OGH 9ObA47/21h

OGH9ObA47/21h24.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau und Hon.‑Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei * G*, vertreten durch Mag. Fatma Islekoglu, Rechtsanwältin in Hard, gegen die beklagte Partei * F* GmbH, *, vertreten durch Mag. Norbert Huber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 7.206,79 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2021, GZ 15 Ra 2/21p‑23, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Oktober 2020, GZ 62 Cga 19/20v‑18, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132088

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war ab 25. 11. 2019 für die Beklagte in deren Hotel in I* auf Vollzeitbasis als „Chef de Partie“ zu einem Monatsentgelt von 3.459 EUR brutto beschäftigt; auf dieses Arbeitsverhältnis, das vereinbarungsgemäß vom 25. 11. 2019 bis 6. 5. 2020 dauern sollte, kommt ua der Kollektivvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter im Hotel- und Gastgewerbe zur Anwendung. Im Dienstvertrag wurde ua vereinbart, dass das befristete Arbeitsverhältnis durch Zeitablauf endet, sofern es nicht bis einen Monat vor Zeitablauf von einem der Vertragspartner unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 14 Kalendertagen gekündigt wird.

[2] Am 12. 3. 2020 waren im Betrieb der Beklagten 50 bis 57 Mitarbeiter beschäftigt, ein Betriebsrat war nicht errichtet. Am 12. 3. 2020 übermittelte der Geschäftsführer der Beklagten der Geschäftsstelle des AMS in * folgendes Schreiben:

„Sehr geehrte Damen und Herren, mit heutigem Tag mussten wir eine Anzeige über die beabsichtigte Auflösung von Dienstverhältnissen gemäß § 45a AMFG an die Regionalstelle I* erstatten. Wir ersuchen darum, die Zustimmung zum Ausspruch der Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG und zwar möglichst sofort zu erteilen. Leider zwingen uns wichtige gesundheitliche und wirtschaftliche Gründe dazu. Bedingt durch die staatlichen Maßnahmen, welche zur Eindämmung des SARS‑COV‑2 (Coronavirus) zunächst in Italien, nunmehr jedoch in Österreich und speziell in unserem Gebiet getroffen wurden, haben wir innerhalb kürzester Zeit einen äußerst massiven Einbruch unserer Auftrags- bzw Buchungslage bzw einen kompletten Ausfall der noch laufenden Wintersaison erfahren. Dies ist eine absolute Notsituation, die nicht absehbar war. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“

[3] Am Morgen des 13. 3. 2020 verrichtete die Klägerin wie gewohnt ihren Dienst in der Küche und wurde im Lauf des Vormittags vom Geschäftsführer zu einem Einzelgespräch an den Personaltisch gebeten. Bei diesem Gespräch legte er ihr eine von ihm formulierte Auflösungsregelung vor, nach der das Arbeitsverhältnis„einvernehmlich zum 14. 3. 2020 aufgelöst“ wird.

[4] Diese Auflösungsregelung wurde vom Geschäftsführer aufgrund der herrschenden COVID‑19‑Situation initiiert und von der Klägerin am 13. 3. 2020 unterschrieben. Vorab wurde mit der Klägerin nicht über eine etwaige Auflösung des Arbeitsverhältnisses gesprochen bzw wurde diese nicht darüber informiert. Im Lauf des Vormittags des 13. 3. 2020 legte der Geschäftsführer noch einer Vielzahl von weiteren Mitarbeitern der Beklagten Auflösungsregelungen vor und ging bei diesen Auflösungen wie bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin vor. Ebenfalls am 13. 3. 2020 wurde die Klägerin um ca 13:20 Uhr zusammen mit anderen Arbeitnehmern des Hotels an die Rezeption gebeten. Dabei wurde ihnen mitgeteilt, dass sie das Tal schnellstmöglich verlassen sollen, weil aufgrund der zu diesem Zeitpunkt in I* herrschenden COVID‑19‑Situation in Aussicht gestellt wurde, das *tal unter Quarantäne zu stellen. Die Klägerin nahm dies zur Kenntnis und reiste nach Vorarlberg ab. Am 15. 3. 2020 wurde bei der Klägerin eine COVID‑19‑Infektion festgestellt, worauf diese per Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 17. 3. 2020 abgesondert wurde. Mit Bescheid vom 21. 3. 2020 erteilte das Arbeitsmarktservice Tirol die Zustimmung zum Ausspruch von Kündigungen vor Ablauf der Frist des § 45a Abs 2 AMFG und sprach aus, dass Kündigungen ab sofort rechtswirksam ausgesprochen werden können.

[5] Die Klägerin begehrte die Zahlung von 7.206,79 EUR brutto sA. Da das Arbeitsmarktservice erst mit Bescheid vom 21. 3. 2020 auf die Einhaltung der Wartefrist verzichtet habe, sei die bereits am 13. 3. 2020 erfolgte einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd § 45a Abs 5 AMFG rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis sei somit bis 6. 5. 2020 aufrecht gewesen bzw sei in eventu durch das Festhalten an der Beendigung eine ungerechtfertigte vorzeitige Auflösung durch die Beklagte geschehen; eine Eventualkündigung sei nicht erfolgt.

[6] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen die Unanwendbarkeit des § 45a Abs 5 AMFG ein, weil die Bestimmung nur Kündigungen erfasse.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt, weil § 45a Abs 5 AMFG nach dem Gesetzeszweck auch für einvernehmliche Auflösungen auf Initiative des Arbeitgebers heranzuziehen sei.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Der Norm des § 45a Abs 5 AMFG könne weder bei richtlinienkonformer noch bei nationaler Interpretation unterstellt werden, dass auch einvernehmliche Auflösungen von der Rechtsunwirksamkeit betroffen sein sollten. Die ordentliche Revision wurde zur Frage der Auslegung dieser Bestimmung für zulässig erklärt.

[9] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

[11] Die Revision ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[12] 1.1. Die hier maßgebliche Bestimmung des § 45a AMFG lautet:

Mitwirkung der Dienstgeber

§ 45a.  (1) Die Arbeitgeber haben die nach dem Standort des Betriebes zuständige regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice durch schriftliche Anzeige zu verständigen, wenn sie beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse

1. von mindestens fünf Arbeitnehmern in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Beschäftigten oder

2. – 4. …

innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen aufzulösen .

(2) Die Anzeige gemäß Abs. 1 ist mindestens 30 Tage vor der ersten Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu erstatten. …

(3) – (4) …

(5)  Kündigungen , die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen im Sinne des Abs. 1 bezwecken, sind rechtsunwirksam, wenn sie

1. vor Einla ngen der im Abs. 1 genannten Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice

oder

2. nach Einlagen der Anzeige bei der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice innerhalb der gemäß Abs. 2 festgesetzten Frist ohne vorherige Zustimmung der Landesgeschäftsstelle gemäß Abs. 8

ausgesprochen werden.

(6) – (7) …

(8) Die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice kann nach Anhörung des Landesdirektoriums die Zustimmung zum Ausspruch der Kündigung vor Ablauf der Frist des Abs. 2 erteilen, wenn hiefür vom Arbeitgeber wichtige wirtschaftliche Gründe, wie zum Beispiel der Abschluß einer Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Abs. 1 Z 4 in Verbindung mit § 109 Abs. 1 Z 1 des Arbeitsverfassungsgesetzes (Sozialplan), nachgewiesen werden. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob dem Arbeitgeber die fristgerechte Anzeige der beabsichtigten Kündigung möglich oder zumutbar war. …

[13] 1.2. Dieser Bestimmung liegt die MassenentlassungsRL (Richtlinie 98/59/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen vom 20. 7. 1998; ursprünglich: Richtlinie 75/129/EWG vom 17. 2. 1975) zugrunde, nach deren Art 1 Abs 1 lit a unter „Massenentlassungen“ solche Entlassungen zu verstehen sind, „die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt“ und bei denen bestimmte quantitative und zeitliche Voraussetzungen erfüllt sind.

[14] Dass der europarechtliche Begriff der (Massen‑)Entlassung mit dieser Definition vom nationalen Entlassungsbegriff einer einseitigen, auf die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichteten Willenserklärung des Arbeitgebers abweicht, ist unstrittig. Der EuGH verweist darauf, dass der Begriff eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung hat und dahin auszulegen ist, dass er „jede vom Arbeitnehmer nicht gewollte, also ohne seine Zustimmung erfolgte, Beendigung des Arbeitsvertrags umfasst. Er verlangt nicht, dass die Gründe, auf denen die Beendigung beruht, dem Willen des Arbeitgebers entsprechen (EuGH vom 12. 10. 2004, C‑55/02 Kommission/Portugal Rn 50).

[15] 2. Die Grundsätze der Auslegung von Gesetzen nach ihrem Wortlaut, der subjektiv-historischen Absicht des Gesetzgebers, objektiv-teleologischen Aspekten und nach ihrer Richtlinienkonformität wurden schon vom Berufungsgericht umfassend dargelegt; darauf ist zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO). Für die Auslegung des § 45a Abs 5 AMFG sind danach folgende Erwägungen anzustellen:

[16] 3.1.  Nach dem klaren Wortlaut des § 45a Abs 1 AMFG wird die Verständigungspflicht schon dann ausgelöst, wenn ein Arbeitgeber beabsichtigt, eine den jeweiligen Schwellenwert überschreitende Anzahl von Arbeitsverhältnissen innerhalb von 30 Tagen aufzulösen. Damit soll dem Zweck des Frühwarnsystems entsprechend erreicht werden, bereits vor Freisetzung einer arbeitsmarktpolitisch relevanten Zahl von Arbeitskräften Beratungen durchführen zu können (s § 45a Abs 6 AMFG), eine bessere Abstimmung der personalpolitischen Maßnahmen der Betriebe auf die arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zu erreichen und durch die Erfüllung der in den §§ 45a bis 45c auferlegten Verpflichtungen die Voraussetzungen für einen optimalen Einsatz des Instrumentariums nach dem AMFG zu schaffen (RS0110347).

[17] 3.2. Eine Unterscheidung nach der Art der Auflösung der Arbeitsverhältnisse enthält Abs 1 nicht. Dass neben Kündigungen auch vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen von Dienstverhältnissen darunter zu subsumieren sind, wurde schon in der Entscheidung 8 ObA 258/95 festgehalten, weil die Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse aufzulösen (§ 45a Abs 1 AMFG), sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen als auch zu annahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen führen kann. Die unterschiedliche Gestaltung der Erklärung und die unterschiedliche Verhaltensweise des Erklärungsempfängers ändern nichts an der Gemeinsamkeit beider Erklärungsformen des Arbeitgebers, nämlich als wesentlichen Kern seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beabsichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung ist daher auch die Zahl der einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45a Abs 1 AMFG anzurechnen (RS0053050).

[18] 3.3. Davon geht auch die Lehre aus (zB Löschnigg/Standeker, Einvernehmliche Auflösung und Kündigungsfrühwarnsystem, RdW 2000/518 mwN; zuletzt Geiblinger, Das Angebot des Arbeitgebers zur einvernehmlichen Auflösung im Kontext des Frühwarnsystems, DRdA 2019/22; Kühteubl/Pusch, Die Tücken des Frühwarnsystems nach § 45a AMFG, ecolex 2020, 721; Gerhartl, Das Frühwarnsystem – Fallstricke und Hürden, ASoK 2021, 57; Eichmeyer/Andréewitch, COVID‑19‑bedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen, RdW 2021/52).

[19] 4. Dagegen ist die Nichtigkeitssanktion des § 45a Abs 5 AMFG nach ihrem klaren Wortlaut nur auf Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen iSd Abs 1 bezwecken, bezogen. Sie bewirkt ein temporäres gesetzliches Kündigungsverbot.

[20] In der Lehre werden daraus unterschiedliche Schlüsse gezogen (für die Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen zB Löschnigg/Standeker, aaO; Eichmeyer/Andréewitch, aaO; für die Beschränkung auf Kündigungen zB Olt, Das Frühwarnsystem bei „Massenkündigungen“ nach § 45a AMFG, ARD 6448/5/2015; Schrank, Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht [86. Lieferung 2020], Kap 45/E/2b Rz 98; vgl auch Weinmeier, Freizügigkeit und Sozialpolitik im EWR und ihre Umsetzung im österreichischen Recht [1994], 120 f). In der Rechtsprechung (zB 9 ObA 119/17s) bestand noch kein Anlass für eine nähere Auseinandersetzung. Zu prüfen bleibt damit die Frage, ob hier eine bewusste Differenzierung vorgenommen werden sollte oder ob Abs 5 eine planwidrige, im Weg der Analogie zu schließende (Umsetzungs‑)Lücke enthält.

[21] 5. Der unterschiedliche Wortlaut der Abs 1 und 5 des § 45a AMFG spricht zunächst für eine Differenzierung der Rechtsfolgen je nachdem, ob eine Kündigung mit dem Zweck einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses iSd Abs 1 vorliegt oder nicht.

[22] 6. Der Gesetzeszweck, dem Arbeitsmarktservice durch die Einhaltung der 30‑Tage‑Frist zu ermöglichen, der durch die Freisetzung der Arbeitnehmer verursachten Belastung des Arbeitsmarktes gegenzusteuern, legt dagegen eine Einbeziehung einvernehmlicher Auflösungen nahe. Denn aus arbeitsmarktpolitischer Sicht ist es unerheblich, ob die Freisetzung durch Arbeitgeberkündigungen oder durch einvernehmliche Auflösungen erfolgt, weil in beiden Fällen eine Überlastung des Arbeitsmarktes entstehen kann und die betroffenen Arbeitnehmer unter Umständen neu vermittelt werden müssen. Aus objektiv‑teleologischer Sicht wäre eine betriebsbedingte oder sonst vom Arbeitgeber initiierte einvernehmliche Auflösung der Arbeitgeber‑kündigung gleichzuhalten (Löschnigg/Standeker, aaO; Eichmeyer/Andréewitch, aaO). Unter teleologischen Aspekten ist aber auch zu bedenken, dass sich eine arbeitsmarktpolitisch relevante Zahl beendeter Arbeitsverhältnisse auch zB bei Massenkündigungen oder ‑austritten von Arbeitnehmern ergeben kann. Aufgrund der klaren gesetzlichen Anordnung kommt eine Ausdehnung des temporären Kündigungsverbots und der Nichtigkeitssanktion auf andere Beendigungsarten als Kündigungen daher nur dann in Betracht, wenn der Gesetzeswortlaut entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu kurz greift oder wenn sie einer möglichen richtlinienkonformen Auslegung geschuldet ist.

[23] 7. In historischer Hinsicht liegt § 45a Abs 5 AMFG die Vorläuferfassung des § 45a Abs 2 AMFG idF BGBl 1979/109 zugrunde („Kündigungen, die zu einer Verringerung des Beschäftigtenstandes im Sinne des Abs 1 führen, sind rechtsunwirksam, wenn sie …“).

[24] Gesetzgeberische Absicht war, die bereits vorgesehenen Meldepflichten „durch ähnliche Sanktionsvorschriften abzusichern wie sie für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften durch eine Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen schon seit längerer Zeit vorgesehen sind. Nach dieser Richtlinie werden die der zuständigen Behörde anzuzeigenden beabsichtigten Massenentlassungen erst nach Verstreichen einer bestimmten Frist nach Eingang der dieser Behörde zu erstattenden Anzeige wirksam. Hingegen sieht der Gesetzesentwurf die Rechtsunwirksamkeit vorzeitig (vgl …) ausgesprochener Kündigungen vor“ (137/A/XIV. GP Initiativantrag S 6). Die Sanktion der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung beruhte sohin auf keiner Vorgabe jener Richtlinie. (Nur) Aus den Erläuternden Bemerkungen ergibt sich weiter, dass „aus allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen“ „auch durch eine ungerechtfertigte Entlassung das Arbeitsverhältnis nicht gelöst wird, wenn die Entlassungserklärung während jenes Zeitraumes erfolgt, in dem eine Kündigung nicht rechtswirksam ausgesprochen werden kann“.

[25] 8. Mit § 45a AMFG idF BGBl 1993/18 erfolgte in Vorbereitung zum Beitritt Österreichs zu den EG eine Anpassung des Abs 1 an die genannte MassenentlassungsRL („beabsichtigen, Arbeitsverhältnisse … aufzulösen“). Nach den bezughabenden Erläuternden Bemerkungen (RV 823 BlgNR XVIII. GP  S 5) sollte für die im Sinn der Richtlinie vorzunehmende Begriffsbestimmung maßgeblich sein, „dass für die zu treffenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen nicht die Form der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entscheidend ist, sondern die frühzeitige Kenntnis über die Größenordnung und die persönlichen Umstände der betroffenen Arbeitnehmer. Als Erklärung der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses soll daher sowohl der Ausspruch der Kündigung als auch der Entlassung sowie der Zeitpunkt der Einigung über die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gelten.“ Die Nichtigkeitssanktion des Abs 5 blieb dennoch nur auf Kündigungen bezogen, ebenso ausdrücklich (RV 823 BlgNR XVIII. GP S 5) die Möglichkeit einer vorzeitigen Zustimmung des Landesarbeitsamtes (Abs 8). Die Annahme einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Lücke in Abs 5 liegt damit nicht nahe.

[26] 9. Die nachfolgende Massenent‑lassungsRL 98/59/EG brachte folgende Erweiterung in Teil I („Begriffsbestimmungen und Anwendungsbereich“) Art 1 Abs 1:

[27] „Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Abs 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“

[28] Nach dem EuGH (Rs C‑55/02 Kommission/Portugal) unterscheiden sich Entlassungen von Beendigungen des Arbeitsvertrags, die unter den in diesem Unterabsatz des Art 1 Abs 1 der RL genannten Voraussetzungen den Entlassungen gleichgestellt werden, durch die fehlende Zustimmung des Arbeitnehmers (Rn 56). Da einvernehmliche Auflösungen eine Zustimmung des Arbeitnehmers voraussetzen, sind sie als den Entlassungen gleichgestellte Beendigungen im Sinn dieses Unterabsatzes anzusehen.

[29] Die darin enthaltene weitere Voraussetzung, dass „die Zahl der Entlassungen mindestens 5 beträgt“, ist nach dem EuGH (Rs C‑422/14 Rivera) dahin auszulegen, dass sie sich nicht auf Beendigungen des Arbeitsvertrags bezieht, die einer Entlassung gleichgestellt werden, sondern nur auf Entlassungen im eigentlichen Sinne. Liegen danach nicht mindestens fünf Entlassungen iSd Art 1 Abs 1 RL vor, kommt es zu keiner Gleichstellung von Beendigungen, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren nicht in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen erfolgen.

[30] Selbst wenn dieser Schwellenwert von fünf Entlassungen überschritten wird, sind gleichgestellte Entlassungen nach diesem Unterabsatz nur für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Art 1 Abs 1 lit a i–ii ausschlaggebend (so auch ErwGr 8 RL). Es erfolgte aber keine allgemeine Gleichstellung mit Massenentlassungen iSd Art 1 Abs 1 lit a RL. Löschnigg/Standeker (aaO) führen aus, dass eine Anwendung des II. Teils (Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter) und des – hier interessierenden – III. Teils der Richtlinie (behördliches Massenentlassungsverfahren) auf die gleichgestellten Entlassungen von der Richtlinie nicht vorgeschrieben ist. Das ist insbesondere mit Blick auf die Rechtsfolgenseite auch nicht von vornherein sinnwidrig, weil nicht alle Arten gleichgestellter Entlassungen zweckmäßige Handlungs- und Konsultationsmöglichkeiten für den Arbeitgeber oder die Behörde eröffnen (Löschnigg/Standeker aaO verweisen zB auf betrieblich oder sonst vom Arbeitgeber veranlasste Arbeitnehmerkündigungen und Arbeitnehmeraustritte, Auflösungen in der Probezeit). Das gilt auch bei einvernehmlichen Auflösungen, wird doch ein beiderseits vereinbartes Ende des Dienstverhältnisses vor Ablauf der Wartefrist auch dann, wenn die Auflösung über Initiative des Arbeitgebers zustande kommt und ihr Grund nicht in der Person des Arbeitnehmers liegt, vom Willen des Arbeitnehmers mitgetragen, bedarf seiner Zustimmung und kann von ihm auch nachhaltig gewünscht sein. Fallbezogene behördliche Beratungs- und Problemlösungstätigkeiten gingen insoweit aber ins Leere. Schließlich erfordert die MassenentlassungsRL als Folge einer Verletzung des Massenentlassungsverfahrens weiterhin nicht die Unwirksamkeit der Auflösungserklärung, sondern ordnet lediglich an, dass die beabsichtigten Massenentlassungen frühestens 30 Tage nach Eingang der Anzeige (mit Option zur Fristverkürzung) wirksam werden. Aus der Richtlinie ergibt sich danach nicht, dass die Sanktionsanordnung des § 45a Abs 5 AMFG in richtlinienkonformer Interpretation auf arbeitgeberseitig initiierte einvernehmliche Auflösungen angewandt werden müsste.

[31] 10. Da sohin insgesamt weder das Vorliegen einer ungewollten Lücke noch die Notwendigkeit eines europarechtlich gebotenen ausdehnenden Verständnisses des § 45a Abs 5 AMFG auf vom Arbeitgeber veranlasste einvernehmliche Auflösungen indiziert ist, ist die Auslegung der Bestimmung nach ihrem Wortlaut („Kündigungen“) vorzunehmen.

[32] 11. Ausgehend von der Rechtswirksamkeit der einvernehmlichen Auflösung des streitgegenständlichen Dienstverhältnisses zum 14. 3. 2020 kommt hier auch eine Entgeltfortzahlungspflicht (§ 5 EFZG, § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I Nr 2020/16) für die erst ab dem 15. 3. 2020 feststehende Erkrankung der Klägerin nicht in Betracht.

[33] 12. Da die Revision der Klägerin danach nicht berechtigt ist, ist ihr ein Erfolg zu versagen.

[34] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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