OGH 9Ob28/21i

OGH9Ob28/21i27.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. A*****, vertreten durch Mag. Alexander Todor‑Kostic, Mag. Silke Todor‑Kostic, Rechtsanwälte in Velden am Wörthersee, 1. gegen die erstbeklagte Partei E*****, vertreten durch Mag. a  Petra Strasser, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Leistung von (ausgedehnt) 6.743,10 EUR sA und Räumung (Streitwert 2.000 EUR) und 2. gegen die zweitbeklagte Partei H*****, vertreten durch Dr. Peter Bernhart, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Räumung (Streitwert 2.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen beider beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2020, GZ 1 R 141/20k‑38, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0090OB00028.21I.0527.000

 

Spruch:

Beide außerordentlichen Revisionen werden jeweils mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Zur Abwendung einer Zwangsversteigerung kaufte der Kläger eine im Eigentum der Erstbeklagten stehende Seeliegenschaft samt Hotel und Nebengebäude sowie das Wohnungseigentumsobjekt W 5 (Wohnung), welches sich in einer auf der Seeliegenschaft errichteten Appartementanlage befindet, sowie das Wohnungseigentumsobjekt W 9 (Strandpavillon). Etwa zwei Jahre später erklärte der Kläger die zuvor von – seinem Rechtsstandpunkt nach – nur prekaristisch gewährte Nutzung der beiden Wohnungseigentumsobjekte durch die Erstbeklagte und ihren Sohn (den Zweitbeklagten) mit sofortiger Wirkung zu widerrufen, weil die Erstbeklagte entgegen der Vereinbarung die darauf entfallenden Betriebskosten nicht bezahlt habe. Nachdem die von der Erstbeklagten gegen den Kläger angestrengten jahrelangen Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit des Kaufvertrags sowie wegen Schadenersatz rechtskräftig abgeschlossen und das Eigentumsrecht des Klägers an den Wohnungseigentumsobjekten im Grundbuch einverleibt war, begehrt er mit der vorliegenden Klage von der Erstbeklagten 6.743,10 EUR sA an rückständigen Betriebskosten sowie von der Erst- und dem Zweitbeklagten die Räumung der beiden von ihnen genutzten Wohnungseigentumsobjekte samt den dazugehörigen Parkplätzen.

[2] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und wies die von den Beklagten erhobene Gegenforderung von 181.681,09 EUR zurück.

[3] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beiden Beklagten nicht Folge. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und die Revision nicht zulässig sei.

[4] Die außerordentlichen Revisionen der Erst- und des Zweitbeklagten sind zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. Eine Revision ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängt. Eine derartige Rechtsfrage zeigen die Revisionswerber in ihren – zweckmäßigerweise gemeinsam zu behandelnden – Rechtsmitteln nicht auf:

[6] 2.1 Mit der Räumungsklage gegen einen titellosen Inhaber einer Wohnung setzt der Kläger als Eigentümer einen auf sein Eigentumsrecht gestützten Herausgabeanspruch nach § 366 ABGB durch (RS0062419). Der beklagte Sachinhaber kann dem Eigentümer gegenüber unter Angabe entsprechender Tatsachen ein wirksames eigenes dingliches oder obligatorisches Recht einwenden (RS0125784; RS0010849; 1 Ob 132/08f).

[7] 2.2 Die Beklagten machten im erstinstanzlichen Verfahren als ein die Nutzung der Wohnungseigentumsobjekte rechtfertigendes Rechtsverhältnis ein ihnen ausdrücklich zugesagtes „immerwährendes“ unentgeltliches Wohnrecht geltend. Nach den im Revisionsverfahren nicht mehr angreifbaren Feststellungen hat der Kläger aber weder der Erstbeklagten noch ihrem Sohn (dem Zweitbeklagten) jemals eine derartige Zusage gemacht. Über diese Feststellung setzen sich beide Beklagte mit ihren Revisionsausführungen großteils hinweg (RS0043312).

[8] 3. Wie feststeht hat der Kläger nach Widerruf der von ihm gestatteten Nutzung vor Einbringung der Räumungsklage den Ausgang der zwischen ihm und der Erstbeklagten anhängigen jahrelangen Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb der Seeliegenschaft und den Wohnungseigentumsobjekten abgewartet. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, im Hinblick darauf und die (weiters näher festgestellten) besonderen Umstände des vorliegenden Falls sei in diesem Verhalten des Klägers, auch keine konkludente Einräumung eines Wohnrechts zu sehen, hat keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Nur wenn eine krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vorläge, die im Interesse der Rechtssicherheit beziehungsweise der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste, läge eine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vor (RS0043253). Dies ist hier nicht der Fall. Dass zu einem vergleichbaren Sachverhalt Rechtsprechung fehlt, wirft noch keine erhebliche Rechtsfrage auf, vielmehr schließen die Besonderheiten der Fallgestaltung eine richtungsweisende Entscheidung eher aus (RS0102181).

[9] 4.1 Das Prekarium muss unentgeltlich sein. Der Unentgeltlichkeit steht es gleich, wenn ein bloßer Anerkennungszins oder ein so niedriges Entgelt geleistet wird, dass es gegenüber dem Wert der Benützung praktisch nicht ins Gewicht fällt (RS0020541). Dies ist bezogen auf die Verhältnisse bei Vertragsabschluss zu beurteilen (RS0019053), So wurden etwa 10 % des ortsüblichen Entgelts noch als bloßer „Anerkennungsbetrag“ beurteilt (vgl RS0020541 [T1, T2]).

[10] 4.2 Für die Frage, ob die Überlassung einer Wohnung ungeachtet eines dem Eigentümer zu zahlenden Geldbetrags noch als unentgeltlich iSd § 981 ABGB zu qualifizieren ist, ist nach neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs darauf abzustellen, ob die vom Nutzungsberechtigten übernommenen Kosten ihrer Natur nach aus dem Gebrauch resultieren (wie etwa für Warmwasser, Heizung, Lift etc) oder ob sie den Liegenschafts-(mit‑)eigentümer unabhängig von jedem Gebrauch der Liegenschaft aufgrund seiner (Mit‑)Eigentümerstellung treffen (wie etwa Grundsteuer, Bankgebühren, Versicherungskosten etc). Nur die Übernahme der Kosten der zweiten Art stellt Entgelt dar (RS0019152 [T6]; RS0019169 [T2, T3, T4]; vgl auch RS0020551). Das gilt auch im Fall der Überlassung eines im Wohnungseigentum stehenden Objekts zum Gebrauch gegen Tragung sämtlicher Aufwendungen.

[11] 4.3 Das in der letzten mündlichen Streitverhandlung von beiden Beklagten erstmals erstattete Vorbringen, die von der Erstbeklagten vereinbarungsgemäß zu zahlenden Betriebskosten hätten nicht nur Gebrauchskosten, sondern auch Kosten wie Grundsteuer, Bankspesen etc in einem erheblichen (10 % des ortsüblichen Mietzinses übersteigenden) Ausmaß enthalten, weshalb kein Prekarium mehr vorliege (RS0020541), wurde vom Erstgericht als verspätet zurückgewiesen (S 15 des Ersturteils). Das Berufungsgericht hat mit ausführlicher Begründung das Vorliegen eines in der Berufung des Zweitbeklagten deswegen geltend gemachten erstinstanzlichen Verfahrensmangels verneint (S 10 des Berufungsurteils). Ist das Vorbringen präkludiert, ist auf die (dennoch) dazu angestellten Überlegungen des Berufungsgerichts sowie die dazu erstatteten Revisionsausführungen, nicht weiter einzugehen. Maßgeblich bleibt die Feststellung des Erstgerichts, nach der die vom Kläger geforderten Betriebskosten von monatlich 200,73 EUR für die Wohnung W 5 und von 58,62 EUR für das Objekt W 9 (Strandpavillon) weit unter dem ortsüblichen Mietzins liegen.

[12] 5. Wenn der Zweitbeklagte als erhebliche Fehlbeurteilung geltend macht, die Vorinstanzen hätten die Bindung des Klägers an den zwischen den beiden Beklagten bereits vor dem Erwerb durch den Kläger abgeschlossenen Mietvertrag an der Wohnung W 5 unberücksichtigt gelassen (§ 2 Abs 1 MRG, § 1120 ABGB; RS0105725), findet dieses Vorbringen in den Feststellungen keine Deckung. Dass die Erstbeklagte mit dem Zweitbeklagten noch vor der Veräußerung an den Kläger einen Mietvertrag über die Wohnung W 5 abgeschlossen oder der Zweitbeklagte Mietzinse an die Erstbeklagte bezahlt hätte, konnte nicht festgestellt werden.

[13] 6. Da es den Beklagten nicht gelingt, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sind ihre außerordentlichen Revisionen jeweils als unzulässig zurückzuweisen.

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