OGH 14Os57/21w

OGH14Os57/21w10.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart des Schriftführers Mag. Lampret in der Strafsache gegen ***** L***** wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 1. Februar 2021, GZ 23 Hv 44/20h‑24, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00057.21W.0810.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** L***** des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1, Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie vom 16. Juni 2015 bis Februar 2020 in L***** durch körperliche Misshandlungen, Körperverletzungen und Nötigungen gegen eine unmündige Person, nämlich ihre 2009 geborene Tochter ***** P*****, länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie diese

1/ mehrmals wöchentlich an den Haaren zog, schüttelte, am Arm packte, zwickte, schubste, mit der flachen Hand ins Gesicht, auf die Arme, Beine und den Rücken sowie je einmal mit einem Kamm und mit einer Fernbedienung und mehrmals mit Schuhen und einem Gürtel schlug, wodurch P***** Rötungen und blaue Flecken am ganzen Körper sowie Schmerzen an der Kopfhaut erlitt;

2/ durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich ihrem Vater nichts von den zu 1/ beschriebenen Handlungen zu erzählen, nötigte, indem sie wiederholt nach diesen äußerte, wenn sie „das“ ihrem Vater sage, dann schlage sie sie öfters.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Die Mängelrüge nimmt mit ihrer Kritik, die Feststellungen zur (ersichtlich gemeint) Qualifikation nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB seien nicht begründet (Z 5 vierter Fall), nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (vgl aber RIS-Justiz RS0119370). Die Tatrichter leiteten die Konstatierungen zum auf die zeitliche Komponente dieser Qualifikation gerichteten Vorsatz (US 3) aus dem (näher dargestellten) „objektiven Tatgeschehen“ ab (US 6 f). Dies ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden und bei – wie hier – nicht geständigen Angeklagten methodisch auch nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0116882).

[5] Da das Erstgericht auf Basis des Urteilssachverhalts eine tatbestandliche Handlungseinheit abgeurteilt hat (vgl RIS-Justiz RS0129716), geht der Einwand, die Feststellungen ließen nicht „erkennen, welche Handlungen die Angeklagte wann, wie lange und mit welcher Absicht gesetzt hat“, ins Leere (vgl allgemein [zu den prozessualen Konsequenzen einer solchen Handlungseinheit] RIS-Justiz RS0127374). Im Übrigen ist dem Urteil unmissverständlich zu entnehmen, dass der Vorsatz der Beschwerdeführerin bei sämtlichen ab Beginn des Jahres 2018 gesetzten Tathandlungen auch die zeitliche Komponente der Qualifikation nach § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB umfasste (US 3).

[6] Die Angaben des Opfers, einschließlich darin enthaltener geringfügiger Abweichungen, haben die Tatrichter ohnehin erörtert (US 4 ff). Mit Blick auf das Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) waren sie nicht verhalten, sich im Urteil mit sämtlichen Details aus diesen Aussagen auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0106642). Die unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ins Treffen geführten Angaben des Opfers im pflegschaftsgerichtlichen Verfahren standen den Feststellungen nicht entgegen und waren daher nicht gesondert erörterungsbedürftig (RIS-Justiz RS0098646 [T8]).

[7] Mit der Aussage des Vaters des Tatopfers setzte sich das Erstgericht ebenfalls auseinander (US 6). Indem die weitere Mängelrüge daraus isoliert aus dem Zusammenhang zitierte Passagen eigenständig würdigt, zeigt sie keine Unvollständigkeit auf, sondern übt bloß unzulässig Beweiswürdigungskritik.

[8] Die in einer Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe referierten, dieser gegenüber am 21. September 2020 getätigten Angaben des Opfers sind nach dem – keinen Bedenken begegnenden (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 312) – Protokoll über die Hauptverhandlung in dieser nicht vorgekommen (vgl ON 23 S 8 f), weshalb sie nicht zu erörtern waren (§ 258 Abs 1 StPO).

[9] Da diese Stellungnahme der Familien- und Jugendgerichtshilfe nicht „zum Akt“ (also zu den Akten des gegenständlichen Strafverfahrens) gekommen ist, hätte sie in der Hauptverhandlung nicht vorkommen können (und rechtens vorkommen dürfen), sodass auch der darauf gestützte Einwand der Tatsachenrüge (Z 5a) ins Leere geht (RIS-Justiz RS0117446 [T13]).

[10] Die Subsumtionsrüge (Z 10) entwickelt ihre Kritik, das festgestellte Verhalten erfülle bloß den Tatbestand der Nötigung, weil „minimale Hautabschürfungen und alsbald vorübergehende Hautrötungen“ keine Körperverletzungen sowie „Spuck- oder Schüttelattacken“ keine Misshandlungen darstellten, prozessordnungswidrig nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (RIS‑Justiz RS0099810). Diesem zufolge erlitt das Opfer durch die inkriminierten Handlungen Rötungen und blaue Flecken am ganzen Körper (vgl RIS‑Justiz RS0092811 [T13]; Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 83 Rz 6; L/St/Nimmervoll/Stricker , StGB 4 § 83 Rz 6) sowie „Schmerzen an der Kopfhaut“ (US 3; vgl RIS‑Justiz RS0092867; Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 83 Rz 12 und 24; L/St/Nimmervoll/Stricker , StGB 4 § 83 Rz 10a und 14). Davon abgesehen leitet die Rüge nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl RIS‑Justiz RS0116565), weshalb fortgesetzte Gewaltausübung nicht auch durch – den sonstigen Kriterien entsprechende (vgl RIS‑Justiz RS0127377) – Nötigungen begangen werden könne (vgl Schwaighofer in WK 2 StGB § 107b Rz 22; Winkler , SbgK § 107b Rz 89).

[11] Der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zuwider bedeutet die aggravierende Wertung des – die Qualifikationsgrenze des § 107b Abs 4 zweiter Fall StGB weit übersteigenden – langen Tatzeitraums (US 7) keinen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB; vgl RIS-Justiz RS0091126).

[12] Inwieweit das Erstgericht sonst „unvertretbar gegen die Bestimmungen über die Strafzumessung“ verstoßen habe (nominell Z 11 dritter Fall), legt die weitere, bloß ein Berufungsvorbringen enthaltende Rüge nicht deutlich und bestimmt dar.

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[14] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[15] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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