OGH 1Ob7/21t

OGH1Ob7/21t28.1.2021

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* L*, vertreten durch die Peissl & Partner Rechtsanwälte OG, Köflach, gegen die beklagte Partei S*gesellschaft mbH, *, vertreten durch die Reif und Partner Rechtsanwälte OG, Graz, wegen 11.000 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 28. Oktober 2020, GZ 70 R 11/20g‑14, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Voitsberg vom 10. September 2020, GZ 3 C 58/20v‑10, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130822

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Vater der Klägerin verstarb am 20. 6. 2018 in einem von der beklagten Gesellschaft betriebenen Krankenhaus. Zuvor war er am 2. 6. 2018 von seinem Hausarzt einer anderen Krankenanstalt der Beklagten zugewiesen worden, wo er über ärztliche Anordnung in der Abteilung für Alterspsychiatrie und Alterspsychotherapie untergebracht wurde. Eine Behandlung und Betreuung außerhalb einer psychiatrischen Abteilung kam nicht in Betracht. Diese Unterbringung wurde gerichtlich für vorläufig zulässig erklärt. Der stationäre Aufenthalt in dieser Krankenanstalt dauerte bis 14. 6. 2018.

[2] Die Klägerin begehrte von der Beklagten zunächst 11.100 EUR sA an Schadenersatz. Über den geltend gemachten Anspruch von 100 EUR, den die Klägerin aus dem Aufenthalt ihres Vaters in dem Krankenhaus ableitete, in dem er verstarb, erging ein Teilanerkenntnisurteil. Zum übrigen Begehren, das im Zusammenhang mit der Unterbringung ihres Vaters steht, brachte sie – zusammengefasst – vor, massive Pflege- und Behandlungsmängel hätten dazu geführt, dass ihr Vater nach einem nur unzureichend behandelten Harnwegsinfekt in einem schlechten Allgemeinzustand entlassen worden sei, was ursächlich für seinen Tod gewesen sei.

[3] Die Beklagte wendete die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein. Die mit dem Vollzug der Unterbringung zusammenhängenden Beschränkungen und Behandlungen seien dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen, darauf beruhende Ersatzansprüche daher nur im Wege der Amtshaftung geltend zu machen. Der Vater der Klägerin sei ab 2. 6. 2018 nach § 8 UbG zwangsweise untergebracht gewesen.

[4] Das Erstgericht wies das (nach dem Teilanerkenntnis verbliebene) Klagebegehren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück und erklärte das bisherige Verfahren über diesen Anspruch für nichtig. Die Unterbringung erfolge mit behördlicher Zwangsgewalt und damit hoheitlich. Der Vollzug der Unterbringung, insbesondere die damit zusammenhängenden Beschränkungen und Behandlungen, unterlägen der Amtshaftung. Auch für Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in Pflicht genommen oder beliehen wurden, sei gemäß § 9 Abs 5 AHG der Rechtsweg unzulässig.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Unterbringung einer Person gemäß § 2 UbG gehöre nicht zur Privatwirtschafts-, sondern zur Hoheitsverwaltung des Bundes und unterliege als öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis der Amtshaftung. Vom hoheitlichen Vollzug sei der gesamte Prozess der Unterbringung (die sicherheitspolizeilichen Zwangsakte, die ärztliche Bescheinigung, die Durchführung der Aufnahmeuntersuchung in der Anstalt, die Entscheidungen der Anstaltsorgane über die Aufhebung bzw Unterlassung der Unterbringung, der Vollzug der Unterbringung) erfasst. Sowohl die Entscheidungsträger als auch das mit der Durchführung beauftragte Pflegepersonal handelten als Organe des Bundes, der für die durch ihre Fehlentscheidungen oder ihr Fehlverhalten verursachten Schäden im Rahmen der Amtshaftung einzustehen habe. Eine (Mit‑)Haftung nach § 1 Abs 3 AHG setze voraus, dass es sich um einen staatlichen Rechtsträger handle. Gegen eine juristische Person des Privatrechts, welche für hoheitliches Handeln in Pflicht genommen oder beliehen wurde, sei eine Klage ebenso unzulässig wie gegen physische Personen als Organ.

[6] Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht über Antrag der Klägerin gemäß § 508 iVm § 528 Abs 2a ZPO nachträglich für zulässig, weil „klarzustellen ist, ob eine gemäß dem Unterbringungsgesetz untergebrachte Person ärztliche Behandlungsfehler oder Pflegemängel, die nicht der gesetzlichen Prüfungsbefugnis des Unterbringungsgerichtes unterliegen, aufgrund des hoheitlichen Vollzugs dieses Gesetzes nur auf das Amtshaftungsgesetz stützen kann oder ob darüber hinaus noch Raum bleibt, Schadenersatzansprüche, die beispielsweise auf einen ärztlichen oder pflegerischen Kunstfehler gestützt werden, im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen“.

[7] Der von der Beklagten beantwortete Revisionsrekurs der Klägerinist zur Klarstellung zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Unterliegt ein psychiatrischer Patient Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Sinn des § 2 UbG, dann ist er „untergebracht“. Eine Person darf nur aufgenommen werden, wenn nach dem ärztlichen Zeugnis des Abteilungsleiters die Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen (§ 10 Abs 1 Satz 2 UbG). Diese Voraussetzungen (dazu § 3 UbG) lagen beim Vater der Klägerin vor. Er wurde unter anderem nach Erstellung eines ärztlichen Zeugnisses über die Voraussetzungen der Unterbringung an der psychiatrischen Abteilung einer Krankenanstalt der Beklagten stationär aufgenommen.

[9] 2.1 Der Fachsenat hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass jedenfalls die mit dem Vollzug einer Unterbringung zusammenhängenden Beschränkungen und Behandlungen dem hoheitlichen Bereich zuzuordnen sind und damit der Amtshaftung unterliegen (1 Ob 220/19p).

[10] 2.2 Die ärztliche Behandlung untergebrachter Patienten regeln die §§ 35 bis 37 UbG. Nach § 35 erster Satz UbG darf der Kranke nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt werden. Diese Bestimmung erfasst (ebenso wie die §§ 36, 37 UbG) die Ausübung der Medizin insgesamt und bezieht sich damit sinngemäß auf die diagnostische, therapeutische, rehabilitative, krankheitsvorbeugende und pflegerische Tätigkeit während der Unterbringung (Schweighofer, Unterbringungsgesetz [2019] § 35 UbG Rz 1, 5 mwN). Die §§ 35 bis 37 UbG gelten für alle Heilbehandlungen während einer aufrechten Unterbringung, unabhängig davon, ob die konkrete Behandlung mit den Gründen der Unterbringung in Verbindung steht (Ganner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG II § 35 UbG Rz 3; vgl auch Kopetzki, Grundriss des Unterbringungsrechts³ Rz 582).

[11] 2.3 Bereits zur Rechtslage vor dem Unterbringungsgesetz hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 1 Ob 4/94 ausgesprochen, dass Kranke, die zwangsweise angehalten werden, in keinem privatrechtlichen Verhältnis zum Träger der Krankenanstalt stehen (so schon 1 Ob 56/87 = SZ 61/8; ebenso Schragel, AHG3 Rz 110; vgl Ganner aaO Rz 46). Als durch hoheitlichen Verwaltungsakt begründetes Rechtsverhältnis ist das Verhältnis der untergebrachten Person zur Krankenanstalt, in deren psychiatrischen Abteilung sie untergebracht wird, selbst dann kein privatrechtliches, wenn sich einzelne Akte der Heilbehandlung – isoliert betrachtet – nicht von jenen unterscheiden, die auch im Rahmen eines Behandlungsvertrags stattfinden können (Kopetzki,Unterbringungsrecht I [1995], 202). Auch ärztliche Behandlungen, die keinen unmittelbaren Bezug zur Ursache für die Unterbringung haben, beruhen damit auf dem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zur untergebrachten Person und nicht auf Vertrag.

[12] 2.4 Der bereits in der Entscheidung 1 Ob 4/94 geäußerte Gedanke, dass die mit einer zwangsweisen Anhaltung (Unterbringung) verbundenen Beschränkungen in der Freiheit, der Bewegung oder des Verkehrs mit der Außenwelt eine der Haft ähnliche Situation begründen, liegt auch der Neuregelung des § 35 Abs 1 UbG durch das zweite Erwachsenenschutzgesetz (BGBl I 2017/59) zugrunde. Zweck der Novellierung war die Klarstellung, dass Regelungsgegenstand der §§ 35 bis 38a UbG nicht bloß die psychiatrische Behandlung oder ausschließlich die Behandlung der psychiatrischen Anlasskrankheit ist. Auch somatische Behandlungen während aufrechter Unterbringung unterliegen demnach dem spezifischen Rechtsschutz des UbG, weil auch sie im Zwangskontext durchgeführt werden (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP  90). Ausdrücklich werden in den Gesetzesmaterialien die staatlichen Schutzpflichten gegenüber Personen in Gewahrsamsverhältnissen betont, weil der Staat durch Verhängung einer Haft die weitgehende Kontrolle über die Lebensbedingungen des Betroffenen übernimmt, weswegen die Gesundheit und das Wohlbefinden der Personen während der Unterbringung (einer „Haft“ im Sinn des Art 5 EMRK) unter anderem durch die erforderliche ärztliche Unterstützung angemessen gewährleistet werden müsse.

[13] 2.5 Die Unterbringung insgesamt beruht also auf einem öffentlich-rechtlichen (Zwangs‑)Verhältnis und ist damit hoheitlich. Wenn eine einheitliche Aufgabe ihrem Wesen nach hoheitlicher Natur ist, sind auch alle damit im (ausreichend engem inneren und äußeren) Zusammenhang stehenden Maßnahmen als in Vollziehung der Gesetze (§ 1 Abs 1 AHG) erfolgt anzusehen (vgl RIS-Justiz RS0049948). Jede ärztliche Versorgung einer untergebrachten Person, und nicht nur die Behandlung der psychiatrischen Anlasskrankheit, steht in einem unmittelbaren Kontext zu der durch die Anordnung der Unterbringung geschaffenen, auf öffentlichem Recht beruhenden Gewahrsamssituation und wird daher ebenso wie die sonstige Pflege oder Betreuung während des Vollzugs der Unterbringung in Vollziehung des Gesetzes vorgenommen.

[14] 3.1 Wer Organ ist, lässt sich dem Unterbringungsgesetz nicht ausdrücklich entnehmen. In der bereits angesprochenen Entscheidung zu 1 Ob 4/94 hat der Fachsenat dazu judiziert, dass die betreuenden Ärzte und Pfleger hoheitliche Tätigkeiten erfüllen und Organe des Rechtsträgers Bund im Sinn des § 1 Abs 2 AHG sind. Nach der älteren (nunmehr aber überholten) Rechtsprechung unterlagen (behauptete) Ansprüche gegen eine juristische Person des Privatrechts, der die Besorgung hoheitlicher Aufgaben übertragen worden war, nämlich nicht dem AHG und der Rechtsweg gegen sie war zulässig. Seit der Entscheidung zu 1 Ob 176/08a judiziert der Fachsenat aber in ständiger Rechtsprechung, dass auch für Klagen gegen juristische Personen des Privatrechts, die für hoheitliches Handeln in Pflicht genommen oder beliehen wurden, der Rechtsweg gemäß § 9 Abs 5 AHG ebenso unzulässig ist wie für Klagen gegen physische Personen als Organe im engeren Sinn (RS0124590). Soweit sich die Revisionswerberin auf die Entscheidung des Fachsenats zu 1 Ob 109/13f beruft, in der bei vergleichbarer Sachlage meritorisch entschieden und damit die Zulässigkeit einer Klageführung bejaht worden sei, übersieht sie, dass die dort beklagte Gebietskörperschaft als „nach organisatorischen Gesichtspunkten haftender Rechtsträger gemäß § 1 Abs 3 AHG“ qualifiziert wurde. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte aber eine GmbH, die keinesfalls Rechtsträger im Sinn des § 1 Abs 1 AHG – und damit auch nicht organisatorischer Rechtsträger nach Abs 3 leg cit – sein kann. Wie bereits das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, scheidet eine (Mit‑)Haftung der Beklagten gemäß § 1 Abs 3 AHG aus diesem Grund aus.

[15] 3.2 § 2 UbG ordnet an, dass die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes für Krankenanstalten und Abteilungen für Psychiatrie gelten, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden. Dazu ergänzt § 38a Abs 1 KAKuG, dass in Abteilungen und Sonderkrankenanstalten für Psychiatrie geschlossene Abteilungen geführt werden dürfen. Nach dem dritten Absatz dieser Bestimmung dienen die geschlossenen Bereiche der Anhaltung von psychisch Kranken, auf die das Unterbringungsgesetz Anwendung findet. Nach der gesetzlichen Konzeption ist das durch die Unterbringung geschaffene Gewahrsamsverhältnis in einer Krankenanstalt (Abteilung für Psychiatrie) umzusetzen. Deren Betreiber – wie hier die Beklagte – stellen diefür den Vollzug der Unterbringung in tatsächlicher Hinsicht erforderlichen Personal- und Sachleistungen zur Verfügung, sodass nicht zweifelhaft sein kann, dass sie insoweit ebenfalls in Vollziehung der Gesetze und damit hoheitlich tätig werden. Sie stehen zur untergebrachten Person in keinem privatrechtlichen Verhältnis, sodass die von ihr während der Dauer der Unterbringung zur Verfügung gestellten Leistungen ihre Grundlage ebenfalls im öffentlich-rechtlichen Verhältnis der untergebrachten Person zum Rechtsträger Bund haben.Anders als bei der Entscheidung über die Frage der Unterbringung eines Patienten nach den Normen des UbG selbst, bei der (nur) dem Abteilungsleiter bzw seinem Stellvertreter (§ 4 Abs 2 UbG) die Stellung als Organ des Bundes zukommt (dazu 1 Ob 153/20m), fällt eine juristische Person als Betreiberin einer Krankenanstalt daher insoweit unter den (weiteren) Organbegriff des AHG als sie gesetzlich zur Durchführung der Unterbringung und damit zum Vollzug einer hoheitlichen Maßnahme herangezogen (in die Pflicht genommen) wird. Gegenteiliges lässt sich auch aus den von der Klägerin in ihrem Rechtsmittel angeführten Entscheidungen zu 3 Ob 263/07h und zu 7 Ob 168/15d nicht ableiten, denen gemeinsam ist, dass die Heilbehandlung untergebrachter Personen auch dann der gerichtlichen Kontrolle nach den Vorschriften des UbG unterliegt, wenn sie mit der psychischen Erkrankung nicht im direkten Zusammenhang steht (3 Ob 263/07h: dermatologische Untersuchung; 7 Ob 168/15d: diagnostische Maßnahmen zur Abklärung organischer Ursachen für Kreislaufprobleme). Danach kann – vom „Unterbringungsgericht“ – aber nur überprüft werden, ob die im Unterbringungsgesetz normierten Voraussetzungen eingehalten wurden, nicht aber ob eine Behandlung im Sinn der §§ 35 bis 37 UbG lege artis erfolgte. Für die hier interessierende Frage lässt sich daraus nichts gewinnen.

[16] 4. Die von der Klägerin ins Treffen geführten Pflege- und Behandlungsmängel, die zum Tod ihres Vaters geführt hätten, stehen im Zusammenhang mit dem Vollzug seiner Unterbringung, die der Beklagten in Besorgung hoheitlicher Aufgaben oblag. Als – gesetzlich – in die Pflicht genommene juristische Person kam ihr die Stellung eines Organs im Sinn des § 1 Abs 2 AHG zu. Für die gegen sie erhobene Klage ist der Rechtsweg unzulässig (§ 9 Abs 5 AHG). Eine subsidiäre Geltendmachung ihrer Ansprüche nach allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts kommt nicht in Betracht (RS0022989).

[17] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 iVm § 41 ZPO.

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