OGH 4Ob141/19t

OGH4Ob141/19t22.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Priv.‑Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers E***** F*****, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die Beklagten 1. R***** Gesellschaft mbH & Co KG, *****, 2. V***** AG, *****, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.904 EUR sA (in eventu wegen 6.000 EUR und Feststellung), aus Anlass des Revisionsrekurses der Zweitbeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 9. Mai 2019, GZ 1 R 43/19m‑17, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom 29. Jänner 2019, GZ 7 Cg 62/18i‑12, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00141.19T.0822.000

 

Spruch:

Das Verfahren 4 Ob 141/19t wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Landesgericht Klagenfurt am 17. April 2019 zu AZ 21 Cg 74/18v (EuGH C‑343/19) gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

Nach Einlangen der Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt im Zusammenhang mit behaupteten „VW‑Abgasmanipulationen“ die Aufhebung des zwischen ihm und der (in Österreich ansässigen) Erstbeklagten abgeschlossenen Kaufvertrags über einen PKW Golf Rabbit GT BMT TDI; weiters nimmt er die in Deutschland ansässige V***** AG als Zweitbeklagte in Anspruch und begehrt auch von dieser zur ungeteilten Hand mit der Erstbeklagten 15.904 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW. Hilfsweise begehrt er von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand 6.000 EUR an Preisminderung und erhebt ein Feststellungsbegehren. Der Kläger stützt seine Ansprüche gegenüber der Erstbeklagten (als Vertragshändlerin der Zweitbeklagten) auf Irrtumsanfechtung, List, Gewährleistung und Schadenersatz ex contractu; gegenüber der Zweitbeklagten macht er Schadenersatzansprüche ex delictu aufgrund listiger (in eventu fahrlässiger) Irreführung sowie auf § 2 UWG gestützte Schadenersatzansprüche geltend. Gegen die Zweitbeklagte sei der Vorwurf zu erheben, dass sie durch den Einbau einer Manipulationssoftware schadensstiftende unerlaubte Handlungen gesetzt habe. Die internationale Zuständigkeit werde auf Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012 gestützt, der den besonderen Gerichtsstand vor dem Gericht jenes Ortes eröffne, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Das Fahrzeug sei in Österreich gekauft und im Sprengel des angerufenen Erstgerichts übernommen worden. Dort liege daher der Erfolgsort, an dem sich die Schädigung zuerst auswirke. In Deutschland sei noch kein Schaden entstanden. Zudem seien die Voraussetzungen des Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 für einen gemeinsamen Gerichtsstand erfüllt. Die geforderte enge Beziehung zwischen den Klagen ergebe sich aus dem einheitlichen Sachverhalt „VW-Abgas-Skandal“.

Die Zweitbeklagte bestritt die internationale Zuständigkeit des Erstgerichts. Für den Erfolgsort sei allein der Ort der ersten Rechtsgutverletzung (in Deutschland) entscheidend, auf einen Folgeschaden (in Österreich) komme es nicht an. Für den Gerichtsstand nach Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 fehle es am konkreten Sachzusammenhang.

Das Erstgericht erklärte sich für international unzuständig und wies die Klage gegen die Zweitbeklagte zurück. Der Erfolgsort als Anknüpfungsort des Art 7 Z 2 EuGVVO 2012 liege in Deutschland, weil dort im Rahmen der Herstellung des Fahrzeugs die Software aufgespielt worden sei. Der Schaden des Klägers sei nur ein Sekundärschaden. Der Gerichtsstand nach Art 8 EuGVVO 2012 komme nicht zur Anwendung, weil zwischen den Klagen keine derart enge Beziehung vorliege, die eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen lasse, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Der Kläger stütze seine Ansprüche gegen die beiden Beklagten weder auf dieselben Anspruchsgrundlagen noch auf denselben Sachverhalt. Es wäre durchaus möglich, dass unterschiedliche Entscheidungen gegen beide Beklagten ergehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers Folge. Der Vermögensabfluss am Sitz des Geschädigten reiche zwar für sich genommen noch nicht aus, um einen Schadenseintrittsort zu etablieren. Es liege jedoch ein weiteres Element der unerlaubten Handlung in Österreich vor, sodass der Geschädigte an seinem Interessensmittelpunkt klagen könne. Der geschädigte Kläger habe sein Fahrzeug in Österreich bei einem Vertragshändler der Zweitbeklagten erworben; das – nach den Klagebehauptungen – schadhafte Fahrzeug sei ihm erstmals im Sprengel des Erstgerichts übergeben worden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Fall zulässig.

In ihrem Revisionsrekurs macht die Zweitbeklagte zusammengefasst geltend, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller Umstände der Erfolgsort in Deutschland zu lokalisieren sei. Für eine Zuständigkeit nach Art 8 Z 1 EuGVVO 2012 fehle es an einem ausreichenden Sachzusammenhang. Es werde beantragt, das Verfahren im Hinblick auf das vom Landesgericht Klagenfurt in einem Parallelverfahren zu AZ 21 Cg 74/18v am 17. 4. 2019 gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu unterbrechen.

In seiner Revisionsrekursbeantwortung beantragt der Kläger, den Revisionsrekurs nicht zuzulassen, in eventu ihm keine Folge zu geben; in eventu werde angeregt, an den EuGH ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen (mit ergänzenden Fragen) zu stellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig.

Über seine Berechtigung wird nach dem Einlangen der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache des Landesgerichts Klagenfurt AZ 21 Cg 74/18v zu entscheiden sein:

Dem Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt liegt ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, weil auch die dortige Klägerin als eine gemeinnützige Verbraucherorganisation die ihr zum Zweck der Klagsführung abgetretenen deliktischen Schadenersatzansprüche von Verbrauchern gegen die (hier) Zweitbeklagte im Zusammenhang mit behaupteten „VW‑Abgasmanipulationen“ geltend macht. Unter Darlegung des wechselseitigen Vorbringens und der gegenseitigen Anträge hat das Landesgericht Klagenfurt den Europäischen Gerichtshof um Klärung der Frage ersucht, ob als Ort, an dem das schädigende Ereignis unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eingetreten ist, auch dann jener Ort in einem Mitgliedstaat angesehen werden kann, an dem der Schaden eingetreten ist, wenn dieser Schaden ausschließlich in einem finanziellen Verlust besteht, der die unmittelbare Folge einer unerlaubten Handlung ist, die sich in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat. Das Vorabentscheidungsersuchen ist beim EuGH zu C‑343/19, Verein für Konsumenteninformation gegen V***** AG, anhängig.

Infolge des vergleichbaren Sachverhalts stellen sich auch dieselben Rechtsfragen wie im Verfahren vor dem Landesgericht Klagenfurt (siehe auch 4 Ob 119/19g).

Der Oberste Gerichtshof hat von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs auszugehen und diese auch für andere Fälle als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden. Aus prozessökonomischen Gründen ist dieses Verfahren daher zu unterbrechen (RIS‑Justiz RS0110583).

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