OGH 4Ob140/20x

OGH4Ob140/20x12.8.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers E***** F*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die Beklagten 1. R***** GmbH & Co KG, *****, 2. V***** AG, *****, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.904 EUR sA, über den Revisionsrekurs der Zweitbeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Mai 2019, GZ 1 R 43/19m‑17, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 29. Jänner 2019, GZ 7 Cg 62/18i‑12, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00140.20X.0812.000

 

Spruch:

I. Das Revisionsrekursverfahren zwischen der Klägerin und der Zweitbeklagten wird fortgesetzt.

II. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Zweitbeklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt im Zusammenhang mit behaupteten „VW‑Abgasmanipulationen“ die Aufhebung des zwischen ihm und der (in Österreich ansässigen) Erstbeklagten abgeschlossenen Kaufvertrags über einen PKW Golf Rabbit GT BMT TDI; weiters nimmt er die in Deutschland ansässige Herstellerin des PKW als Zweitbeklagte in Anspruch und begehrt auch von dieser zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten 15.904 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW. Hilfsweise begehrt er von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand 6.000 EUR an Preisminderung und erhebt ein Feststellungsbegehren. Der Kläger stützt seine Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten (als Vertragshändlerin der Zweitbeklagten) auf Irrtumsanfechtung, List, Gewährleistung und Schadenersatz ex contractu; gegenüber der Zweitbeklagten macht er Schadenersatzansprüche ex delictu aufgrund listiger (in eventu fahrlässiger) Irreführung sowie auf § 2 UWG gestützte Schadenersatzansprüche geltend. Gegen die Zweitbeklagte sei der Vorwurf zu erheben, dass sie durch den Einbau einer Manipulationssoftware schadensstiftende unerlaubte Handlungen gesetzt habe. Die internationale Zuständigkeit werde auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 gestützt, der den besonderen Gerichtsstand vor dem Gericht jenes Ortes eröffne, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Das Fahrzeug sei in Österreich gekauft und im Sprengel des angerufenen Erstgerichts übernommen worden. Dort liege daher der Erfolgsort, an dem sich die Schädigung zuerst ausgewirkt habe. In Deutschland sei noch kein Schaden entstanden. Zudem seien die Voraussetzungen des Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 für einen gemeinsamen Gerichtsstand erfüllt. Die geforderte enge Beziehung zwischen den Klagen ergebe sich aus dem einheitlichen Sachverhalt „VW‑Abgas‑Skandal“.

Die Zweitbeklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts. Für den Erfolgsort sei allein der Ort der ersten Rechtsgutverletzung (in Deutschland) entscheidend, auf einen Folgeschaden (in Österreich) komme es nicht an. Für den Gerichtsstand nach Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 fehle es am konkreten Sachzusammenhang.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage gegen die Zweitbeklagte zurück. Der Erfolgsort als Anknüpfungsort des Art 7 Z 2 EuGVVO 2012 liege in Deutschland, weil dort im Rahmen der Herstellung des Fahrzeugs die Software aufgespielt worden sei. Der Schaden des Klägers sei nur ein Sekundärschaden. Der Gerichtsstand nach Art 8 EuGVVO 2012 komme nicht zur Anwendung, weil zwischen den Klagen keine derart enge Beziehung vorliege, die eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen lasse, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Der Kläger stütze seine Ansprüche gegen die beiden Beklagten weder auf dieselben Anspruchsgrundlagen noch auf denselben Sachverhalt. Es wäre durchaus möglich, dass unterschiedliche Entscheidungen gegen beide Beklagten ergehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge. Der Vermögensabfluss am Sitz des Geschädigten reiche zwar für sich genommen noch nicht aus, um einen Schadenseintrittsort zu etablieren. Es liege jedoch ein weiteres Element der unerlaubten Handlung in Österreich vor, sodass der Geschädigte an seinem Interessenmittelpunkt klagen könne. Der geschädigte Kläger habe sein Fahrzeug in Österreich bei einem Vertragshändler der Zweitbeklagten erworben; das – nach den Klagebehauptungen – schadhafte Fahrzeug sei ihm erstmals im Sprengel des Erstgerichts übergeben worden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Fall zulässig.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Zweitbeklagte zusammengefasst geltend, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände der Erfolgsort in Deutschland zu lokalisieren sei. Für eine Zuständigkeit nach Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 fehle es an einem ausreichenden Sachzusammenhang.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen bzw ihm keine Folge zu geben; in eventu werde angeregt, an den EuGH ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen (mit ergänzenden Fragen) zu stellen.

Rechtliche Beurteilung

Zu I.

Mit Beschluss vom 22. 8. 2019, 4 Ob 141/19t, erklärte der Senat den Revisionsrekurs für zulässig und unterbrach das Revisionsrekursverfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Verfahren zu C‑343/19.

Nunmehr hat der EuGH mit Urteil vom 9. Juli 2020, C‑343/19, VKI, über dieses vom Landesgericht Klagenfurt gestellte Vorabentscheidungsersuchen entschieden. Das Revisionsrekursverfahren ist daher fortzusetzen.

Zu II.

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

1.1. Dem Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt liegt ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Es hat den Europäischen Gerichtshof um Beantwortung folgender Frage ersucht:

„Ist Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als 'Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist', der Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat?“

1.2. Mit Urteil vom 9. 7. 2020, C‑343/19, VKI, hat der EuGH diese Frage wie folgt beantwortet:

„Art 7 Nr 2 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem Fall, in dem Fahrzeuge von ihrem Hersteller in einem Mitgliedstaat rechtswidrig mit einer Software ausgerüstet worden sind, die die Daten über den Abgasausstoß manipuliert, und danach bei einem Dritten in einem anderen Mitgliedstaat erworben werden, in diesem letztgenannten Mitgliedstaat befindet.“

Dazu führte der EuGH aus, dass der geltend gemachte Schaden (nach der Aktenlage) in einer Wertminderung der gekauften Fahrzeuge bestehe, die sich aus der Differenz zwischen dem Kaufpreis des jeweiligen Fahrzeugs und dessen tatsächlichem Wert aufgrund des Einbaus einer Software ergäbe, in der die Daten über den Abgasausstoß manipuliert werden. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der geltend gemachte Schaden erst zum Zeitpunkt des Erwerbs der fraglichen Fahrzeuge zu einem Preis verwirklicht habe, der über ihrem tatsächlichen Wert lag, auch wenn diese Fahrzeuge bereits beim Einbau der Software mit einem Mangel behaftet gewesen seien. Ein solcher Schaden, der vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den geschädigten Endabnehmer nicht bestanden habe, sei ein Primärschaden und nicht bloß eine mittelbare Folge des ursprünglich von anderen Personen erlittenen Schadens. Es handle sich um keinen reinen Vermögensschaden, weil es um einen Mangel an Sachgütern gehe und der Schaden nicht nur die Verringerung der finanziellen Vermögenswerte einer Person ohne jeden Bezug zu Sachgütern betreffe (C‑343/19, VKI, Rn 29 bis 35).

2. Der EuGH gelangt somit zum Ergebnis, dass bei Geltendmachung der Wertminderung (des Wertverlustes) aus dem Erwerb einer mangelhaften Sache (hier: eines mangelhaften Fahrzeugs) aufgrund einer Täuschungshandlung (hier: Verschweigen der Manipulation der Abgaswerte bzw eines wissentlichen Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften) der Primärschaden erst mit dem Erwerb der Sache durch den Geschädigten von einem Dritten eintritt, wobei es gleichgültig ist, ob der Dritte Händler oder privater Verkäufer (eines Gebrauchtwagens) ist. Ein solcher Schaden ist kein reiner Vermögensschaden.

3. Diese Grundsätze gelten auch für den Anlassfall. Daraus folgt, dass sich der Kläger auf den Deliktsgerichtsstand nach Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 am Erfolgsort in Österreich berufen kann. Die Entscheidung des Rekursgerichts steht damit im Einklang. Dem Revisionsrekurs ist daher der Erfolg zu versagen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Zur Frage der internationalen örtlichen Zuständigkeit liegt ein Zwischenstreit vor (RIS‑Justiz RS0109078 [T15]), in dem der Kläger obsiegt hat. Besondere Gründe für einen Zuschlag nach § 21 Abs 1 RATG liegen nicht vor, weil mit der Verfassung der Revisionsbeantwortung keine besonderen Schwierigkeiten verbunden waren. Im Revisionsrekursverfahren stand dem Kläger nur die Zweitbeklagte gegenüber, sodass ihm auch kein Streitgenossenzuschlag gebührt (vgl RS0036223 [T1]).

Stichworte