OGH 10ObS65/21p

OGH10ObS65/21p22.6.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2021, GZ 9 Rs 68/20s‑12, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00065.21P.0622.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Ein Pensionsberechtigter darf grundsätzlich auf Ansprüche mit Einkommenscharakter verzichten. Ein solcher Verzicht ist jedoch bei der Feststellung der Ausgleichszulage dann unbeachtlich, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen (RIS‑Justiz RS0038599; RS0085238 [T7]), indem die Leistungslast vom persönlich haftenden Schuldner auf die öffentliche Hand abgewälzt werden soll (RS0038599 [T7] = 10 ObS 429/02i SSV‑NF 17/60). Ein Rechtsmissbrauch liegt in diesem Zusammenhang bereits dann vor, wenn das unlautere Motiv des Verzichts die lauteren Motive eindeutig überwiegt (RS0038599 [T1]). Nur wenn der Verzicht auf die Geltendmachung von vertraglichen oder gesetzlichen Ansprüchen in der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Erfüllung durch den dazu Verpflichteten begründet ist, ist er für den Anspruch auf Ausgleichszulage beachtlich (RS0085238). In diesem Fall ändert sich nämlich an der Einkommenssituation des Pensionisten nichts (10 ObS 77/13s SSV‑NF 27/52). Ob Rechtsmissbrauch in diesem Sinn vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage (RS0110900; RS0038599 [T6]).

[2] 2.1 Die Vorinstanzen beurteilten die Vorgangsweise der Klägerin, auf die weitere Geltendmachung ihres aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs gegen ihren geschiedenen Ehegatten bestehenden Unterhaltsanspruchs zu verzichten, nachdem ihr Sohn sein Studium beendet hat, als rechtsmissbräuchlich, weil dadurch die Leistungslast für die Unterhaltsansprüche der Revisionswerberin auf die öffentliche Hand abgewälzt werde. Eine Korrekturbedürftigkeit dieser Rechtsansicht zeigt die Revisionswerberin nicht auf:

[3] 2.2 Die Revisionswerberin macht geltend, dass der Unterhaltsvergleich im Jahr 2007 in „nahezu sittenwidriger“ Art über dem vom geschiedenen Gatten geschuldeten angemessenen Unterhalt gelegen sei. Schon angesichts dieses Missverhältnisses sei der Verzicht nicht als rechtsmissbräuchlich zu werten. Dieses Argument übergeht aber, dass der geschiedene Gatte den Unterhaltsvergleich nach den Feststellungen ab 1. 3. 2007 bis zum Verzicht der Klägerin am 17. 3. 2015 erfüllte. Dass die Erfüllung der aus dem Unterhaltsvergleich resultierenden Verpflichtung für den geschiedenen Ehegatten der Klägerin unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre, behauptet die Revisionswerberin nicht.

[4] 2.3 Das Berufungsgericht ist ohnedies davon ausgegangen, dass der zu 10 ObS 56/20p entschiedene Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar sei. Seinem Argument, dass die Klägerin im vorliegenden Fall deutlich weniger lautere Motive für den Unterhaltsverzicht gehabt habe, als die Klägerin in 10 ObS 56/20p, setzt die Revisionswerberin lediglich ihr zentrales Argument entgegen, dass sie zum Zeitpunkt des Verzichts nicht erkennen habe können, dass ihre Pensionshöhe so niedrig sein werde, dass es auf einen Anspruch auf Ausgleichszulage ankommen werde. Dem haben die Vorinstanzen in vertretbarer Weise entgegengehalten, dass der 1957 geborenen Klägerin im Zeitpunkt des Verzichts im Jahr 2015 bewusst sein habe müssen, dass sie bereits im Jahr 2017 einen Anspruch auf Alterspension habe. Sie wurde überdies aus Anlass des Verzichts vom Richter belehrt, dass dieser den Verlust ihres Anspruchs auf Witwenpension zur Folge habe.

[5] 2.4  Dass die Klägerin den ihr vom geschiedenen Ehegatten geleisteten Unterhalt tatsächlich für ihren Sohn verwendete und den Verzicht auf diesen Anspruch unmittelbar nach der Beendigung dessen Studiums erklärte, ändert, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, nichts daran, dass es sich nach dem klaren Wortlaut des gerichtlichen Vergleichs um einen der Klägerin gebührenden Unterhaltsanspruch handelt, nicht aber um einen solchen des Sohnes.

Stichworte