OGH 8ObS3/21f

OGH8ObS3/21f3.5.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *, wegen 10.267 EUR netto (Insolvenz‑Entgelt), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Jänner 2021, GZ 6 Rs 21/20 t‑11, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132219

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass Insolvenz‑Entgelt nur im Fall einer gesetzlichen Abfertigung gebührt. Eine darüber hinaus gewährte freiwillige Abfertigung ist nicht gesichert (RIS‑Justiz RS0101975). Richtig ist, dass es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs den Arbeitsvertragsparteien in gewissem Umfang frei steht, die Grundlagen für die Entstehung des gesetzlichen Abfertigungsanspruchs zu bestimmen, wenn sie von den tatsächlich geleisteten Zeiten und Entgelten ausgehen und sich insgesamt im Rahmen der gesetzlichen Regelungen bewegen. Diese Entscheidungen betreffen zum einen die Frage der Umstellung einer Vollzeitbeschäftigung auf eine Teilzeitbeschäftigung unter dem Aspekt der Höhe des der Abfertigung zu Grunde zu legenden Entgelts, also die Bemessungsgrundlage bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl etwa 8 ObS 13/01x unter Berücksichtigung des gesetzlichen Modells des § 23 Abs 8 AngG). Zum anderen beziehen sich diese Entscheidungen auf einzelvertragliche Vereinbarungen über die Anrechnung von tatsächlich zurückgelegten Vordienstzeiten bei einem anderen Dienstgeber, sofern solche Zeiten nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt wurden, also nicht schon abgefertigt wurden (8 ObS 257/01d). Eine sich durch eine solche Anrechnung von Vordienstzeiten ergebende Erhöhung des Abfertigungsanspruchs ist somit ebenfalls gesichert (§ 3 Abs 3 zweiter Satz IESG). Ein solcher Fall liegt aber nicht vor.

[2] 2. Hier stellt sich ausschließlich die Frage, ob Zeiten der Bildungskarenz (1,2 Jahre) bzw geringfügigen Beschäftigung (1,18 Jahre), deren Anrechnung für alle Ansprüche aus dem Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsparteien einzelvertraglich vereinbart hatten, in die Dienstzeit im Sinne des § 2 Abs 1 Arbeiter‑Abfertigungsgesetz in Verbindung mit § 23 AngG dergestalt einzurechnen sind, dass dem Kläger ein Insolvenz-Entgelt für die Abfertigung im Umfang von neun (statt nur sechs) Monatsentgelten zusteht.

[3] 3.1 Der Oberste Gerichtshof hat zu 8 ObS 11/07m bereits klargestellt, dass der Gesetzgeber ausgehend vom Wortlaut des § 23 Abs 1a AngG hinsichtlich der für die Höhe der Abfertigung maßgeblichen Dienstzeit explizit eine Nichtanrechenbarkeit der Zeiten der geringfügigen Beschäftigung nach § 7b Abs 1 VKG und § 15e Abs 1 MSchG während der Karenz angeordnet hat. Zeiten der geringfügigen Beschäftigung sind daher für die Berechnung der Abfertigungsanwartschaftsdauer nicht heranzuziehen.

[4] 3.2.1 Nach dem für die Bildungskarenz maßgeblichen § 11 Abs 2 AVRAG gilt für Rechtsansprüche des Arbeitnehmers, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, § 15f Abs 1 MSchG mit Ausnahme des letzten Satzes.

[5] § 15f Abs 1 MSchG wurde mit der Novelle BGBl I 2019/68 geändert. Demnach behält die Dienstnehmerin den Anspruch auf sonstige, insbesondere einmalige Bezüge im Sinne des § 67 Abs 1 des Einkommensteuergesetzes 1988 in den Kalenderjahren, in die Zeiten einer Karenz fallen, in dem Ausmaß, das dem Teil des Kalenderjahres entspricht, in den keine derartigen Zeiten fallen. Für die Dienstnehmerin günstigere Regelungen werden dadurch nicht berührt. Der dritte und letzte Satz dieser Bestimmung verfügt nunmehr die Anrechnung von Zeiten der Karenz bei Rechtsansprüchen, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, für jedes Kind in vollem in Anspruch genommenen Umfang bis zur maximalen Dauer gemäß den §§ 15 Abs 1 und 15c Abs 2 Z 3 und Abs 3 MSchG. Die Neuregelung gilt für Mütter (Adoptiv‑ oder Pflegemütter), deren Kind ab 1. 8. 2019 geboren (adoptiert oder in unentgeltliche Pflege genommen) worden ist (§ 40 Abs 29 MSchG).

[6] Nach Satz 3 des § 15f Abs 1 MSchG aF blieb demgegenüber, soweit nichts anderes vereinbart, die Zeit der Karenz bei Rechtsansprüchen der Dienstnehmerin, die sich nach der Dauer der Dienstzeit richten, außer Betracht. Nach dem letzten Satz leg cit aF, der vom Verweis des § 11 Abs 2 AVRAG ausgenommen war, wurde die erste Karenz im Dienstverhältnis für die Bemessung der Kündigungsfrist, die Dauer der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Unglücksfall) und das Urlaubsausmaß jedoch bis zum Höchstausmaß von insgesamt zehn Monaten angerechnet.

[7] 3.2.2 Daraus folgt, jedenfalls für den vorliegenden Fall, in dem die Zeiten der Bildungskarenz bzw geringfügigen Beschäftigung in den Jahren 2009, 2010 und 2013, also vor Inkrafttreten und Anwendbarkeit des neuen § 15f Abs 1 MSchG, konsumiert wurden, dass schon deshalb weitere Zeiten bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeitsdauer des Arbeitnehmers nicht mitberücksichtigt werden (§ 11 Abs 2 AVRAG in Verbindung mit § 15f Abs 1 Satz 3 MSchG aF). Es kommt demnach nur dann zur Anrechnung der Bildungskarenz auf arbeitsrechtliche Ansprüche wie etwa Abfertigung Alt, wenn dies gesondert vereinbart wird (Sabara, Anrechnung von Karenzzeiten für dienstzeitabhängige Ansprüche, ARD 6648/4/2019 [4]).

[8] 3.3 Die Ansicht der Vorinstanzen, dass der geltend gemachte – auf eine Einzelvereinbarung über die Anrechnung von Zeiten der Bildungskarenz bzw geringfügigen Beschäftigung fußende – Abfertigungsanspruch über den gesetzlichen Abfertigungsanspruch hinausgeht und damit nicht nach § 1 Abs 4a IESG gesichert ist, ist in Anbetracht dieser Rechtslage nicht zu beanstanden.

[9] 4. Gegenstand der vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidung 8 ObS 88/97t war (nur) die Auslegung einer Kollektivvertragsregelung dahin, ob die (von einer dreijährigen Dauer des Dienstverhältnisses abhängig gemachte) Anrechnung von zehn Monaten eines Karenzurlaubs bei einer Dauer des Beschäftigungsverhältnisses (außerhalb des Karenzurlaubs) schon von 26 Monaten oder erst von 36 Monaten stattzufinden hatte. In dem dortigen Verfahren wurde von der Beklagten gar nicht eingewandt, dass die über den gesetzlichen Anspruch hinausgehende Abfertigung nicht nach dem IESG gesichert sei, sodass zu dieser Frage vom Obersten Gerichtshof auch nicht Stellung genommen wurde. Daraus kann daher entgegen der Meinung des Klägers nicht abgeleitet werden, dass ein auf Kollektivvertrag oder Einzelvereinbarung gestützter, aber durch § 11 Abs 2 AVRAG iVm § 15f Abs 1 MSchG bzw § 23 Abs 1a AngG nicht gedeckter Abfertigungsanspruch nach § 1 Abs 4a IESG gesichert wäre.

[10] 5. Da sich die angefochtene Entscheidung im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Leitlinien bewegt, vermag die außerordentliche Revision keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Stichworte