OGH 10ObS2/21y

OGH10ObS2/21y26.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2020, GZ 9 Rs 90/20a‑13, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00002.21Y.0226.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin bezog aus Anlass der Geburt ihres Sohnes am 11. 2. 2018 Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für den Zeitraum von 12. 4. 2018 bis 10. 2. 2019 in Höhe von 61,89 EUR pro Tag. Ihr war bekannt, dass sämtliche vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass-Untersuchungen innerhalb bestimmter Fristen durchzuführen und gegenüber der Beklagten nachzuweisen sind, um eine Kürzung ihres Anspruchs zu vermeiden.

[2] Die Klägerin führte sämtliche, insbesondere auch die 7. bis 10. Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen innerhalb der vorgesehenen Fristen durch. Sie erkundigte sich am 27. 2. 2019 telefonisch bei der (damaligen) Wiener Gebietskrankenkasse, ob die noch vorzulegenden Nachweise für die 7. bis 10. Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen auch per E‑Mail übermittelt werden können. Dies wurde bejaht und der Klägerin die für diesen Zweck eingerichtete E‑Mail‑Adresse des Kundencenter Kinderbetreuungsgeld der Wiener Gebietskrankenkasse, kckbg@wgkk.at , genannt. Am 28. 2. 2019 sandte die Klägerin die erforderlichen Nachweise als PDF‑Datei an die Wiener Gebietskrankenkasse (in Folge: Beklagte) und verwendete dafür die genannte E‑Mail‑Adresse. Die Klägerin erhielt keine Fehlermeldung, aus der sie hätte schließen können, dass Sendung oder Zustellung dieses E‑Mails fehlgeschlagen wären.

[3] Es steht nicht fest, aus welchen Gründen die Erfassung und weitere Verarbeitung dieses E‑Mails der Klägerin im Bereich der Beklagten unterblieben ist.

[4] Mit Bescheid vom 11. 10. 2019 sprach die Beklagte aus, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens um 1.300 EUR reduziere und die Klägerin verpflichtet sei, diesen Betrag binnen vier Wochen zurückzuerstatten.

[5] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass der Anspruch der Beklagten auf Rückersatz von 1.300 EUR an Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens nicht zu Recht bestehe.

[6] Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die Nachweise für die 7. bis 10. Mutter‑Kind‑Pass-Untersuchungen nicht bei ihr eingelangt seien. Ein Ausnahmefall des § 24c Abs 2 KBGG liege nicht vor.

[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin habe sämtliche erforderlichen Untersuchungen durchgeführt und fristgerecht nachgewiesen. Den Umstand, dass das E‑Mail vom 28. 2. 2019 nicht bei der Beklagten eingelangt sei, habe die Klägerin nicht zu vertreten.

[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es stehe fest, dass die Klägerin die erforderlichen Untersuchungsnachweise an die Beklagte gesendet habe. Die Klägerin habe sich dafür gemäß § 25a KBGG iVm § 360b ASVG und § 13 Abs 2 AVG zulässigerweise der Übermittlung mit E‑Mail bedient. Den Umstand, dass der Zugang dieses E‑Mails an die Beklagte nicht feststehe, habe die Klägerin nicht zu vertreten. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Beklagte der Klägerin eine für diesen Zweck eingerichtete E‑Mail‑Adresse genannt habe, die die Klägerin auch verwendet habe.

[9] In der gegen dieses Urteil gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[10] 1.1 Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens in voller Höhe besteht nur, wenn die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen gemäß der Mutter‑Kind‑Pass Verordnung 2002 durchgeführt und durch Vorlage der entsprechenden Untersuchungsbestätigung nachgewiesen werden. Werden die in § 24c KBGG vorgesehenen Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen nicht bis zu den vorgesehenen Zeitpunkten nachgewiesen, so reduziert sich gemäß § 24a Abs 4 KBGG der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für jeden Elternteil um 1.300 EUR.

[11] 1.2 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist ein Anbringen nach § 13 Abs 1 AVG (hier iVm § 25a KBGG und § 360b ASVG) nur dann als eingebracht anzusehen, wenn es der Behörde tatsächlich zugekommen ist. Nur in diesem Fall kann auch von einer Entgegennahme durch die Behörde ausgegangen werden (zB VwGH 2012/05/0180; 2008/03/0077 ua; Hengstschläger/Leeb, AVG [Stand: 1. 1. 2014, rdb.at] § 13 AVG Rz 33). Dass das E‑Mail der Klägerin vom 28. 2. 2019 der Beklagten tatsächlich zugekommen wäre, steht hier aber gerade nicht fest.

[12] 2.1 Gemäß § 24c Abs 2 Z 1 KBGG besteht trotzdem Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld in voller Höhe, wenn die Vornahme oder der Nachweis der Untersuchungen nur aus Gründen, die nicht von den Eltern zu vertreten sind, unterbleibt.

[13] 2.2 Ausschlaggebend ist, dass die Gründe, die den Nachweis verhindern, vom beziehenden Elternteil nicht zu vertreten sind und diesem kein rechtlich relevanter Vorwurf im Sinne des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG gemacht werden kann (10 ObS 122/20v). Nach der Rechtsprechung reicht beispielsweise das bloße Übersehen der Verpflichtung zur Erbringung eines rechtzeitigen Nachweises einer Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung nicht aus, um einen nicht von den Eltern zu vertretenden Grund annehmen zu können (10 ObS 157/14g SSV‑NF 29/31). Hingegen haben die Eltern nicht zu vertreten, dass der mit der Post abgeschickte Nachweis über die durchgeführte Untersuchung beim Versicherungsträger nicht einlangt (10 ObS 88/16p SSV‑NF 30/53). Die Frage, ob der das Kinderbetreuungsgeld beziehende Elternteil den nicht rechtzeitigen Nachweis einer Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchung zu vertreten hat, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0130213 [T2]). Eine die Revision dennoch rechtfertigende Unvertretbarkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts zeigt die Beklagte nicht auf:

[14] 3.1  Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin sei berechtigt gewesen, die Nachweise über die Mutter‑Kind‑Pass‑Untersuchungen mit E‑Mail an die Beklagte zu senden, wird von der Revisionswerberin nicht bestritten. Sie findet darüber hinaus in § 13 Abs 2 AVG iVm der – von der Revisionswerberin selbst zitierten – Kundmachung der Adressen, Amtsstunden und Parteienverkehrszeiten (Erreichbarkeitskundmachung, AVSV 2019/156) eine gesetzliche Grundlage.

[15] Schriftliche Anbringen können der Behörde gemäß § 13 Abs 2 AVG auch mit E‑Mail insoweit übermittelt werden, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.

[16] Für die elektronische Zustellung stellt die Beklagte gemäß § 3 Abs 2 Z 1 der Erreichbarkeitskundmachung entsprechende E‑Mail‑Adressen zur Verfügung (zB office‑w@oegkk.at gemäß § 9 Z 3 der Kundmachung). Sendungen per E‑Mail werden rund um die Uhr empfangen und gelten daher als noch rechtzeitig eingelangt, wenn sie am letzten Tag der zu wahrenden Frist bis 23:59:59 Uhr einlangen (§ 2 Abs 5 der Kundmachung). E‑Mails werden gemäß § 2 Abs 6 der Kundmachung nur bis zu einer Gesamtgröße von 50 MB entgegengenommen. Hinweise darauf, dass das von der Klägerin gesendete E‑Mail diese Größe überstiegen hätte, sind nicht vorhanden, ebenso wenig Hinweise darauf, dass das von der Klägerin gesendete E‑Mail virenverseucht oder wegen einer Schadsoftware schädlich gewesen wäre, sodass auch dem Hinweis der beklagten Partei auf § 2 Abs 6 der Erreichbarkeitskundmachung, wonach E‑Mails mit Schadsoftware oder Virenverseuchung nicht entgegengenommen werden, kein entsprechendes Tatsachensubstrat zugrunde liegt.

[17] 3.2  Mit ihrem zentralen Vorwurf, dass sich die Klägerin für die Übersendung der Nachweise nicht eines E‑Mails bedienen hätte dürfen, zeigt die Beklagte schon vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund keine Korrekturbedürftigkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts auf. Auch die Argumentation der Beklagten, die Verwendung eines E‑Mails schließe die Klägerin vom Ausnahmetatbestand des § 24c Abs 2 Z 1 KBGG aus, ist nicht nachvollziehbar:

[18] Die Klägerin hat nicht übersehen, dass sie die erforderlichen Nachweise innerhalb bestimmter Fristen gegenüber der Beklagten zu erbringen hat. § 24c KBGG schreibt keine bestimmte Form vor, in der die Nachweise an die Beklagte zu erbringen sind (vgl schon 10 ObS 88/16p). Die Österreichische Gesundheitskasse übergeht in ihrer außerordentlichen Revision, dass die Klägerin sich telefonisch bei ihr erkundigt hat, ob es auch möglich sei, die Nachweise per E‑Mail zu senden. Dies wurde bejaht und der Klägerin eine dafür vorgesehene E‑Mail‑Adresse bekannt gegeben. Die Klägerin hat keinen Fehlbericht nach Absendung des E‑Mails erhalten, sodass sie im konkreten Fall nicht veranlasst war, Zweifeln am Gelingen der Sendung oder der Zustellung des E‑Mails nachzugehen.

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