OGH 6Nc11/21a

OGH6Nc11/21a11.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Dr. Rainer W. Böhm, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K*****, Serbien, 2. Z***** N*****, wegen 244.509 EUR, über den Ordinationsantrag der klagenden Partei, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060NC00011.21A.0511.000

 

Spruch:

Der Ordinationsantrag wird abgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die klagende Privatstiftung ist Alleingesellschafterin einer im Firmenbuch des Landesgerichts Eisenstadt eingetragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die wiederum Hälftegesellschafterin der Erstbeklagten, einer GmbH mit Sitz in Serbien, ist.

[2] Die Klägerin brachte vor, in der Gesellschaftersitzung der Erstbeklagten am 12. 5. 2014 sei das Mandat des Gesellschaftsdirektors (des Zweitbeklagten) formell nicht verlängert worden. Grund dafür seien Unstimmigkeiten zwischen den Gesellschaftern gewesen. Dennoch habe der Zweitbeklagte als Gesellschaftsdirektor ohne Bestellung weiter agiert. Diese Unstimmigkeiten hätten in weiterer Folge zu zwei noch anhängigen Gerichtsverfahren in Serbien geführt: Mit Urteil des Handelsgerichts in Pancevo vom 8. 3. 2018 sei der Klagsanspruch der Erstbeklagten als (dort) Klägerin anerkannt und der österreichischen Gesellschaft als (dort) beklagter Partei die Beendigung des Status eines Mitglieds der Erstbeklagten mit dem Tag der Rechtskraft des Urteils verordnet worden. Der Gesellschaft sei ferner bis zum endgültigen Abschluss des Verfahrens der Zugang zu den Akten und Unterlagen, die das Geschäftsgeheimnis des Unternehmens darstellen, beschränkt worden. Gegen dieses Urteil habe die Gesellschaft fristgerecht ein Rechtsmittel (eine Rechtsmittelenscheidung sei noch nicht ergangen) und ihrerseits Widerklage (das Verfahren sei noch anhängig) erhoben.

[3] Die Klägerin wolle gegen die Beklagten Schadenersatzansprüche geltend machen, wobei der Zweitbeklagte insbesondere als falsus procurator hafte. Folgende Schäden würden geltend gemacht: Nicht ausbezahlte Bilanzgewinne der Erstbeklagten für die Jahre 2015 bis 2018 in Höhe von insgesamt 113.509 EUR; frustriertes halbes Stammkapital an der Erstbeklagten in Höhe von 25.000 EUR; frustrierte Aufwendungen für die Erstbeklagte in Höhe von 100.000 EUR; Rückforderung eines von Dritten dem Zweitbeklagten gewährten und von diesem nicht zurückbezahlten Darlehens in Höhe von 6.000 EUR.

[4] Die Klägerin beantragte beim Obersten Gerichtshof die Ordination eines inländischen Gerichts für die beabsichtigte Klagsführung. Die Voraussetzungen des § 28 Abs 1 Z 1 bzw Z 3 JN lägen zwar nicht vor, wohl aber sei die Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar und lägen daher die Voraussetzungen nach § 28 Abs 1 Z 2 JN vor. Nach dem Kenntnisstand der Klägerin seien allfällige Verfahrenskosten in Serbien erheblich, die zwingend notwendigen Übersetzungskosten und Dolmetscherkosten seien in Serbien nicht überschaubar. Absolut unkalkulierbar für die Klägerin wäre die allenfalls vom serbischen Gericht festzusetzende Sicherheitsleistung (aktorische Kaution). Nach Kenntnisstand der Klägerin seien die durchschnittlichen Verfahrensdauern bei serbischen Gerichten länger als in Österreich. Zwischen Österreich und Serbien bestehe kein Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen. Die Beklagten verfügten in Österreich über ausreichendes Vermögen. Die Erstbeklagte habe in Österreich diverse Geschäftspartner, an die sie Rechnungen fakturiere; die Klägerin beabsichtige, diese offenen Rechnungsbeträge gegenüber den Geschäftspartnern im Wege von Forderungsexekutionen einbringlich zu machen.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Ordinationsantrag ist nicht berechtigt.

[6] 1. Gemäß der von der Klägerin angezogenen Bestimmung des § 28 Abs 1 Z 2 JN hat der Oberste Gerichtshof ein örtlich zuständiges Gericht dann zu bestimmen, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Nach § 28 Abs 4 zweiter Satz JN hat der Kläger in streitigen bürgerlichen Rechtssachen das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 28 Abs 1 Z 2 JN zu behaupten und zu

bescheinigen.

[7] 2. Da die Klägerin ihren Sitz in Österreich hat und die Rechtsverfolgung in Serbien möglich ist (Gegenteiliges behauptet auch die Klägerin nicht), ist nur mehr zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung in Serbien unzumutbar wäre.

[8] Dazu hat die oberstgerichtliche Rechtsprechung folgende Grundsätze entwickelt:

[9] 2.1. Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland setzt voraus, dass die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt wird, eine dringende Entscheidung im Ausland nicht rechtzeitig erreicht werden könnte, eine Prozessführung im Ausland wenigstens eine der Parteien politischer Verfolgung aussetzen würde oder die Kostspieligkeit des ausländischen Verfahrens die ausländische Rechtsverfolgung unzumutbar macht (RS0046148). Die Rechtsverfolgung im Ausland ist grundsätzlich zumutbar, wenn nur ein dort eingeleiteter Rechtsstreit zur Durchsetzung der Forderung des Klägers führen kann (RS0046148 [T2]). Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung geht im Zweifel der Schutz des Beklagten vor (RS0046148 [T4]). Unzumutbar ist die Rechtsverfolgung im Ausland, wenn eine überlange Verfahrensdauer zu gewärtigen wäre (RS0046148 [T10]). Das Prozesskostenargument ist nur in Ausnahmefällen geeignet, einen Ordinationsantrag zu begründen: Die Kostenfrage stellt sich nämlich bei Distanzprozessen für beide Parteien jeweils mit umgekehrten Vorzeichen und geht daher zu Lasten des Klägers (RS0046148 [T12]). Es ist nicht Sache der österreichischen Justiz, ein umfangreiches, langwieriges und kostspieliges Verfahren abzuführen, wenn fast alles dafür spricht, dass das Ergebnis nur ein wertloses Schriftstück sein kann (RS0046593).

[10] 2.2. Besteht kein Anknüpfungspunkt, der eine besondere Zuständigkeit begründen würde, so muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber Klagen gegen Personen, die in Österreich keinen ordentlichen Wohnsitz oder bleibenden Aufenthalt haben, im Allgemeinen von den österreichischen Gerichten nicht behandelt wissen will (RS0046264). § 28 JN soll dem Obersten Gerichtshof nicht die Möglichkeit bieten, grundsätzlich jede Rechtssache, zu deren Entscheidung die Zuständigkeitsvorschriften kein österreichisches Gericht berufen, der österreichischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen (RS0046322).

[11] 2.3. Da ein Ordinationsantrag an keine Frist gebunden ist, kommt eine Verbesserung nicht in Betracht (RS0112365). Eine unsubstanziierte Behauptung reicht zur Begründung des Ordinationsantrags nicht (RS0112365 [T1]). Das Fehlen notwendiger Behauptungen bildet einen Inhaltsmangel, der ohne Verbesserungsversuch zur Abweisung des Antrags führt (RS0112365 [T5]).

[12] 3.1. Zum Zweitbeklagten:

[13] Zwischen Österreich und Serbien besteht kein Abkommen, wonach eine gerichtliche Entscheidung über die hier verfolgten Ansprüche im jeweils anderen Land vollstreckbar wäre (vgl Gelbes Buch Online, abrufbar im Justiz-Intranet; 6 Nc 1/19b [ErwGr 6.1.]).

[14] Dass (auch) der Zweitbeklagte Vermögen in Österreich (oder in der Europäischen Union) hätte, auf das die Klägerin im Falle eines Obsiegens exekutiv greifen könnte, hat die Klägerin nicht (konkret) behauptet. Mit einem österreichischen Exekutionstitel gegen den Zweitbeklagten könnte die Klägerin somit nichts anfangen. Nach der schon zitierten Rechtsprechung liegen somit für den Zweitbeklagten schon deshalb die Voraussetzungen für eine Ordination nicht vor (RS0046593).

[15] 3.2. Zur Erstbeklagten:

[16] Die Behauptungen der Klägerin reichen auch hinsichtlich der Erstbeklagten für eine Ordination nicht aus.

[17] 3.2.1. Was die mutmaßlichen Prozesskosten betrifft, so erschöpft sich des Vorbringen der Klägerin in Vermutungen, ohne dafür Bescheinigungsmittel auch nur anzubieten. Nach der „Liste von Rechtsanwälten und Notaren in Serbien – Auswärtiges Amt“ (https://belgrad.diplo.de/rs-de/service/-/2249854 ) besteht in Serbien in Zivil- und Handelsverfahren kein Anwaltszwang. Rechtsanwälte dürfen danach ein Honorar in Höhe von bis zu 30 % des Streitwerts vereinbaren. Die Gerichtsgebühren (Klage- und Urteilsgebühr) beliefen sich bei Zivilprozessen mit einem Streitwert von beispielsweise 4.000 EUR auf ca 320 EUR, vor Wirtschaftsgerichten auf ca 420 EUR.

[18] Damit kann aber von einer ins Gewicht fallenden finanziellen Mehrbelastung bei Prozessführung in Serbien gegenüber Österreich nicht gesprochen werden. Auch in Österreich können Anwaltshonorare je nach Streitwert und Verfahrensaufwand 30 % des Streitwerts leicht erreichen oder auch übersteigen. Bei einem Streitwert von 4.000 EUR beträgt in Österreich die gerichtliche Pauschalgebühr allein für die erste Instanz 314 EUR, sodass auch insoweit die genannten Gebühren in Serbien nur geringfügig höher sind. Übersetzungskosten fallen bei Prozessführung in Österreich vermutlich vergleichbar hoch an wie in Serbien.

[19] 3.2.2. Eine (in welchem Ausmaß auch immer) „längere“ Verfahrensdauer als in Österreich rechtfertigt für sich allein noch keine Ordination. Österreichische Gerichte weisen bekanntlich im internationalen Vergleich bei der Verfahrensdauer grundsätzlich gute Werte auf (https://www.justiz.gv.at/home/justiz/daten-und  fakten/verfahrensdauer~1e7.de.html). Würde man der Ansicht der Klägerin folgen, wäre daher gegenüber vielen Staaten, in denen Zivilverfahren durchschnittlich länger als in Österreich dauern, die Ordination gerechtfertigt. Dies ließe sich mit der oben (2.2.) dargestellten restriktiven Handhabung der Ordination nicht vereinbaren.

[20] Nach der unter 2.1. zitierten Rechtsprechung muss die zu gewärtigende Verfahrensdauer im Ausland „überlang“ (RS0046148 [T10]), also wohl in einem der Rechtsverweigerung nahe kommenden Maß sein, um die Prozessführung im Ausland unzumutbar erscheinen zu lassen. Solches hat die Klägerin aber gar nicht behauptet.

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