OGH 6Ob212/20z

OGH6Ob212/20z18.2.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden, die Hofräte Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei S*, vertreten durch Drin. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. T* GmbH & Co KG, 2. K* GesmbH, beide *, vertreten durch Ruggenthaler, Rest & Borsky Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 11. September 2020, GZ 5 R 100/20t‑10, womit die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 18. Juni 2020, GZ 19 Cg 16/20d‑5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E131062

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben wie folgt:

„Der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung, den Beklagten werde verboten, identifizierende Angaben von T* und/oder der minderjährigen T* und/oder dem minderjährigen S* zu verbreiten, wenn sie dabei als Verbrechensopfer des tödlichen Angriffs am * identifiziert werden und/oder die dabei erlittenen Verletzungen erörtert werden, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.922,53 EUR (darin 215,65 EUR USt und 628,65 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin ist die Mutter von T* und die Großmutter deren Kinder T* und S*. Ihre Tochter und ihre Enkel wurden am * getötet. Der mutmaßliche Täter S* war der Ehemann der Tochter und Vater der Kinder.

[2] Die Erstbeklagte ist Medieninhaberin der Website „*“. Die Zweitbeklagte ist Medieninhaberin der Tageszeitung „K*“ und des periodischen elektronischen Mediums („E‑Paper“) „K*“.

[3] Die Erstbeklagte veröffentlicht auf ihrer Website seit 27. 10. 2019 den Artikel „K*: Mord wegen geplanter Trennung und rasender Eifersucht.“

[4] In dem Artikel wurden ein Lichtbild der Wohnstraße und der Außenansicht des Einfamilienhauses der Mordopfer veröffentlicht und der Vorname der ermordeten Tochter der Klägerin sowie der Vorname und die Initiale des Familiennamens deren Ehemanns genannt.

[5] Die Zweitbeklagte veröffentlichte am 28. 10. 2019 in ihrer Zeitung sowie in ihrem E‑Paper den inhaltsgleichen Artikel „K*. Eine Frau und ihre zwei Jahre alte Tochter wurden getötet, elf Monate alter Bub vermutlich hirntot.“ Das E‑Paper zeigte ein Foto der Wohnstraße der Mordopfer.

[6] Seit 20. 3. 2020 verbreitet die Erstbeklagte auf ihrer Website den Artikel „K*: Das Psychogramm des Dreifachmörders.“, in dem sie ein Bild der Wohnstraße der Mordopfer veröffentlichte und den Vornamen der ermordeten Ehefrau sowie den Vornamen und die Initiale des Familiennamens des Täters nannte.

[7] Die Zweitbeklagte veröffentlichte am 31. 3. 2020 in ihrer Zeitung und in ihrem E‑Paper jeweils den Artikel „Psychogramm des Dreifachmörders: Seelisch abartig und brandgefährlich.“ Das E‑Paper zeigte wiederum ein Foto der Wohnstraße der Mordopfer. Im Artikel werden die Vornamen der Mordopfer und der Vorname und die Initiale des Familiennamens des Täters angeführt.

[8] Der Verfasser der Artikel nahm unmittelbar nach der Tat Kontakt mit der damaligen Rechtsvertreterin der Opfer und der Klägerin auf, die ihm die Namen der Mordopfer bekanntgab und ihm mitteilte, dass der Täter kurz vor der Tat auch gegenüber der Schwester seiner Frau rabiat geworden sei, T* große Angst vor ihrem Mann hatte und sie sogar ihre Schwester für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte, gebeten hatte, gut auf die beiden Kinder zu achten. Darüber hinaus äußerte sie, T* sei offensichtlich unter großem Druck gestanden. So habe sich aus der weltoffenen Frau mit offenem langen gelockten Haar und westlichem Kleidungsstil nach der Geburt der Kinder eine eingeschüchterte Person mit Kopftuch und langen Gewändern entwickelt. Grund für die Wahnsinnstat seien die rasende Eifersucht und der Wunsch nach Trennung von T* gewesen. Diese Informationen ließ der Redakteur sogleich in den Artikel „Dreifachmord: Familie des Opfers ahnte Unheil“ einfließen, den die Erstbeklagte am 29. 10. 2019 veröffentlichte.

[9] In einer Pressekonferenz am 28. 10. 2019 gab der Leiter des Landeskriminalamts Niederösterreich bekannt, dass das Motiv der Tat in Beziehungsproblemen liegen dürfte. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt teilte mit, es werde wegen des Verdachts des dreifachen Mordes ermittelt. Die Verhängung der U‑Haft sei beantragt worden. Es deute alles darauf hin, dass Beziehungsstreitigkeiten die Tat ausgelöst hätten. Den elf Monate alten Sohn habe der Beschuldigte ersticken wollen. Darüber hinaus wurde bei der Pressekonferenz bekannt, dass der Bub mit schwerer Atemnot in lebensbedrohlichem Zustand von einem Notarzthubschrauber ins Wiener Donauspital geflogen wurde, wo er seinen Verletzungen erlag, die von einem Würge‑ bzw Erstickungsakt hergerührt haben sollen. Mutter und Tochter seien erstochen worden. Sie seien leblos im Obergeschoß des Reihenhauses der Familie in der etwa 7.000 Einwohner zählenden Marktgemeinde K* aufgefunden worden. Als mutmaßliche Tatwaffe sei ein Küchenmesser sichergestellt worden.

[10] Am 29. 10. 2019 gab der Sprecher der Staatsanwaltschaft die Obduktionsergebnisse der Getöteten via APA‑Aussendung bekannt.

[11] Der Strafprozess gegen den mutmaßlichen Täter steht unmittelbar bevor.

[12] Die Klägerin begehrte zur Sicherung ihres mit Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs, den Beklagten mittels einstweiliger Verfügung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Unterlassungsklage zu verbieten, identifizierende Angaben von T* und/oder der mj T* und/oder dem mj S* zu verbreiten, wenn sie dabei als Verbrechensopfer des tödlichen Angriffs am 27. 10. 2019 identifiziert werden und/oder die dabei erlittenen Verletzungen erörtert werden.

[13] Sie brachte vor, mit den Artikeln der Beklagten seien zahlreiche identifizierende Angaben aller Opfer verbreitet worden. Durch die Berichterstattung sei das Persönlichkeitsrecht aller Opfer auf Schutz ihrer Intimsphäre und insbesondere deren Namensrecht nach § 16 ABGB verletzt worden. Die Klägerin sei als Großmutter eine nahe Angehörige und damit zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs legitimiert. Bei den inkriminierten Artikeln handle es sich um eine Folgeberichterstattung. Dadurch drohe der Klägerin ein unwiederbringlicher Schaden nach § 381 Z 2 EO. Dieser werde bei Persönlichkeitsverletzungen regelmäßig als evident angesehen.

[14] Die Beklagten wendeten ein, die Rechtsvertreterin der Klägerin habe dem Redakteur der Beklagten bereitwillig Informationen zu den Opfern und deren Namen bekanntgegeben. Details zum Tathergang und den Verletzungen seien von den Behörden auf einer Pressekonferenz mitgeteilt worden. Die Berichterstattung sei nicht geeignet, die Opfer bloßzustellen, da diese bereits verstorben seien. Es werde auch nicht über ihren Gesundheitszustand berichtet, sondern über die Umstände ihres Todes. Es bestehe ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit, Kenntnisse über die Umstände aufrüttelnder und berührender Todesfälle zu erhalten. Die Bevölkerung müsse durch eine derartige Berichterstattung wachgerüttelt werden, um sensibilisiert zu werden und potentielle Opfer besser schützen zu können.

[15] Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Die Preisgabe der Identität des in seinem höchstpersönlichen Lebensbereich betroffenen Opfers durch Nennung des Vornamens, des abgekürzten Nachnamens sowie der Wohnadresse sei für die Berichterstattung nicht unvermeidlich gewesen. Die Namen der Opfer enthielten keinen wesentlichen Informationswert für die Öffentlichkeit. Insoweit habe die Berichterstattung der Zweitbeklagten jedenfalls den höchstpersönlichen Lebensbereich aller drei Tatopfer verletzt. Die Erstbeklagte habe durch Veröffentlichung des Vornamens der Mutter jedenfalls ihre Intimsphäre verletzt. Darüber hinaus führe eine Gesamtschau der Berichterstattung beider Beklagten zu einer Verletzung der Intimsphäre aller Opfer: Es sei im Einzelfall nicht ausgeschlossen, dass auch eine Darstellung von Wohnverhältnissen wegen des dadurch möglichen Rückschlusses auf die Persönlichkeit der Bewohner diesen Kernbereich berühre. Die Information über den Wohnort der Familie in einer kleinen Gemeinde im Zusammenhalt mit der Veröffentlichung eines Fotos des Wohnhauses und der Wohnadresse komme einer Bekanntgabe der Adresse der Opfer gleich, die für die Berichterstattung nicht erforderlich gewesen sei. Zudem habe die von der Erstbeklagten veröffentlichte Behauptung, das erste Kind sei ein „Schreibaby“ gewesen, keinen informativen Mehrwert und sei allein der Intimsphäre des minderjährigen Opfers und der Familie zuzuordnen.

[16] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Aus dem umfassenden Schutz der Person gemäß § 16 ABGB folge ein postmortaler Persönlichkeitsschutz. Nach ständiger Rechtsprechung könnten nahe Angehörige das postmortale Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen geltend machen. Ein Bericht über den durch eine Trennung motivierten Mordanschlag eines Ehegatten gegenüber dem anderen betreffe ebenso den höchstpersönlichen Lebensbereich wie die Berichterstattung über die erlittenen Verletzungen der Getöteten und ihr Beziehungsleben zu ihrem ehemaligen Partner, der sie getötet hat. Nichts anderes gelte für die von der Berichterstattung betroffenen Kinder.

[17] Wende man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so sei die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, wonach die gegenständliche Berichterstattung durch die Veröffentlichung der Vornamen der Opfer, die Veröffentlichung eines Fotos des Wohnhauses und der Wohnstraße, aber auch die identifizierende Schilderung der Verletzungen der Opfer deren Persönlichkeitsrechte verletzte, nicht zu beanstanden.

Rechtliche Beurteilung

[18] Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

[19] Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

[20] 1.1. Im vorliegenden Fall sind nicht nur die (postmortalen) Persönlichkeitsinteressen der Mordopfer, und zwar konkret das Recht auf Namensanonymität (RS0008998) und Achtung der Privatsphäre (RS0009003) berührt, sondern auch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie die Meinungs‑ und Pressefreiheit. Das Spannungsverhältnis zwischen den betroffenen Rechten ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung zu lösen (6 Ob 266/06w zur Rechtmäßigkeit der Namensnennung; 6 Ob 176/19d MR 2020, 196 [Warzilek] zur Bildveröffentlichung; 6 Ob 100/20d).

[21] 1.2. Bei Würdigung des den Persönlichkeitsinteressen gegenüberstehenden Interesses an einer freien Berichterstattung ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Vermittlung und Kommunikation wahrer Tatsachen von allgemeinem Interesse zu den elementaren Aufgaben einer freien Presse gehört (6 Ob 100/20d mwN). Dabei ist es Ausgangspunkt und unaufhebbare Voraussetzung einer freien Presse, selbst zu entscheiden, was berichtenswert ist und wie berichtete Umstände miteinander verknüpft, bewertet und zu einer Aussage verwoben werden (BVerfG 23. 6. 2020, 1 BvR 1240/14 Rz 23 mwN; 6 Ob 100/20d).

[22] 1.3. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Fotos und Artikeln und der Interessenabwägung zwischen Art 8 EMRK und Art 10 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR danach zu unterscheiden, ob die Veröffentlichungen nur dem Zweck dienten, die Neugier eines bestimmten Publikums im Hinblick auf Einzelheiten aus dem Privatleben einer bekannten Person zu befriedigen, oder ob sie als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden können; in erstem Fall gebietet die freie Meinungsäußerung eine weniger weite Auslegung (RS0123987).

[23] 1.4. Die Interessenabwägung muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, ist doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 EMRK ausreichend konkretisiert (RS0008990 [T8]; 6 Ob 100/20d). Zudem muss dem Handelnden ex ante erkennbar sein, ob seine Berichterstattung zulässig ist oder nicht. Die Furcht vor Inanspruchnahme aufgrund nicht ausreichend klar konturierter (hier: postmortaler) Persönlichkeitsrechte der Genannten könnte – im Sinne eines „chilling effect“ (dazu Grabenwarter/Pabel, EMRK6 397 mwN) – die unverzichtbare Rolle der Presse als „öffentlicher Wachhund“ und ihre Fähigkeit, präzise und zuverlässige Informationen zu liefern, beeinträchtigen (RS0008990 [T9]; 6 Ob 100/20d).

[24] 2.1. Bei der Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund der Verletzung von postmortalen Persönlichkeitsrechten im Sinne des § 78 UrhG durch einen nahen Angehörigen kommt es auf dessen Interessen an. Diese Interessen sind im Regelfall schon dann beeinträchtigt, wenn die Interessenabwägung zu Lebzeiten des Betroffenen zu dessen Gunsten ausgegangen wäre, da die Geltendmachung derartiger Ansprüche durch Angehörige auch der Wahrung der Interessen des Verstorbenen dient (6 Ob 209/16b; 4 Ob 203/13a).

[25] 2.2. Nach der herrschenden Rechtsprechung zu § 78 UrhG ist eine Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung vorzunehmen (6 Ob 209/16d; 6 Ob 176/19d). In die erforderliche Abwägung sind die Wertungen der §§ 7a ff MedienG und des § 7 MedienG über die Veröffentlichung des Bildes einer Person, die Opfer einer gerichtlich strafbaren Handlung geworden ist, einzubringen (RS0112084 [T3]).

[26] 2.3. Dabei ist der höchstpersönliche Lebensbereich, der den Kernbereich der geschützten Privatsphäre darstellt und der jedenfalls die Gesundheit, das Sexualleben und das Leben in und mit der Familie umfasst, einer den Eingriff rechtfertigenden Interessenabwägung regelmäßig nicht zugänglich (RS0122148). Liegt ein Eingriff in die Privatsphäre vor, führt ein im Kern wahrer Begleittext nicht notwendigerweise zum Überwiegen des Veröffentlichungsinteresses des Mediums (vgl 6 Ob 209/16b).

[27] 3.1. § 7a Abs 1 Z 1 MedienG vermutet eine Verletzung schutzwürdiger Anonymitätsinteressen als Opfer einer Straftat, wenn die Verletzung geeignet ist, in den höchstpersönlichen Lebensbereich einzugreifen oder eine Bloßstellung des Opfers herbeizuführen.

[28] 3.2. Im vorliegenden Fall sind die Bestimmungen zum Identitätsschutz des Mediengesetzes nicht unmittelbar anwendbar, weil diese nicht postmortal geltend gemacht werden können. Allerdings entspricht es völlig herrschender Lehre und Rechtsprechung, dass das Recht auf Ehre auch nach dem Tod als sogenanntes postmortales Persönlichkeitsrecht geschützt sein kann (RS0116720). Zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs sind die nahen Angehörigen legitimiert (RS0116720). Diese Rechtsprechung geht auf die Entscheidung 6 Ob 283/01p = SZ 2002/107 zurück. In der Entscheidung 6 Ob 57/06k wandte der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze auch auf den Bildnisschutz gemäß § 78 UrhG an (6 Ob 57/06k = SZ 2007/171; vgl auch 4 Ob 203/13a = SZ 2014/10).

[29] 3.3. Zum Schutzumfang des postmortalen Persönlichkeitsrechts findet sich vielfach die Formulierung, im Rahmen des Schutzes seiner Ehre sei der Verstorbene nur davor geschützt, dass sein Lebensbild nicht nachhaltig in grober Weise negativ entstellt wird (vgl 6 Ob 283/01p; BGH I ZR 44/66 – Mephisto; ebenso Kissich in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.01 § 1330 Rz 76; Brehm, JEV 2016, 159 [161]). Der Leitentscheidung 6 Ob 283/01p kann diese Einschränkung auf grob entstellende Berichterstattung allerdings nicht entnommen werden (Pierer, Postmortaler Schutz von Persönlichkeitsrechten [2018] 103). In dieser Entscheidung ist – Rechtsprechung des deutschen BGH referierend – nur davon die Rede, dass das Lebensbild „jedenfalls“ bzw „wenigstens“ gegen grobe Ehrverletzungen geschützt ist. Damit ist aber ein Mindestschutz, nicht der Gesamtumfang des Schutzes angesprochen.

[30] 3.4. Die Formulierung „verfälschtes, grob ehrverletzendes Persönlichkeitsbild“ geht auf die Entscheidung des BGH I ZR 44/66 – Mephisto zurück. In diesem Fall hatte der Kläger vorgebracht, dass durch den Roman ein „verfälschtes, grob ehrverletzendes Persönlichkeitsbild“ seines Adoptivvaters gezeichnet werde. Der BGH sprach zur Frage, welche immateriellen Güter den Tod eines Menschen überdauern, aus, im Streitfall bedürfe diese Frage keiner abschließenden Prüfung, weil es sich lediglich um Unterlassungsansprüche gegen grobe Entstellungen des Lebensbildes handle.

[31] 3.5. Der Oberste Gerichtshof hat schon in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Rechtsprechung zum postmortalen Persönlichkeitsschutz keinen herabgesetzten Maßstab in Bezug auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen erkennen lässt (vgl schon 6 Ob 57/06k = SZ 2007/171). Die Entscheidung 4 Ob 224/13i betraf die Veröffentlichung eines Fotos eines am Grab seiner Tochter trauernden zurückgezogen lebenden ehemaligen Schauspielers und Entertainers nach dessen Tod. Die beklagte Medieninhaberin vertrat die Auffassung, der Schutz Verstorbener sei im Vergleich zum Schutz Lebender abgeschwächt, sodass die Veröffentlichung zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof erwiderte darauf, dass der bisherigen Judikatur nicht entnommen werden könnte, dass der Schutz Verstorbener im Vergleich zu jenem Lebender reduziert bzw abgeschwächt sei.

[32] 4.1. Der wahrheitsgemäße Bericht über den Tathergang sowie Umstände und Hintergründe eines Mordes ist grundsätzlich zweifellos als zulässig zu betrachten. Die erlittenen Verletzungen und das Motiv für ein derartig massives Strafdelikt sind wesentliche Elemente für den Ablauf bzw die Erklärung der Tat. Die Beschreibung dieser Umstände ist daher in der Regel vom Interesse der Allgemeinheit, über laufende Strafverfahren informiert zu werden, umfasst (vgl 4 Ob 82/09a).

[33] 4.2. Die bloße Identifizierung als Mordopfer ist nicht mit einer Bloßstellung verbunden. Zu Lebzeiten einer Person liegt ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte bereits darin, dass der Einzelne gezwungen wird, sich mit öffentlicher Neugierde, unerwünschter Anteilnahme oder ungebetenem Mitleid in einer Angelegenheit seiner Privatsphäre auseinanderzusetzen (Berka in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4 § 7 Rz 19). Diese Wirkung kann aber aufgrund des Ablebens der drei Mordopfer im vorliegenden Fall nicht mehr eintreten.

[34] 4.3. Zutreffend verweist der Revisionsrekurs darauf, dass die Auffassung des Rekursgerichts dazu führen würde, dass in Zukunft keine identifizierende Berichterstattung über Mord‑ bzw Todesfälle möglich wäre, insbesondere nicht über Mordfälle im familiären Umfeld, da über die an sich zulässige Berichterstattung über den Täter immer auch die verwandten Mordopfer identifizierbar wären. Sowohl das Erstgericht als auch das Rekursgericht hoben bereits zutreffend hervor, dass sich die inkriminierten Berichterstattungen auf eines der erschütterndsten Verbrechen in der österreichischen Kriminalgeschichte beziehen, das auch für enormes mediales Echo gesorgt hat.

[35] 4.4. Im vorliegenden Fall tötete der Ehemann nicht nur seine Ehefrau, sondern auch seine Kinder auf äußerst brutale Art und Weise, nachdem die Ehefrau ihrem Ehemann und späteren Mörder mitgeteilt hatte, sich von ihm trennen zu wollen. Durch die Nennung der Vornamen der Mordopfer erhielt die Berichterstattung zusätzliche Anschaulichkeit, was zu ihrer aufrüttelnden und sensibilisierenden Wirkung beitrug.

[36] 4.5. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass lediglich die Vornamen der Opfer und eine straßenseitige Außenansicht des Einfamilienhauses der Mordopfer veröffentlicht wurde. Schließlich darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass alle wesentlichen Informationen, die sich im inkriminierten Artikel finden, vom Landeskriminalamt Niederösterreich und der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt verbreitet wurden.

[37] 5. Bei dieser Sachlage muss nach dem Gesagten aber die erforderliche Interessenabwägung zugunsten der Berichterstattung ausfallen.

[38] Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher im Sinne einer Abweisung des Sicherungsantrags abzuändern.

[39] 6. Aufgrund der Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen war auch die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens neu zu fassen. Diese Entscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO, § 393 EO. Die Klägerin hat daher die Kosten des Provisorialverfahrens zu tragen. Die Beklagten haben jedoch lediglich für das Rekursverfahren Kosten verzeichnet, sodass vom Obersten Gerichtshof auch nur diese Kosten zugesprochen werden konnten.

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