständige (§ 125 Abs 1 Z 1 StPO) sind hingegen gemäß § 126 Abs 1 StPO zu bestellen, wenn für Ermittlungen oder für Beweisaufnahmen besonderes Fachwissen erforderlich ist, über das die Strafverfolgungsbehörden durch ihre Organe, besondere Einrichtungen oder bei ihnen dauernd angestellte Personen nicht verfügen.

[6] Davon ausgehend zielte der Antrag auf Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass „selbst bei Ausströmen zweier voller Kartuschen wie hier anklagegegenständlich zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgefahr besteht, da die Gaskonzentration nicht einmal ansatzweise ausreicht, einen Raum wie den gegenständlichen zu füllen und wäre es nicht einmal dann tödlich, wenn man direkt über der Gaskartusche einatmen würde, da die Gaskartuschen so konzipiert sind, dass sie kein tödliches Gas verströmen“ (ON 66 S 103), und zum Beweis dafür, dass „das Gas in der verkauften Menge und Qualität […] selbst bei direkter Konsumtion in einem ganz kleinen Raum nicht tödlich ist“ (ON 66 S 106), nicht auf eine für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage relevante Beweisaufnahme ab.

[7] Gleiches gilt in Ansehung des Antrags auf Einholung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass „bei einer Stromunterbrechung bei Aktivwerden eines zertifizierten und im gegenständlichen Fall eingebauten FI‑Schalters keine lebensbedrohliche Stromaufnahme durch einen im Wasser befindlichen Körper wie im gegenständlichen Fall gegeben passiert“ (ON 66 S 103).

[8] Die Fragenrüge (Z 6) wendet sich gegen das Unterbleiben „je einer Zusatzfrage nach absolut untauglichem Versuch zu den Hauptfragen 2 und 3“. Damit verkennt sie, dass den Geschworenen bei Vorliegen von in die Richtung von Versuchsuntauglichkeit nach § 15 Abs 3 StGB weisenden Sachverhaltselementen durch Aufnahme der die Tatvollendung hindernden Umstände in eine Haupt- oder Eventualfrage die Möglichkeit zu geben ist, deren Nichtvorliegen in ihrem Wahrspruch festzustellen (Ratz, WK‑StPO § 345 Rz 30). Eine Zusatzfrage nach absoluter Versuchsuntauglichkeit kommt daher nicht in Betracht (RIS‑Justiz RS0090109 und RS0090470; Lässig, WK‑StPO § 313 Rz 17; Bauer/Plöchl in WK2 StGB § 16 Rz 253).

[9] Eine

prozessordnungsgemäße Ausführung der Instruktionsrüge (Z 8) verlangt den Vergleich des gesamten Inhalts der tatsächlich erteilten Rechtsbelehrung mit deren nach § 321 Abs 2 StPO erforderlichem Inhalt und die darauf gegründete deutliche und bestimmte Darstellung der Unrichtigkeit der den Geschworenen zuteil gewordenen juristischen Information (RIS‑Justiz RS0100695 [insbesondere T7] und RS0119549).

[10] Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerde mit der bloßen Behauptung, die Rechtsbelehrung „zur Thematik des untauglichen Versuchs“ (Rechtsbelehrung S 22 ff) würde „der Komplexität des Themas nicht gerecht“.

[11] Weiters vermisst sie eine Belehrung darüber, dass durch die Beantwortung der Hauptfragen 2 und 3 (nach den Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB) „gleichzeitig über die Frage der absoluten Untauglichkeit abgesprochen wird“, und behauptet, die Geschworenen hätten nach dem Fragenschema nicht über einen absolut untauglichen Versuch beraten können. Dabei berücksichtigt sie nicht die Gesamtheit der Rechtsbelehrung, wonach der absolut untaugliche Versuch straflos (Rechtsmittelbelehrung S 23 f, S 43) und der Angeklagte beiVerneinung der Hauptfragen 2 und 3 (jeweils) vom Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB freizusprechen ist (Rechtsmittelbelehrung S 43 f).

[12] Die Forderung nach einer Belehrung der Geschworenen über den strafprozessualen Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) entbehrt einer methodengerechten Ableitung aus dem Gesetz (vgl § 321 Abs 2 StPO; siehe im Übrigen RIS‑Justiz RS0098508 sowie Świdersky, WK‑StPO § 321 Rz 15).

[13] Der Nichtigkeitsgrund der Z 9 des § 345 Abs 1 StPO kann entgegen der Undeutlichkeit der Antwort der Geschworenen zu den Hauptfragen 2 und 3 behauptenden Beschwerdevorbringen nicht aus der Niederschrift der Geschworenen, sondern ausschließlich aus dem Wahrspruch selbst abgeleitet werden (vgl RIS‑Justiz RS0101005 [insbesondere T5] und RS0100917).

[14] Urteilsnichtigkeit aus Z 10a liegt nur dann vor, wenn die Beschwerde (durch konkreten Verweis auf Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen) dartun kann, dass die Geschworenen das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO (iVm § 302 Abs 1 StPO) gesetzlich zustehende

Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS‑Justiz RS0118780 [T16 und T17]).

[15] Mit der Behauptung, die Geschworenen hätten sich zur Hauptfrage 2 aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dipl.‑Ing. L***** zur Wirkungsweise des hier zum Einsatz gekommenen Fehlerstrom-Schutzschalters „mit der Frage, ob durch dieses Handeln ein Mord verübt werden könnte deutlicher auseinandersetzen [...] müssen“, verfehlt die Beschwerde den dargestellten Anfechtungsrahmen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes.

[16] Gleiches gilt, soweit die Rüge in Bezug auf die Hauptfrage 3 einwendet, es hätte einer weiteren Erörterung der Füllmenge der beiden Gaskartuschen bedurft, und vorbringt, es liege kein Nachweis für die „potentielle Tödlichkeit des Gases“ vor.

[17] Der Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO wird nur nominell herangezogen.

[18] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO).

[19] Über die Berufungen hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§§ 344, 285i StPO).

[20] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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