OGH 6Ob79/21t

OGH6Ob79/21t12.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, dieHofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber sowie den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V*, vertreten durch Dr. Siegfried Zachhuber, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen restlich Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. Jänner 2021, GZ 33 R 91/20z‑25, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 7. August 2020, GZ 4 Cg 53/19y‑21, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131882

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit 2.505,12 EUR (darin enthalten 417,52 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.606,22 EUR (darin enthalten 195,87 EUR an Umsatzsteuer und 1.431 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Präsidentin des Ö*. Der Beklagte ist ein Verein und Medieninhaber der Website www.*.at.

[2] Die Klägerin begehrt vom Beklagten Unterlassung und Widerruf im Zusammenhang mit zwei Veröffentlichungen auf der Website des Beklagten im März 2019.

[3] Im Revisionsverfahren ist nur mehr der Unterlassungs‑ und Widerrufsanspruch im Zusammenhang mit der Äußerung strittig, die Klägerin habe in unzulässiger Weise einen reitsportlichen Wettbewerb manipuliert.

[4] Das Erstgericht gab der Klage (auch) in diesem Punkt statt. Dabei ging es im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

[5] Im Jahr 2015 schloss die Klägerin mit J*, der unter anderem der Veranstalter der „S*“ ist, einen Schenkungsvertrag samt Nebenvereinbarung. Darin verpflichtet sich die Klägerin zu einer umfangreichen Spende. In einer Nebenvereinbarung ist festgehalten, dass die Schenkungen unter der Auflage erfolgen, das der Veranstalter zu den Dressurturnieren 15 bis 20 international erfolgreiche Reiter/innen und fünf international anerkannte Richter/innen, beides über Vorschlag des Herrn T*, sollte dieser nicht verfügbar sein, über Vorschlag eines von der Spenderin namhaft gemachten Dritten nach den international vorgesehenen Einladungsregeln einlädt und entsprechende Preisgelder dotiert. Die Ausschreibungen haben jeweils dem gültigen FEI‑Regiment zu entsprechen und sind T*, sollte dieser nicht verfügbar sein, über Vorschlag eines von der Spenderin namhaft gemachten Dritten, zur Genehmigung vorzulegen. Außerdem bedarf der Abschluss von Sponsorverträgen der Genehmigung der Klägerin. Ausdrücklich ist weiters vereinbart, dass der Veranstalter und ihm zuzurechnende oder nahestehende Dritte keine Werbe‑, Sponsoring‑ oder sonstige Verträge mit einer bestimmten Familie und bestimmten – im einzelnen näher angeführten – Gesellschaften abschließt.

[6] Über den Vertragsinhalt des Schenkungsvertrags und Antworten der O* bzw des Disziplinaralwalts hinaus bestanden für den Obmann des beklagten Vereins zum Zeitpunkt des Verfassens seiner beiden inkriminierten Artikel hinaus keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin tatsächlich Einfluss auf die Gestaltung von Reitturnieren genommen oder in der Vergangenheit Kritiker aus dem O* „entfernen lassen“ hatte; dies entspricht auch nicht den Tatsachen.

[7] Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass der Klägerin unterstellt werde, einen sportlichen Wettbewerb in unzulässiger Weise zu manipulieren. Der Obmann der Beklagten thematisiere in den Artikeln gerade nicht nur den Eindruck, den der Schenkungsvertrag erzeuge, die möglicherweise bestehenden Interessen, Kollisionen oder Einflussmöglichkeiten der Klägerin, sondern werfe ihr ausdrücklich die unzulässige Manipulation und sohin vor, tatsächlich Einfluss auf Wettbewerbe genommen zu haben. Der damit zum Ausdruck kommende Vorwurf der tatsächlichen Einflussnahme sei von keinem Tatsachensubstrat gedeckt und lasse sich insbesondere aus dem Schenkungsvertrag nicht ableiten.

[8] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren insoweit ab. Für die Äußerung, die Klägerin habe in unzulässiger Weise einen reitsportlichen Wettbewerb manipuliert, sei ein ausreichendes Tatsachensubstrat zur Verfügung gestanden. Dabei könne auch die Tatsache verwertet werden, das die Tochter der Klägerin und eine der genannten Familie nahestehende Reiterin in einem sportlichen Konkurrenzverhältnis zu einander stehen. Aus der Bestimmung des Schenkungsvertrags, wonach mit dem Nahebereich der genannten Familie keine Verträge abgeschlossen werden dürften, könne zulässigerweise der Schluss gezogen werden, die Klägerin habe damit in unzulässiger Weise einen reitsportlichen Wettbewerb manipuliert. Der betreffende Vertrag stelle eine ausreichende Tatsachengrundlage dar; es liege auch kein Wertungsexzess vor.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision der Klägerin ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Für die Ermittlung des Sinngehalts einer Äußerung ist stets der Gesamteindruck maßgeblich. Dieser Gesamteindruck entscheidet auch, ob eine (wertende) Meinungsäußerung oder eine Tatsachenmitteilung vorliegt (RS0031883 [T30]).

[11] 2.1. Der Vorwurf, die Klägerin habe einen Reitsportbewerb manipuliert, geht – wie das Erstgericht zutreffend erkannte (§ 510 Abs 3 ZPO) – über das Aufzeigen möglicher Interessenkonflikte hinaus. Dabei handelt es sich um eine Tatsachenmitteilung. In diesem Sinn hat der Fachsenat bereits den Vorwurf der „Wahlmanipulation“ als kreditschädigend iSd § 1330 Abs 1 ABGB qualifiziert, was das Vorliegen einer Tatsachenmitteilung voraussetzt (vgl Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek ABGB4 § 1330 Rz 33 mwN; 6 Ob 162/17t – Wahlmanipulation). Ebenso hat der Oberste Gerichtshof zum Lauterkeitsrecht mehrfach ausgesprochen, dass das Verschweigen einer Manipulation von Abgaswerten eine Täuschungshandlung ist (4 Ob 130/20a; 4 Ob 132/20w; 4 Ob 140/20x ua). Daraus, dass das Verschweigen der Manipulation eine Täuschungshandlung darstellt, ergibt sich logisch zwingend, dass es sich bei der Manipulation um eine Tatsache handelt (vgl 6 Ob 284/00h –Schwarzbautipps).

[12] 2.2. Werturteile sind bloß dann vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt, wenn sie auf ein im Kern wahres Tatsachensubstrat zurückgeführt werden können (6 Ob 243/11w – Hassprediger). Ein Werturteil ist somit nur dann zulässig, wenn es auf einer ausreichenden faktischen Grundlage beruht (EGMR Scharsach und News Verlagsgesellschaft gegen Österreich, Beschwerde Nummer 39394/98 = ÖJZ 2004, 512); bei dieser Beurteilung ist zu bedenken, dass Ehre und wirtschaftlicher Ruf als Aspekt des Privat‑ und Familienlebens des Art 8 EMRK geschützt sind (EGMR, Pfeifer gegen Österreich Beschwerde Nummer 12556/03 = ÖJZ 2008, 161).

[13] 3.1. Die Klägerin hat ausdrücklich die Leitung und Organisation der Turniere an T* übertragen und sich lediglich für den Fall, dass dieser nicht zur Verfügung stehen sollte, die Nominierung eines anderen Organisators vorbehalten. Die Zusatzvereinbarungen begrenzen ausdrücklich Sponsorverträge udgl, sehen hingegen keinerlei Mitspracherecht hinsichtlich der einzuladenden Reiter oder Reiterinnen vor. Bei dieser Sachlage ist aber dem Beklagten der ihm obliegende (RS0031798; Kissich in Kletečka/Schauer ABGB‑ON § 1330 Rz 25) Beweis der Richtigkeit der Tatsache oder das Fehlen der (objektiven oder subjektiven) Vorwerfbarkeit der unrichtigen Verbreitung nicht gelungen.

[14] 3.2. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren zwar die betreffende Feststellung, wonach der Obmann des Beklagten keine weiteren Anhaltspunkte für die Annahme hatte, die Klägerin habe Einfluss auf die Gestaltung der Reitturniere genommen, bekämpft; er begehrte jedoch lediglich die Ersatzfeststellung, dass nicht festgestellt werden könne, ob der Obmann des Beklagten für diese Annahmen weitere Anhaltspunkte gehabt habe. Mit diesem Vorbringen werden aber weder die Richtigkeit noch das Fehlen der Vorwerfbarkeit dargetan, sodass ein Eingehen auf diese Tatsachenrüge nicht erforderlich war.

[15] 4. Damit war in Stattgebung der Revision das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[16] Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

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