OGH 1Ob53/21g

OGH1Ob53/21g21.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI G*, vertreten durch Dr. Florian Legit, MBL, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Mag. S*, vertreten durch Dr. Andreas Fink und Dr. Christopher Fink, Rechtsanwälte in Imst, wegen 345.000 EUR sA sowie Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. Jänner 2021, GZ 1 R 162/20p‑21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. September 2020, GZ 6 Cg 105/19f‑16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131671

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Der Kläger nimmt den Beklagten als seinen damaligen Rechtsvertreter in einem Verfahren, in dem er aufgrund eines Unfalls von der Unfallgegnerin sowie deren Haftpflichtversicherer Schadenersatz forderte, in Anspruch. Er wirft ihm im Wesentlichen vor, dass er nicht „verhindert“ habe, dass der Kläger mit der gegnerischen Versicherung einen – seiner Ansicht nach wirtschaftlich nachteiligen – außergerichtlichen Vergleich abschloss, und dass er ihn bei den Vergleichsgesprächen nicht vertreten habe.

[2] 2. Ein Rechtsanwalt schuldet grundsätzlich nur die fachgemäße Beratung und Vertretung seines Klienten. Ob ihm beim Abschluss eines Vergleichs eine – vom Geschädigten nachzuweisende (RIS‑Justiz RS0026458 [T4, T10]) – Sorgfaltsverletzung vorzuwerfen ist, hängt neben der Kompromissbereitschaft der Parteien und dem ihm gegenüber (nach Belehrung) geäußerten Willen seines Klienten (vgl RS0026458 [T5]) davon ab, ob er den Vergleich ex-ante nach den ihm erteilten Informationen sowie des Prozessstands für empfehlenswert halten musste. Dies ist jeweils für den konkreten Einzelfall zu prüfen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0026458 [T3, T5, T6, T7]; siehe auch RS0026584 [T21]; RS0023526 [T16]).

[3] Jedenfalls kein strengerer Maßstab ist in einem Fall wie dem vorliegenden anzulegen, in dem der Rechtsanwalt den Vergleich (als Vertreter des Mandanten) nicht selbst abgeschlossen, sondern den Mandanten dabei nur beraten hat.

[4] 3. Der Kläger übergeht in seiner Revision weitgehend den festgestellten Sachverhalt, der sich in seinen relevanten Teilen wie folgt zusammenfassen lässt:

[5] Nachdem im Anlassverfahren mit Zwischenurteil rechtskräftig festgestellt worden war, dass das Zahlungsbegehren dem Grunde nach zu 3/4 zu Recht besteht und schon vorher (mit Teilanerkenntnisurteil) rechtskräftig ausgesprochen worden war, dass auch für künftige Schäden in diesem Ausmaß gehaftet wird, ergriff der Kläger die Initiative zu direkten Vergleichsgesprächen mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer. Der Beklagte war damit einverstanden, beteiligte sich aber vereinbarungsgemäß – wie auch der Prozessvertreter des Versicherers – nicht an diesen Gesprächen. Der Versicherer bot dem Kläger zuletzt 250.000 EUR zur Abgeltung „sämtlicher in der Vergangenheit liegender und in Zukunft entstehender Forderungen“ an.

[6] Der Kläger ging beim Vergleichsabschluss davon aus, dass sich sein Gesundheitszustand schon deutlich gebessert habe. Er besprach das Vergleichsangebot mit dem Beklagten und erachtete es ihm gegenüber als annehmbar, „wenn er gesund bleibe und werde“ bzw „wenn es so weitergehe“. Er war davon überzeugt, wieder annähernd jenen Verdienst erzielen zu können, wie vor dem Unfall, und ersuchte den Beklagten um seine Einschätzung zum Vergleichsangebot, insbesondere auch zum künftigen Verdienstentgang als Beamter.

[7] Der Beklagte teilte dem Kläger mit, dass der Vergleich „mit seinem Gesundheitszustand stehe und falle“. Werde er wieder annähernd gesund und könne er einen Verdienst wie vor dem Unfall erzielen, sei das Angebot akzeptabel. Den Verdienstentgang des Klägers als Beamter könne er nicht einschätzen. Der Beklagte bestätigte die Beurteilung des Klägers, wonach das Angebot ein „Grenzfall“ sei und wies ihn ausdrücklich darauf hin, dass weder der Prozessausgang noch die Entwicklung seines Gesundheitszustands (den auch der im Anlassverfahren bestellte medizinische Sachverständige nicht prognostizieren konnte) vorhersehbar seien. Wenn er wieder annähernd gesund werde – wie dies dem Kläger von seinen Therapeuten vermittelt werde – sei das Angebot in Ordnung. Der Beklagte wies den Kläger ausdrücklich darauf hin, dass er bei Annahme des Vergleichs keine Ansprüche mehr geltend machen könne, was dem Kläger bewusst war. Dieser erklärte gegenüber dem Beklagten, den Vergleich abschließen zu wollen, und tat dies dann auch.

[8] 4.1. Ausgehend von diesen Feststellungen vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach dem Beklagten im Zusammenhang mit dem Vergleichsabschluss des Klägers kein Sorgfaltsverstoß anzulasten sei, einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Warum der Beklagte den Vergleichsabschluss „verhindern“ hätte sollen, legt er nicht nachvollziehbar dar. Er bezieht sich auch auf keine konkrete Aufklärungspflichtverletzung des Beklagten. Dass der Kläger als rechtsunkundige Person „dazu angehalten“ gewesen wäre, Vergleichsgespräche mit einem erfahrenen Gegner zu führen, ist unverständlich, hat er doch selbst die Initiative für Verhandlungen ohne Mitwirkung des Beklagten ergriffen. Dass dem Beklagten „umfassend bewusst“ gewesen wäre, dass der Kläger infolge seines psychischen Zustands die „komplexe rechtliche Situation“ nicht erfassen habe können, ist aus dem festgestellten Sachverhalt nicht abzuleiten.

[9] 4.2. Soweit der Rechtsmittelwerber behauptet, er sei davon ausgegangen, dass der Vergleich nur den Verdienstentgang „für die ersten Jahre“ (wohl gemeint: bis zum Vergleichsabschluss) umfasse, ist ihm neben dessen eindeutigem Wortlaut entgegenzuhalten, dass ihm nach den Tatsachenfeststellungen bewusst war, dass der Vergleich auch künftige Ersatzansprüche umfasst. Es waren ihm auch die – von der Entwicklung seines Gesundheitszustands abhängigen – wirtschaftlichen Chancen und Risiken des Vergleichs bekannt; ebenso, dass der angestrebte wirtschaftliche Zweck (die ausreichende Abgeltung auch allfälliger künftiger Schäden) nur dann erreicht werden kann, wenn sich sein Gesundheitszustand positiv entwickelt. Dass dies nicht prognostizierbar war, ergab sich für den Kläger – neben den Ausführungen des Sachverständigen im Anlassverfahren – aus dem klaren Hinweis des Beklagten vor Vergleichsabschluss. Da er auch in Kenntnis der verbliebenen Prozessrisiken, insbesondere hinsichtlich der Höhe seiner Ansprüche, war (wobei ihm auch bewusst war, dass die Prozesskosten nicht zur Gänze von der Rechtsschutzversicherung gedeckt sein könnten), begründet es keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung, dass die Vorinstanzen ein sorgfaltswidriges Verhalten des Beklagten verneinten.

[10] 4.3. Das Argument des Revisionswerbers, der Beklagte hätte ihn bei den Vergleichsgesprächen vertreten müssen, geht schon deshalb ins Leere, weil die gewählte Vorgehensweise zwischen den Parteien abgesprochen war, wobei der Beklagte darauf achtete, dass auch die Gegenseite bei den Gesprächen nicht anwaltlich vertreten ist. Davon abgesehen besprach der Kläger das Vergleichsangebot ohnehin mit dem Beklagten. Dass ein anderes Ergebnis erzielt worden wäre, hätte der Beklagte an den Gesprächen teilgenommen, behauptet der Kläger nicht.

[11] 4.4. Soweit der Revisionswerber argumentiert, der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, für eine „Umsetzung“ des rechtskräftigen Zwischenurteils bzw des „Feststellungsurteils“ zu sorgen bzw „auf eine quotenmäßige Entschädigung des erlittenen Schadens hinzuwirken“, und sich dabei auf eine von seinem Steuerberater „errechnete Schadenssumme“ (Verdienstentgang) bezieht, wonach das „Feststellungsurteil“ „per heute“ einen bestimmten „Geldwert“ habe, unterlässt er es bereits darzulegen, von welchen Prämissen diese Berechnung ausgeht. Zudem behauptet er nicht einmal, dass dem Beklagten die dem Versicherer übermittelte Schadensberechnung bekannt gewesen wäre. Dass dem Kläger beim Vergleichsabschluss bewusst war, dass künftige Schäden aufgrund der ungewissen Entwicklung seines Gesundheitszustands nicht abschätzbar seien, wurde bereits ausgeführt.

[12] 4.5. Soweit der Revisionswerber davon ausgeht, dass der Vergleich sittenwidrig gewesen sei, vermag dies seinen Ersatzanspruch gegen den Beklagten schon deshalb nicht zu stützen, weil der aus dem Vergleichsabschluss abgeleitete Schaden dann gar nicht eingetreten wäre, könnte sich der Kläger doch gegenüber dem Versicherer auf die Nichtigkeit des Vergleichs berufen und das gerichtliche Verfahren fortsetzen.

[13] 5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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