OGH 8Ob35/21m

OGH8Ob35/21m14.9.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers P* S*, gegen den Antragsgegner G* S*, vertreten durch RSS Rechtsanwälte OG in Mattersburg, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegnersgegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Dezember 2020, GZ 43 R 559/20d‑25, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 22. Oktober 2020, GZ 23 Fam 23/20v‑19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E133036

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Antragsgegner ist der Vater des volljährigen Antragstellers, der in Vollzeit und innerhalb der durchschnittlichen Studiendauer ein Masterstudium des Studiengangs Molekularbiologie absolviert.

[2] Der Antragsgegner bestritt das Bestehen einer Geldunterhaltsverpflichtung mit der Begründung, dem Antragsteller sei die Ausübung einer Beschäftigung neben dem Studium zumutbar. Im Übrigen habe er seinen Unterhaltsanspruch verwirkt, weil er den an multipler Sklerose erkrankten Antragsgegner während eines sechswöchigen stationären Kuraufenthalts überhaupt nicht und ansonsten nur alle eineinhalb Monate für 2 Stunden besucht habe.

[3] Das Erstgericht verpflichtete den Vater antragsgemäß zur Leistung monatlicher Unterhaltsbeiträge an den Sohn von je 200 EUR für die Zeit vom 1. 8. 2019 bis 31. 5. 2020. Eine Nebenbeschäftigung sei dem Antragsteller im letzten Jahr des Masterstudiums nicht zumutbar. Für die Annahme einer Verwirkung des Unterhalts iSd § 770 ABGB fehle es bereits an einem tauglichen Vorbringen.

[4] Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs des Antragsgegners keine Folge. Schon nach dem Vorbringen des Vaters seien die Voraussetzungen für eine Minderung oder Entziehung des Pflichtteils iSd § 770, 776 Abs 1 ABGB nicht erfüllt. Im Übrigen seien die erbrechtlichen Bestimmungen über den Pflichtteil im Verfahren über den Kindesunterhalt nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung auch nicht relevant.

[5] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil – soweit überblickbar – noch keine höchstgerichtliche Entscheidung zur Bedeutung des § 770 Z 5 ABGB für die Unterhaltspflicht gegenüber einem Kind vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der – vom Antragsteller nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Antragsgegners ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig.

[7] 1. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz (hier: unterbliebene Vernehmung eines Zeugen) kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RS0050037; RS0030748; RS0043919). Diese Beschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass die Verneinung als Mangel des Rekursverfahrens geltend gemacht wird. Im Übrigen legt der Rechtsmittelwerber auch die Relevanz des behaupteten Mangels nicht dar, weil die Vorinstanzen sein Vorbringen über die Besuchskontakte der Streitteile ohnehin ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt haben.

[8] 2. Die Beurteilung, ob zwischen den Streitteilen über einen längeren Zeitraum iSd § 776 Abs 1 ABGB kein Naheverhältnis bestand, wie es zwischen solchen engen Familienangehörigen gewöhnlich besteht, ist einzelfallbezogen. Schon nach dem Vorbringen des Antragsgegners finden in mehrwöchigen Abständen, aber regelmäßig Besuchskontakte zwischen den Streitteilen statt, sodass das Vorliegen einer längeren Kontaktunterbrechung, wie sie die Anwendung dieser Gesetzesstelle voraussetzt, nicht einmal schlüssig behauptet wurde.

[9] Im Übrigen steht die Beurteilung des Rekursgerichts mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung des § 776 ABGB im Unterhaltsrecht schon aus grundsätzlichen Erwägungen verneint (RS0047308 [T3] = 7 Ob 208/18s) im Einklang. Die Rechtsmittelausführungen erschöpfen sich in einer gegenteiligen Behauptung und einem aus dem Zusammenhang gerissenen Hinweis auf die Voraussetzungen einer Gesetzesanalogie, ohne sich mit der konkreten Rechtsfrage und ihrer Lösung in der zitierten Rechtsprechung auch nur ansatzweise auseinanderzusetzen.

[10] 3. Auch die Beurteilung, ob das Verhalten eines Kindes einen Grund für die Enterbung iSd § 770 Z 5 ABGB wegen gröblicher Vernachlässigung seiner familienrechtlichen Pflichten bildet, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0106221 [T2]).

[11] Nach dem Akteninhalt lebt der schwer erkrankte, pflegebedürftige Antragsgegner im eigenen Haushalt und wird von einer professionellen 24‑Stunden‑Betreuung gepflegt. Für den Fall eines künftigen Verlustes seiner Entscheidungsfähigkeit hat er seinem Bruder eine Vorsorgevollmacht erteilt. Er hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet, dass er darüber hinaus auch auf Betreuungsleistungen seines erwachsenen, räumlich entfernt lebenden Sohnes angewiesen wäre oder diese gefordert und nicht erhalten hätte.

[12] Es ist verständlich, wenn sich der Antragsgegner häufigere Besuche und eine innigere emotionale Beziehung zu seinem Sohn mit mehr Trost und Zuspruch wünschen würde. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die in erster Instanz vorgebrachte seltene Besuchsfrequenz für sich allein noch keine, jedenfalls aber keine gröbliche Verletzung von familienrechtlichen Kindespflichten iSd § 770 Z 5 ABGB verwirklicht, ist jedoch nicht korrekturbedürftig (vgl Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 IV § 770 Rz 13 ff). Noch weniger kann es eine gröbliche Pflichtenverletzung darstellen, wenn der Antragsteller im Zuge des Scheidungsstreits der Eltern für die Interessen der Mutter Partei ergriffen hat, bestehen doch die Kindespflichten gegenüber beiden Elternteilen. Die im Revisionsrekurs dazu nachgeschobenen Neuerungen sind unbeachtlich, wären aus diesem Grund aber auch inhaltlich nicht geeignet, den Revisionsgrund darzutun.

[13] Davon ausgehend stellt sich aber die im Zulassungsausspruch des Rekursgerichts als erheblich angesprochene Rechtsfrage, welche Konsequenzen das Vorliegen eines Enterbungsgrundes nach § 770 ABGB auf den Unterhaltsanspruch eines volljährigen Kindes hätte, nicht.

[14] Mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Stichworte