European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131058
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 416,26 EUR (darin 69,38 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war vom 19. 5. 2014 bis 31. 8. 2018 bei der Beklagten als Pflegeassistent in Vollzeit mit 38 Wochenstunden beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreichs (SWÖ‑KV).
[2] Seit 2016 verrichtete der Kläger über seinen Wunsch ausschließlich nur mehr Nachtbereitschaftsdienste, die bei Bedarf fallweise von Pflegetätigkeiten unterbrochen wurden. Eine Änderung des Beschäftigungsausmaßes erfolgte nicht. Zwischen den Parteien war die Bezahlung jener Zeiten, in denen der Bereitschaftsdienst des Klägers durch Arbeitstätigkeit unterbrochen wurde, als Nachtarbeitsstunden vereinbart, für die auch kollektivvertragliche Nachtgutstunden verzeichnet wurden. Die Stunden des bloßen Bereitschaftsdienstes wurden von der Beklagten nach § 8 Abs 3 lit e SWÖ‑KV mit 25 % des Grundstundenlohns bezahlt.
[3] Bei Beendigung des Dienstverhältnisses wies der Kläger rund 23 Nachtgutstunden nach § 9 Abs 4 SWÖ‑KV und gleichzeitig rund 13 Minusstunden auf. Der Geschäftsführer der Beklagten erklärte dem Kläger, dass er eine Gegenverrechnung vornehme und ihm daher 10 Nachtgutstunden ausbezahlt würden. Der Kläger sprach sich nicht dagegen aus, weil ihn „das Ganze nicht mehr interessiert hat“.
[4] In seiner Klage begehrt er die Differenz zwischen dem erhaltenen Entgelt und dem kollektivvertraglichen Mindestlohn für die Normalarbeitszeit, zuzüglich aliquoter Anteile bei Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung, sowie Auszahlung weiterer 13 Nachtgutstunden.
[5] Die Beklagte wandte ein, die verringerte Entlohnung von Bereitschaftsdiensten entspreche dem Kollektivvertrag. Die ausschließliche Einteilung zur Nachtarbeitsbereitschaft sei in Abänderung des ursprünglichen Dienstvertrags über Wunsch des Klägers erfolgt.
[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 3.890,56 EUR brutto unter unangefochtener Abweisung des Mehrbegehrens statt.
[7] Rechtlich kam es zu dem Ergebnis, dass § 8 SWÖ‑KV lediglich die Entlohnung von Bereitschaftszeiten regle, die über die gewöhnliche Normalarbeitszeit hinaus geleistet werden. Durch die Möglichkeit der Ausdehnung der Normalarbeitszeit komme es zum Entfall von Überstundenzuschlägen. Dieses Entlohnungsmodell könne aber nicht für die Normalarbeitszeit herangezogen werden, weil dadurch Raum für ein Umgehen der kollektivvertraglichen Mindestbestimmungen eröffnet würde.
[8] Der Anspruch auf Auszahlung der offenen Nachtgutstunden gründe sich auf eine für den Kläger gegenüber dem Kollektivvertrag günstigere Einzelvereinbarung. Eine Aufrechnung der Nachtgutstunden mit Minusstunden sei unzulässig, weil es Sache der Beklagten gewesen wäre, dem Kläger Dienste im vereinbarten Beschäftigungsausmaß zuzuteilen.
[9] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten teilweise Folge und änderte die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass es dem Kläger unter Abweisung des Mehrbegehrens 1.533,41 EUR brutto sA zuerkannte.
[10] Nach der Auffassung des Berufungsgerichts treffe § 8 Abs 3 lit d SWÖ‑KV eine spezielle Mindestentgeltregelung für Nachtarbeitsbereitschaftszeiten, die unabhängig davon gelte, ob im Betrieb von der Möglichkeit einer Verlängerung der Normalarbeitszeit Gebrauch gemacht wurde. Es werde nicht gegen kollektivvertragliche Mindestnormen verstoßen, wenn das Entgelt für vereinbarte ausschließliche Nachtbereitschaftsdienste dadurch geringer sei als jenes für Arbeitszeiten.
[11] Für Nachtgutstunden gelte gemäß § 9 Abs 4 SWÖ‑KV ein zwingendes Auszahlungsverbot. Die von der Beklagten vorgenommene Gegenrechnung mit nicht geleisteten Normalstunden entspreche im Ergebnis lediglich dem im Kollektivvertrag vorgesehenen Naturalverbrauch der Gutstunden. Darüber hinaus habe der Kläger dieser Verrechnung auch schlüssig seine Zustimmung erteilt.
[12] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Auslegung der Regelungen über Nachtarbeitsbereitschaft und Nachtarbeit in den §§ 8 und 9 SWÖ‑KV über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukomme und die aufgeworfenen Fragen in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden seien.
[13] Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist aus den im Zulassungsausspruch dargelegten Gründen zulässig. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[14] 1. Arbeitsbereitschaft ist nach der Definition des maßgeblichen § 8 Abs 1 SWÖ‑KV jene Arbeitszeit, während der sich die Arbeitnehmer an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme bereitzuhalten haben (vgl auch RIS‑Justiz RS0051351).
[15] 1.1. Nach § 5a AZG kann der Kollektivvertrag, wenn die Arbeitszeit überwiegend aus Arbeitsbereitschaft mit besonderen Erholungsmöglichkeiten besteht, die Betriebsvereinbarung auf Grundlage eines arbeitsmedizinischen Gutachtens ermächtigen, dreimal pro Woche eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit bis auf 24 Stunden zuzulassen. Der Kollektivvertrag und die Betriebsvereinbarung haben alle Bedingungen festzulegen, unter denen die Verlängerung der täglichen Normalarbeitszeit im Einzelfall zulässig ist. Innerhalb eines durch Kollektivvertrag festzusetzenden Durchrechnungszeitraums darf die wöchentliche Normalarbeitszeit im Durchschnitt 60 Stunden, in einzelnen Wochen des Durchrechnungszeitraums 72 Stunden nicht überschreiten.
[16] 1.2. In § 8 SWÖ‑KV wird von dieser gesetzlichen Ermächtigung in folgender Weise Gebrauch gemacht:
„(...) 2) Fällt in die Arbeitszeit der Arbeitnehmerin regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft, kann die Betriebsvereinbarung eine Erhöhung der täglichen Normalarbeitszeit auf zwölf Stunden zulassen.
3) a) Fällt in die Arbeitszeit der Arbeitnehmerin in überwiegendem Umfang Arbeitsbereitschaft und liegen die übrigen Voraussetzungen iSd § 5a AZG vor, kann die Betriebsvereinbarung eine Verlängerung sowohl der täglichen als auch der wöchentlichen Normalarbeitszeit zulassen.
b) Die Betriebsvereinbarung kann eine Ausdehnung der täglichen Normalarbeitszeit im Zusammenhang mit geringer zu entlohnender Arbeitsbereitschaft auf bis zu 16 Stunden max. 3 x pro Woche zulassen. Die Betriebsvereinbarung kann eine weitere Ausdehnung auf bis zu 24 Stunden zulassen, wenn in die Arbeitszeit Teambesprechungen, Supervision, Wochenenddienst oder gleichwertige Formen der Arbeit fallen.
c) (...) Die Betriebsvereinbarung kann eine weitere Ausdehnung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit auf 50 Stunden zulassen, wenn die Anzahl der Arbeitnehmerinnen pro Team unter 8 Arbeitnehmerinnen liegt. (...) Die Verlängerung der wöchentlichen Normalarbeitszeit hat sich dabei ausschließlich aus Zeiten der Nachtarbeitsbereitschaft zu ergeben. (...).
d) Zeiten der Nachtarbeitsbereitschaft (von 22:00 bis 6:00 Uhr) werden mit 50 % des Grundstundenlohnes abgegolten (= geringer zu entlohnende Nachtarbeitsbereitschaft). Eine Arbeitsaufnahme während der geringer zu entlohnenden Nachtarbeitsbereitschaft unterbricht diese und ist wie folgt zu vergüten: Jede angefangene halbe Stunde wird als halbe Stunde gerechnet und wie Nachtarbeit (siehe § 9) vergütet. (...).“
[17] 1.3. Der SWÖ‑KV unterscheidet zwischen Bereitschaftszeiten, die bei regelmäßigem Anfall unter den Voraussetzungen des § 5a AZG eine Ausdehnung der Normalarbeitszeit ermöglichen, und der Nachtarbeitsbereitschaft, die ausschließlich zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr anfällt.
[18] Der unterschiedlichen Behandlung von Nachtarbeitsbereitschaft und sonstigen Bereitschaftszeiten liegt der Gedanke zugrunde, dass die Arbeitskraft der Dienstnehmer während der Zeit der allgemeinen Nachtruhe typischerweise selten in Anspruch genommen wird und die Phasen der besonderen Erholungsmöglichkeit überwiegen (Löschnig/Resch,SWÖ‑KV 2020, § 8 Anm 13).
[19] Nach ständiger Rechtsprechung dürfen Zeiten der Arbeitsbereitschaft aufgrund der geringeren Beanspruchung des Arbeitnehmers (Überstunden „minderer Art“) grundsätzlich auch geringer entlohnt werden (RIS‑Justiz RS0116870, RS0054879, RS0027969, RS0021399, RS0021667). Die entlohnungsrechtliche Seite ist vom arbeitnehmerschutzrechtlichen Aspekt zulässiger Höchstarbeitszeiten zu unterscheiden (vgl schon 4 Ob 111/81 DRdA 1982/16 [Runggaldier]). Eine Unzulässigkeit einer Mehrarbeitsleistung wirkt sich nicht auf den Entlohnungsanspruch aus.
[20] 1.4. In diesem Sinn ist es für über die Normalarbeitszeit hinausgehende Bereitschaftszeiten nicht notwendig, dass ohne Rücksicht auf das Ausmaß der erbrachten vertragsmäßigen Arbeitsleistung Überstundenentgelt zustehen muss (vgl RS0054541, 9 ObA 99/08m; 9 ObA 25/11h; tw krit Klein AZG5 §§ 5 und 5a Rz 17 ff). Es ist sogar zulässig, ein kollektivvertragliches oder einzelvertragliches Entgelt zu vereinbaren, das geringer als der Normalstundenlohn ist (RS0021399).
[21] 1.5. Der SWÖ‑KV sieht in seinem § 8 Abs 3 lit d und e eine abweichende Mindestentgeltregelung für Nachtarbeitsbereitschaft vor. Eine Einschränkung dahin, dass dieses verringerte Mindestentgelt lediglich für Zeiten gelten sollte, die innerhalb einer nach § 8 Abs 2 und 3 lit a bis c SWÖ‑KV verlängerten Normalarbeitszeit liegen, kann dieser Regelung nicht entnommen werden.
[22] Der gegenteilige Standpunkt des Revisionswerbers würde bedeuten, dass die gleiche Arbeitsleistung in den Nachtstunden abhängig von der Person des Arbeitnehmers unterschiedlich zu entlohnen wäre. Arbeitnehmer, die auch tagsüber arbeiten bzw im Rahmen einer ausgedehnten Normalarbeitszeit von mehr als 38 Stunden beschäftigt werden, hätten für die Zeit der Nachtarbeitsbereitschaft ungeachtet einer insgesamt größeren zeitlichen Belastung einen geringeren Entgeltanspruch als der Kläger. Eine solche Auslegung stünde mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Konflikt und vermag nicht zu überzeugen.
[23] 1.6. Weder allgemeine arbeitsrechtliche Bestimmungen noch der SWÖ‑KV im Besonderen untersagen es einem Dienstnehmer, sich vertraglich ausschließlich zur Leistung von Nachtbereitschaftsdiensten zu verpflichten.
[24] Das Berufungsgericht ist in seiner Begründung aufgrund des festgestellten Sachverhalts davon ausgegangen, dass der ursprüngliche Dienstvertrag des Klägers einvernehmlich dahin abgeändert wurde, dass an die Stelle der Normalarbeitszeit von 38 Arbeitsstunden die selbe Anzahl Stunden ausschließlicher Nachtarbeitsbereitschaft getreten ist. Diese Beurteilung stellt die Revision nicht mehr in Frage.
[25] 1.7. Für die in den Nachtstunden von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr erbrachte Arbeitsbereitschaft gebührt nach § 8 Abs 3 lit d bzw lit e SWÖ‑KV nicht der Grundlohn, sondern ein reduziertes Entgelt. Für die während der Nachtarbeitsbereitschaft angefallenen Arbeitsstunden sind darüber hinaus die in § 9 Abs 2 SWÖ‑KV geregelten (hier nicht gegenständlichen) Zuschläge zu bezahlen. Die Regelung des § 8 Abs 3 lit d und e SWÖ‑KV definiert daher für ihren inhaltlich umschriebenen Anwendungsbereich das kollektivvertragliche Mindestentgelt.
[26] Von dieser Rechtsansicht ist das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen. Seine Beurteilung, dass die Voraussetzungen des § 8 Abs 3 lit e SWÖ‑KV für eine Reduktion auf 25 % des Grundstundenlohns nicht erfüllt waren und dem Klagebegehren insoweit teilweise Berechtigung zukommt, ist unbekämpft geblieben.
[27] 2. Gegen die Abweisung des auf Entlohnung offener Gutstunden gerichteten Teils des Klagebegehrens wendet sich die Revision mit der Begründung, dass es der Beklagten möglich gewesen wäre, das Entstehen der gegenverrechneten Minusstunden bei entsprechender Diensteinteilung zu verhindern. Der Kläger habe der Verrechnung auch nicht konkludent zugestimmt, weil einem bloßen Schweigen kein eindeutiger Rechtsfolgewillen beigemessen werden könne.
[28] 2.1. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf § 9 Abs 4 SWÖ‑KV, der vorsieht, dass für jeden geleisteten Nachtdienst für Mitarbeiterinnen in Einrichtungen mit stationärer Pflege für den Bereich Pflege ein Zeitguthaben im Ausmaß von zwei Gutstunden gebührt. Der Verbrauch dieses Zeitguthabens kann im Rahmen einer Betriebsvereinbarung geregelt werden. Das Zeitguthaben ist jedoch spätestens sechs Monate nach seinem Entstehen zu verbrauchen und darf nicht in Geld abgegolten werden.
[29] 2.2. Dieser Regelung liegt offenkundig der gleiche Zweck wie dem Ablöseverbot nach § 7 UrlG zugrunde, den Naturalkonsum der für die Erholung des Arbeitnehmers gewidmeten bezahlten Freizeit zu gewährleisten.
[30] 2.3. Außer Streit gestellt wurde, dass für die innerhalb der Nachtbereitschaft tatsächlich angefallene Nachtarbeit aliquot Nachtgutstunden „verzeichnet bezahlt“ (sic, AS 91) wurden. Das Erstgericht hat davon ausgehend – teilweise disloziert – festgestellt, dass Nachtgutstunden vereinbarungsgemäß ausbezahlt „wurden“ bzw „werden sollten“. Eine regelmäßige laufende Bezahlung von Gutstunden wurde vom Kläger gar nicht vorgebracht.
[31] 2.4. Das kollektivvertragliche Ablöseverbot erlaubt es grundsätzlich nur, die Gutstunden in Natura zu verbrauchen und lediglich dann, wenn dies nicht möglich ist, offene Restguthaben auszuzahlen. Eine regelmäßige Auszahlung ist mit dem Zweck, dem Arbeitnehmer keinen Anreiz zu bieten, aus finanziellen Erwägungen auf die zusätzliche Erholungszeit zu verzichten, unvereinbar. Eine derartige Vereinbarung wäre für den Arbeitnehmer nicht günstiger und gegenüber dem einseitig zwingenden kollektivvertraglichen Anspruch ein unzulässiges Aliud (vgl RS0117393).
[32] 2.5. Zur Frage, in welcher Weise im Betrieb der Beklagten Nachtgutstunden üblicherweise zu konsumieren waren, haben die Parteien nichts vorgebracht. Weder haben sie sich auf eine allfällige Betriebsvereinbarung im Sinn des § 9 Abs 4 SWÖ‑KV berufen, noch stützt sich der Kläger auf eine einzelvertraglich vereinbarte Modalität des Naturalverbrauchs.
[33] Unter diesen Voraussetzungen bestehen keine Bedenken gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte den Konsum offener Gutstunden durch eine entsprechende kürzere Diensteinteilung verwirklichen konnte, sodass sie auch berechtigt war, die bei Beendigung des Dienstverhältnisses offenen Minusstunden, die tatsächlich Freizeit darstellten, als konsumierte Gutstunden zu widmen.
[34] 2.6. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob das Verhalten des Klägers bei der Abschlussbesprechung darüber hinaus als schlüssige Zustimmung zur Gegenverrechnung der Gutstunden gewertet werden konnte.
[35] 3. Insgesamt war der Revision daher keine Folge zu geben.
[36] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG iVm §§ 41 und 50 ZPO.
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