OGH 8Ob50/21t

OGH8Ob50/21t3.8.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann‑Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Mag. Raimund Unger, Rechtsanwalt in Bischofshofen, gegen die beklagte Partei P*****, vertreten durch Dr. Schartner Rechtsanwalt GmbH in Altenmarkt, wegen Unterlassung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2021, GZ 53 R 210/20v‑18, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 29. September 2020, GZ 2 C 59/20t‑14, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00050.21T.0803.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist seit 2008 grundbücherliche Eigentümerin der Liegenschaft EZ *****, KG ***** S*****, zu der unter anderem die Grundstücke 287, 288, 289/1 und 289/4 gehören. Über diese Grundstücke verläuft ein von einem Güterweg abzweigender Feldweg, der in weiterer Folge unter anderem auf das Grundstück 299, das nicht mehr im Eigentum der Klägerin steht, weiterführt. Dieser Weg wurde im Zuge der Errichtung der Autobahn in den frühen 80ern anstelle eines Fuhr‑ bzw Pferdewegs, der durch den Autobahnbau beseitigt wurde, errichtet.

[2] Der Beklagte, der ebenfalls Eigentümer einer Liegenschaft im Bereich der KG S***** war, vereinbarte mit dem damaligen Eigentümer des Grundstücks 299 die Nutzung einer Quelle auf dieser Liegenschaft. Diese Quelle wurde 1974 gefasst und eine Leitung zur Liegenschaft des Beklagten gelegt. Seit 1974 wird die Quelle vom Beklagten genutzt und betreut. Der direkte Zugang von der Liegenschaft des Beklagten zu dieser Quelle ist seit dem Autobahnbau nicht mehr möglich. Seitdem nutzt der Beklagte dazu mehrfach im Jahr den zuvor genannten Weg über die Liegenschaft der Klägerin. 2010 übergab der Beklagte seine Liegenschaft an seine Tochter. In ihrem Auftrag betreute er die Quelle jedoch weiter.

[3] Erst im Zuge der Montage von Wildkameras wurde der Klägerin bekannt, dass der Beklagte den Weg nutzt.

[4] Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, es ab sofort zu unterlassen, auf dem über Teile ihrer Liegenschaft führenden Weg zu gehen.

[5] Der Beklagte bestreitet und bringt vor, er sowie seine Rechtsvorgänger nutzen den Weg seit 1950 ununterbrochen. Daher sei die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen worden.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Durch das Gehen und Fahren auf dem über die Liegenschaft verlaufenden Wegteil über mehr als 30 Jahre sei schlüssig ein Nutzungsrecht bzw eine Dienstbarkeit zwischen der Klägerin als Eigentümerin der Wegparzelle sowie den Eigentümern der früheren Liegenschaft des Beklagten (nunmehr seiner Tochter) zustande gekommen, um zu der Quelle auf dem Grundstück 299 zu gelangen. Der Beklagte leite sein Nutzungsrecht des Weges von seiner Tochter als nunmehr Berechtigte des herrschenden Grundstücks ab, weshalb kein unzulässiger Eingriff vorliege.

[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinn einer Klagsstattgebung ab. Die Klägerin könne sich auf einen gutgläubigen lastenfreien Erwerb nach § 1500 ABGB berufen. Nach den Feststellungen sei ihr die Nutzung des Weges erst seit 2019 bekannt geworden. Behauptungen, warum eine offenkundige Dienstbarkeit vorliegen solle, habe der Beklagte nicht aufgestellt. Damit werde auch eine vollendete Ersitzung wirkungslos.

[8] Die Revision wurde vom Berufungsgericht über Antrag des Beklagten nachträglich zugelassen, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung im Hinblick auf die Gutgläubigkeit der Klägerin im Zusammenhang mit der Nutzung des Weges unterlaufen sein könnte.

[9] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, der Revision Folge zu geben und die Klage abzuweisen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, ihr in eventu nicht Folge zu geben.

[11] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die in der Revision gerügte Aktenwidrigkeit vorliegt und das Berufungsgericht sich im Hinblick auf die Bezeichnung des Weges „F 13/14“ geirrt hat, ist daraus für den Beklagten nichts zu gewinnen. Unstrittig ist die Klägerin nach dem Grundbuch Alleineigentümerin der eingangs genannten Grundstücke. Der Beklagte hat zwar vorgebracht, dass am Weg Miteigentümerschaft mit den Eigentümern einer anderen Liegenschaft besteht, jedoch nicht ansatzweise dargelegt, woraus sich diese Miteigentümerschaft ergeben soll. Der Verweis auf Beweismittel ersetzt ein solches Vorbringen nicht. Darüber hinaus lässt sich aber auch aus den vom Erstgericht in den Feststellungen zitierten Urkunden keine Vereinbarung einer Miteigentumsgemeinschaft ableiten.

[13] 2. Auch der gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das Gericht darf eine Partei in seiner Entscheidung nicht mit seiner Rechtsansicht überraschen (RIS‑Justiz RS0037300). Das gilt auch für das Berufungsgericht (RS0037300 [T38]). Überraschend ist eine Rechtsansicht, wenn sie bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz von keiner der Parteien ins Treffen geführt wurde und daher keine Gelegenheit zur Stellungnahme bestand (vgl 5 Ob 117/14p). Im konkreten Fall hat jedoch die Klägerin ausdrücklich vorgebracht, die Liegenschaft frei von jeder Belastung erworben zu haben sowie, dass keine offenkundigen Umstände vorgelegen seien, dass Rechte Dritter bestehen würden. Der Beklagte hat sich dazu darauf berufen, dass der Klägerin die Nutzung des Weges durch ihn bekannt war. Vor diesem Hintergrund bestand für die Vorinstanzen keine Veranlassung, den Beklagten zu einem weiteren Vorbringen zur Offenkundigkeit der behaupteten Servitut bei Erwerb der Liegenschaft durch die Klägerin anzuleiten.

[14] 3. Ein aus der Ersitzung oder Verjährung erworbenes Recht kann demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Dem gutgläubigen Erwerber kann somit der außerbücherliche Erwerb einer Dienstbarkeit nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Der Grundsatz des Vertrauens auf des öffentliche Buch gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Berufung auf die Gutgläubigkeit ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen (vgl RS0034776 [insb T10]. Daher ist Gutgläubigkeit bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit zu verneinen.

[15] Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633). Soweit sich aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstands ergeben, müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Solche sind vom Ersteher nur bei Vorliegen besonderer, nach den Umständen des Einzelfalls bezüglich ihrer Eignung, Zweifel in dieser Hinsicht zu hegen, zu beurteilender Umstände zu verlangen (RS0034870). In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit (9 Ob 14/20d ua).

[16] 4. Im konkreten Fall hat das Erstgericht ausdrücklich festgestellt, dass die Klägerin erst durch das Aufstellen der Wildkameras von der Nutzung der Liegenschaft durch den Beklagten erfuhr, woraus sich ergibt, dass sie bei Erwerb der Liegenschaft nicht in Kenntnis einer Dienstbarkeitsausübung durch den Beklagten war. Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der Beklagte zur Offenkundigkeit einer Servitut, für die er beweispflichtig ist, kein Vorbringen erstattet hat. Dies wird in der Revision auch nicht bestritten, sondern auf eine Verletzung der Manuduktionspflicht verwiesen, die aber, wie bereits dargelegt, zu verneinen ist.

[17] Allein das Vorhandensein des Weges führt nicht in jedem Fall zu einer Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit (vgl RS0107329 [T1]); es handelt sich um Fragen der Einzelfallbeurteilung, die regelmäßig keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO darstellen. Von einer Unvertretbarkeit der Beurteilung durch das Berufungsgericht kann hier nicht ausgegangen werden. Insbesondere ist im vorliegenden Fall die Liegenschaft mit einer Dienstbarkeit des Begehens und Fahrens zugunsten der Republik Österreich belastet, sodass das Vorhandensein des Weges daher nicht notwendigerweise vermuten lässt, dass an ihm auch andere Personen eine (außerbücherliche) Servitut zugunsten einer nicht angrenzenden Liegenschaft erworben haben könnten.

[18] 5. Soweit der Beklagte geltend macht, dass er sein Nutzungsrecht von den Eigentümern der Quellliegenschaft ableitet, denen ein solches Wegenutzungsrecht jedenfalls zusteht, handelt es sich um eine unzulässige Neuerung. Ein solches Vorbringen wurde in erster Instanz nicht erstattet. Wenn der Beklagte auch diesbezüglich eine Verletzung der Anleitungspflicht moniert, beruft er sich auf einen Verfahrensmangel erster Instanz, der aber in der Berufung als solcher nicht geltend gemacht wurde. Eine solche unterlassene Rüge kann aber in der Revision nicht nachgeholt werden.

[19] 6. Insgesamt gelingt es dem Beklagten daher nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[20] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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