OGH 8ObA258/95

OGH8ObA258/9513.7.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Edith Söllner und Paul Binder in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1.) Günter K*****, Arbeiter, ***** und 2.) Anton K*****, Arbeiter, ***** beide vertreten durch Dr.Georg Grießer und Dr.Roland Gerlach, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei B***** Lacke + Farben GesmbH in Liqidation, ***** vertreten durch Schönherr, Barfuß, Torggler & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 300.000,--), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.März 1995, GZ 9 Ra 4/95-12, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.Oktober 1994, GZ 6 Cga 61/94x-8, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat zutreffend auch die Zahl der einvernehmlichen Auflösungen von Arbeitsverhältnissen auf die zahlenmäßigen Voraussetzungen nach § 45 a Abs 1 AMFG angerechnet, sodaß es genügt, auf die Richtigkeit der berufungsgerichtlichen Entscheidung zu verweisen (§ 48 ASGG).

Im übrigen ist den Ausführungen der beklagten Partei zu entgegnen:

Die Absicht des Arbeitgebers, Arbeitsverhältnisse aufzulösen (§ 45a Abs 1 AMFG) kann sowohl zu einseitigen, empfangsbedürftigen Kündigungen, als auch zu anahmebedürftigen Anboten von Aufhebungsverträgen (vgl Wachter, Die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses, FS Floretta, 433) führen. Die unterschiedliche Gestaltung der Erklärung und die unterschiedliche Verhaltensweise des Erklärungsempfängers ändern nichts an der Gemeinsamkeit beider Erklärungsformen des Arbeitgebers, nämlich als wesentlichen Kern seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beabsichtigen.

Eine Rückwirkung des Gemeinschaftsrechtes vor dem Beitritt Österreichs mit 1.1.1994 (EWR-Abkommen, BGBl 909/93) tritt bei einer richtlinienkonformen Auslegung von Normen, die Österreich schon im Hinblick auf den beabsichtigten Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft vor dem 1.1.1994 beschlossen hat dadurch nicht ein, daß hinsichtlich der Novelle des AMFG durch das Beschäftigungssicherungsgesetz (BGBl 502/1993; § 53 Abs 5 AMFG) mit Wirkung ab 1.8.1993 die Übernahme der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Massenentlassungen (75/129/EWG vom 17.2.1975 idF 1992/56/EWG vom 24.6.1992) schon vorweg in das innerstaatliche Recht erfolgte. Die Auslegung der innerstaatlichen Norm hat unabhängig von dem Beitritt vor und nach dem 1.1.1994 in gleicher Weise nach dem in der Norm zum Ausdruck kommenden Zweck, das Gemeinschaftsrecht zu transformieren, zu erfolgen (Bydlinski/Rummel, ABGB2 Rz 20 f zu § 6 ABGB zur objektiv- teleologischen Auslegung und zur insoweit vergleichbaren "verfassungskonformen Auslegung").

Das Zitat Münch ArbR/Berkowsky § 152 Rd Nr 20 in der Rechtsmittelschrift ist unvollständig, da nach Rd Nr 12 eine Entlassung auch vorliegen kann, wenn nicht der Arbeitgeber sondern die Arbeitnehmer kündigen, wenn dies auf Veranlassung des Arbeitgebers insbesondere mit dem Ziel erfolgt ist, die Bestimmungen der §§ 17 f KSchG (Deutsches Kündigungsschutzgesetz 1951) zu umgehen. Daraus ist erkennbar, daß auch vom Arbeitgeber veranlaßte einvernehmliche Auflösungen des Arbeitsverhältnisses unter den Begriff der anzeigepflichtigen "Massenentlassung" fallen, selbst wenn dann später ein Aufhebungsvertrag die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirkt. Das in den Richtlinien vorgesehene Konsultationsverfahren (Teil II Art 2 in beiden Richtlinien) sieht die Möglichkeit vor, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken sowie ihre Folgen zu mildern. Daraus folgt, daß die vorweg vorzunehmende Anzeige auch die später (über Veranlassung des Arbeitgebers) "erfolgten" einvernehmlichen Auflösungen umfaßt.

Aus der Meldepflicht aufgrund einer vom Bundesminister für Arbeit und Soziales zu erlassenden Verordnung gemäß § 45b AMFG im Zusammenhalt mit den Aufgaben des Arbeitsmarktservices folgt, daß auch einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen mit oder ohne Vereinbarung von Ersatzarbeitsverhältnissen für die Arbeitsmarktverwaltung relevant sind, sodaß nach dem objektiv-teleologisch zu ermittelnden Zweck des Gesetzes die Anrechnung von einvernehmlichen Auflösungen auf die Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 45a Abs 1 AMFG gerechtfertigt ist.

Unter Einbeziehung der "mit Ende Oktober 1993" einvernehmlich beendeten Arbeitsverhältnissen in den 30-Tage-Zeitraum gemäß § 45a Abs 1 AMFG, der von der Prozeßbehauptung der klagenden Parteien (AS 29, ON 6) es seien mehr als fünf Arbeitsverhältnisse in dreißig Tagen ab 29.10. aufgelöst worden, umfaßt ist, werden die quantitativen Voraussetzungen des § 45a Abs 1 AMFG erfüllt. Ein Verstoß gegen den Dispositionsgrundsatz (Fucik/Rechberger, ZPO Rz 2 vor § 172; Rechberger aaO Rz 1 vor § 226) liegt somit nicht vor. Das Berufungsgericht hat daher zutreffend wegen eines Feststellungsmangels das erstgerichtliche Urteil aufgehoben, weil nämlich für die Anzeige gemäß § 45a Abs 1 AMFG die quantitativen Voraussetzungen zu prüfen sein werden; die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung dieses temporären gesetzlichen Kündigungsverbotes (Arb

10.148 = Soz M I A d 1279) gilt auch für einzelne Kündigungen, selbst wenn die für die Anzeige in § 45a Abs 1 AMFG genannten Zahlen später unterschritten werden.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO iVm § 2a ASGG).

Stichworte