OGH 2Ob109/21z

OGH2Ob109/21z5.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. S* O*, vertreten durch Dr. Andreas Pistotnig, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien – Wiener Wohnen, *, vertreten durch Mag. DI Markus Petrowsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.184,16 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 8.690,28 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2021, GZ 40 R 299/20x‑32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E132642

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] 1. Die Klägerin als Mieterin errichtete mit Zustimmung der Beklagten als Vermieterin auf eigene Kosten einen rund 40 m² großen Zubau zu ihrem Mietobjekt. Mit der diesen Zubau regelnden nachträglichen Ergänzung zum Mietvertrag vereinbarten die Streitteile (unter anderem) eine der Nutzflächenvergrößerung entsprechende Erhöhung des Hauptmietzinses.

[2] 2. Die Klägerin begehrt nunmehr die Rückzahlung des unter Vorbehalt geleisteten erhöhten Mietzinses und die Feststellung, dass die Klausel über die Verpflichtung zur Zahlung eines Hauptmietzinses von monatlich 482,46 EUR ab 1. 4. 2013 unwirksam sei. Sie stützt sich erkennbar auf das Vorliegen von Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB und von gröblicher Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB.

Rechtliche Beurteilung

[3] 3. Die Vorinstanzen haben das Vorliegen von Sittenwidrigkeit iSd § 879 Abs 1 ABGB vertretbar verneint:

[4] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hat im Verfahren über die Anträge der Klägerin nach § 37 Abs 1 Z 8 und 14 MRG iVm §§ 16 und 27 MRG die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach die auch im vorliegenden Verfahren strittige, die Erhöhung des Hauptmietzinses regelnde Vereinbarung im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Mietvertrag stehe und auch nicht sittenwidrig und daher nicht nach § 27 Abs 1 Z 5 MRG verboten sei, als nicht korrekturbedürftig angesehen. Er betonte, dass sich die Mieterin zwar zu einer umfassenden Schad- und Klagloshaltung der Vermieterin verpflichtet und auf Ersatzansprüche verzichtet habe, allerdings von keiner Zwangssituation der Mieterin auszugehen sei. Es mangle auch nicht an einer Gegenleistung der Vermieterin, weil diese nicht nur die Inanspruchnahme ihrer Liegenschaft und deren bauliche Veränderung gestattet habe, sondern sie auch in Bezug auf den Zubau die unabdingbaren Pflichten der Erhaltung nach § 3 MRG und des Investitionsersatzes nach § 10 MRG treffen würden (5 Ob 137/19m).

[5] 3.2. Die Klägerin zeigt in ihrer außerordentlichen Revision nicht auf, wieso die sich auf diese Rechtsansicht stützende rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen eine aufzugreifende Fehlbeurteilung darstellen sollte. Zu berücksichtigen ist, dass sich aus den Feststellungen zwanglos ableiten lässt, dass die Streitteile nach Unterfertigung der Ergänzung zum Mietvertrag stillschweigend übereinkamen, dass sich der Mietzins nicht ab 1. 4. 2013, sondern jedenfalls nicht vor tatsächlicher Bewohnbarkeit des Zubaus erhöhen sollte. Dass die Streitteile die Einhaltung der Schriftform für Vertragsänderungen vereinbarten, schadet nicht, weil von einer solchen Vereinbarung auch stillschweigend jederzeit wieder abgegangen werden kann (RS0014378). Im Übrigen brachte die Klägerin am Beginn des erstinstanzlichen Verfahrens noch selbst vor, dass sie erst ab Bewohnbarkeit des Zubaus erhöhten Mietzins zahlen müsse. Ausgehend von einer Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung des erhöhten Mietzinses erst ab tatsächlicher Bewohnbarkeit des Zubaus kommt der Frage, ob eine Vereinbarung über eine Zinszahlungspflicht vor diesem Zeitpunkt sittenwidrig wäre, nur theoretisch-abstrakte Bedeutung zu.

[6] 4. Eine Anfechtung der inkriminierten Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB muss schon daran scheitern, dass diese Hauptleistungspflichten betrifft:

[7] 4.1. Die Ausnahme von der im § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle – die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten – ist möglichst eng zu verstehen und soll auf die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen beschränkt bleiben, so dass vor allem auch die im dispositiven Recht geregelten Fragen bei der Hauptleistung, also vor allem Ort und Zeit der Vertragserfüllung, nicht unter diese Ausnahme fallen (RS0016908). Von der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB ausgenommen ist damit die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen; nicht ausgenommen sind hingegen Bestimmungen, die die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln oder die die vertragstypische Leistung in allgemeiner Form näher umschreiben (RS0016931). Mit anderen Worten sollen nur Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen, der Inhaltskontrolle entzogen sein, nicht jedoch Klauseln, die das eigentliche Leistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen (RS0016908 [T5, T8]).

[8] 4.2. Ausgehend davon ist die die Hauptleistungspflicht der Klägerin als Mieterin regelnde Klausel der Prüfung nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen. Zu beurteilen ist nämlich nicht eine Änderung oder Einschränkung des Leistungsversprechens, sondern der Abschluss eines zusätzlichen Mietvertrags, der neue Hauptleistungspflichten festlegt.

[9] 5. Soweit die Klägerin argumentiert, dass eine Verpflichtung zur Mietzinszahlung erst nach Amortisation sämtlicher Baukosten bestehen könne, handelt es sich um eine im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung. Die in diesem Zusammenhang gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte