European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0240DS00006.20X.0118.000
Spruch:
In Stattgebung der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung hinsichtlich des Verdachts vorliegt, ***** habe in dem von der M***** GmbH gegen die R***** B***** GmbH angestrengten Besitzstörungsverfahren, AZ ***** des Bezirksgerichts Liezen, als Klagevertreter eine Bevollmächtigung der ***** Rechtsanwälte GmbH durch die beklagte Partei mutwillig bestritten und den einschreitenden Rechtsanwälten unrichtige Berufung auf eine tatsächlich nicht erteilte Vollmacht, Täuschung des Gerichts und somit (zumindest) disziplinäres Fehlverhalten vorgeworfen.
Gründe:
[1] Dem Verfahren liegt eine – vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer an den Kammeranwalt weitergeleitete – Beschwerde der ***** Rechtsanwälte GmbH (unterfertigt von Rechtsanwalt *****) vom 14. Juni 2019 gegen Rechtsanwalt ***** zugrunde, wonach dieser als Klagevertreter im Besitzstörungsverfahren der M***** GmbH gegen die R***** B***** GmbH, AZ ***** des Bezirksgerichts Liezen, die von der R***** B***** GmbH der ***** Rechtsanwälte GmbH erteilte Vollmacht und die Substitutionsvollmacht des für diese in der Verhandlung am 3. Juni 2019 einschreitenden Rechtsanwalts ***** mutwillig bestritten habe (AZ 2019/0262 in AZ KA 50/2019).
[2] In seiner Stellungnahme vom 1. Juli 2019 stellte der Disziplinarbeschuldigte – im Wesentlichen unter Wiederholung seines im Besitzstörungsverfahren erstatteten Vorbringens – eine mutwillige oder willkürliche Bestreitung der Vollmacht in Abrede.
[3] Mit dem angefochtenen Beschluss stellte der Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer fest, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung von Rechtsanwalt ***** (erkennbar:) wegen des Verdachts vorliege, er habe durch das aus dem Spruch ersichtliche Verhalten schuldhaft die Pflichten seines Berufs verletzt und die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt.
[4] Nach der Begründung dieser Entscheidung ersuchte die ***** Rechtsanwälte GmbH mit Schreiben vom 21. Mai 2019 Rechtsanwalt ***** „für unsere Mandantin R***** B***** GmbH“ im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts Liezen die vorbereitende Tagsatzung zu verrichten. Unter einem wurden die Besitzstörungsklage, die Ladung sowie ein vorbereitender Schriftsatz der ***** Rechtsanwälte GmbH übermittelt. Mit Schreiben vom 22. Mai 2019 ersuchte die ***** Rechtsanwälte GmbH ihren Substituten ***** die irrtümliche Bezeichnung der Beklagten im vorbereitenden Schriftsatz als „R***** S*****“ auf „R***** B***** GmbH“ richtig stellen zu lassen.
[5] Nach dem (unterfertigten) Protokolldeckblatt der Verhandlung am 3. Juni 2019 vor dem Bezirksgericht Liezen zu AZ ***** trat für die beklagte Partei Rechtsanwalt ***** (unter Berufung auf die erteilte Bevollmächtigung) als Substitut für die ***** Rechtsanwälte GmbH auf.
[6] Im Verhandlungsprotokoll ist festgehalten, dass für die beklagte Partei ***** in Substitution für die Beklagtenvertreterin ***** Rechtsanwälte GmbH auftritt und wie im Schriftsatz ON 3 vorbringt. Der als Klagevertreter einschreitende Disziplinarbeschuldigte beantragte daraufhin die Fällung eines Versäumungsendbeschlusses mit der Begründung, dass die beklagte Partei nicht erschienen sei, weil die Kanzlei ***** Rechtsanwälte GmbH nach ihrem eigenen Vorbringen im (vorbereitenden) Schriftsatz „R***** S*****“ in ***** und nicht die Beklagte „R***** B***** GmbH“ in ***** vertrete. Der als Beklagtenvertreter auftretende Rechtsanwalt ***** bestritt dies, brachte vor, dass im Schriftsatz richtigerweise die „R***** B***** GmbH“ gemeint sei und legte diesbezüglich das – oben angeführte – Schreiben des Substituenten vom 22. Mai 2019 vor. Der Klagevertreter wandte darauf ein, dass sich auch aus diesem Schreiben keine Vollmacht der Kanzlei ***** Rechtsanwälte GmbH für die beklagte Partei ergebe.
[7] Mit Urkundenvorlage vom 21. Juni 2019 legte die ***** Rechtsanwälte GmbH eine vom Leiter der Rechtsabteilung der R***** B***** GmbH, *****, unterfertigte schriftliche Vollmacht der R***** B***** GmbH, ausgestellt auf die Beklagtenvertreterin, vor.
[8] Mit Äußerung vom 25. Juni 2019 hielt der Disziplinarbeschuldigte den Antrag auf Erlassung eines Versäumungsendbeschlusses aufrecht und brachte vor, dass der vorgelegten Urkunde keinerlei Angaben über den Zeitpunkt ihrer Ausstellung zu entnehmen seien und überdies „nicht behauptet, bescheinigt oder gar unter Beweis gestellt“ worden sei, dass diese Urkunde vor dem 3. Juni 2019 existiert hätte oder eine rechtswirksame Bevollmächtigung in anderer Art und Weise erfolgt wäre.
[9] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Liezen vom 24. Juni 2019 wurde die Vollmacht der Beklagtenvertretung seitens des Gerichts zur Kenntnis genommen und zugelassen und der Antrag der klagenden Partei auf Fällung eines Versäumungsurteils (richtig: ‑endbeschlusses) abgewiesen.
[10] Am 1. Juli 2019 erstattete der Disziplinarbeschuldigte eine weitere „ergänzende notwendige Äußerung“, in der er nochmals seinen Rechtsstandpunkt darlegte, wonach keine wirksame Bevollmächtigung vorliege, und vorbrachte, dass die vorgelegte schriftliche Vollmacht seitens der R***** B***** GmbH geeignet sei, „in Verletzung der Wahrheitspflicht gemäß § 178 ZPO“ das Gericht und die klagende Partei dahingehend zu täuschen, dass eine Vollmachts- und Auftragserteilung am 3. Juni 2019 durch die tatsächlich beklagte Partei vorgelegen sei, um so den Prozessverlauf zu Gunsten der (tatsächlich) beklagten Partei und zu Lasten der klagenden Partei zu beeinflussen. Dazu verwies er auf die „ständige und nunmehr gefestigte Judikatur“, wonach „insbesondere unwahre Parteienbehauptungen“ gegenüber einer Behörde oder Gerichten jedenfalls dann als strafrechtlich relevant anzusehen seien, wenn zwar eine Verpflichtung der Behörde zur Überprüfung des Vorbringens bestehe, „zur Unterstützung dieses bewusst unrichtigen (die Wahrheitspflicht gemäß § 178 ZPO verletzenden) Vorbringens“ jedoch zusätzliche Täuschungsmittel gebraucht würden, wobei unwahre Behauptungen des Rechtsvertreters der von ihm vertretenen Partei und – bei Unwissenheit der Partei – demjenigen zuzurechnen seien, der die unwahre Behauptung aufgestellt habe. Unter einem wurde die (namentlich genannte) persönliche Assistentin des ***** als Zeugin zum Beweis dafür angeführt, dass die tatsächlich beklagte Partei der ***** GmbH bis zum 3. Juni 2019 weder Vollmacht noch Auftrag für die Vertretung in diesem Verfahren erteilt habe.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der vom Disziplinarbeschuldigten gegen den Beschluss des Erstgerichts erhobene Rekurs blieb infolge Zurückweisung erfolglos.
[12] Der Disziplinarrat gelangte in Hinblick auf diesen, sich aus den vorliegenden, als unbedenklich erachteten Urkunden ergebenden Sachverhalt zur Überzeugung, „dass im Lichte des § 212 Z 2 StPO idF BGBl I 2004/19 (§ 77 Abs 3 DSt) das vorliegende Tatsachensubstrat vorerst keinen Grund zur Annahme bietet, dass seine Dringlichkeit und seine Gewichtung ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten möglich erscheinen zu lassen und von weiteren Ermittlungen im Vorverfahren eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist“.
[13] Der dagegen erhobenen, die Beschlusskassation und Fassung eines Einleitungsbeschlusses anstrebenden Beschwerde des Kammeranwalts ist – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – im Recht.
[14] Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat – soweit hier wesentlich – gefasst werden, wenn nicht einmal der Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt (vgl RIS‑Justiz RS0056969, RS0057005; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek , RAO 10 § 28 DSt Rz 9).
[15] Vom – eine Verfahrenseinstellung rechtfertigenden – Fehlen eines solchen Verdachts ist (im Lichte des § 212 Z 2 StPO [§ 77 Abs 3 DSt]) nur dann auszugehen, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Beschuldigten auch nur für möglich zu halten, und von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist. Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Senat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten bleibt, ob sich der Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz RS0056973 [T5]).
[16] Korrespondierend zu der in § 9 Abs 1 erster Satz RAO normierten Pflicht eines Rechtsanwalts zur Parteientreue, räumt der zweite Satz dieser Bestimmung dem Rechtsanwalt das Recht ein, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Wenn damit auch die Grenze, die bei der Prozessführung nicht überschritten werden darf, sehr hoch liegt, meint das solcherart – neben Auftrag und Gesetz – als Maßstab genannte „Gewissen“ doch ein solches, das hohen berufsethischen Grundsätzen verpflichtet ist ( Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 9 RAO Rz 14 mwN). So sind zwar grundsätzlich alle sachlichen, durch eine entsprechende Information des Mandanten gedeckten Äußerungen des Rechtsanwalts, die nach seiner Vorstellung für die Durchsetzung der Ansprüche seiner Partei dienlich sein könnten, auch dann gerechtfertigt, wenn damit schwere Vorwürfe gegen den Gegner oder Dritter verbunden sind (RIS-Justiz RS0056312). Wesentliche Voraussetzung der Rechtfertigung ist aber, dass die Ausübung des Rechts im Rahmen der Prozessführung nicht missbräuchlich erfolgt (vgl RIS-Justiz RS0114015). Der Anspruchsdurchsetzung – insbesondere aufgrund der Aussichtslosigkeit des eigenen Prozessstandpunkts – (zumindest in abstracto) nicht (mehr) dienliche, unsachliche Äußerungen oder leichtfertige, ohne hinreichenden Grund gegen den gegnerischen Rechtsanwalt erhobene Vorwürfe überschreiten solcherart die Grenze des § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO (RIS‑Justiz RS0056073, RS0056168; vgl auch Lehner in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 9 RAO Rz 17; zum Ganzen vgl auch Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 § 9 RAO Rz 8).
[17] Zutreffend weist die Beschwerde zunächst darauf hin, dass schon die Beantwortung der zum AZ ***** des Bezirksgerichts Liezen ausdrücklich gegen die „R***** B***** GmbH“ eingebrachten Klage durch die ***** Rechtsanwälte GmbH eine entsprechende – Vollmachtserteilung inkludierende – Auftragserteilung durch das beklagte Unternehmen indiziert. Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen macht sie auf dieser Grundlage hinreichend deutlich geltend, dass aus den unbedenklichen Sachverhaltsannahmen in der angefochtenen Entscheidung, insbesonders den Feststellungen zur – in der Verhandlung am 3. Juni 2019 vorgelegten – Korrespondenz zwischen der genannten Rechtsanwaltskanzlei und deren Substituten, Rechtsanwalt ***** (darunter auch das Substitutionsschreiben vom 21. Mai 2019; vgl Protokoll S 2) sowie zur (schließlich) eingebrachten schriftlichen Vollmacht, aus dem Blickwinkel des § 28 DSt genügend Anhaltspunkte für die Verdachtsannahme hervorgehen, Rechtsanwalt ***** habe bei seinem Prozessvorbringen im in Rede stehenden Besitzstörungsverfahren durch die wiederholte Bestreitung der Bevollmächtigung der ***** Rechtsanwälte GmbH und die (damit) gegen die gegnerischen Anwälte (zumindest implizit auch gegen den substituierenden Rechtsanwalt *****) erhobenen Vorwürfe unrichtiger Berufung auf eine nicht erteilte Vollmacht (vgl §§ 30 Abs 2, 31 Abs 2 ZPO, §§ 8 Abs 1, 14 RAO; vgl Zib in Fasching/Konecny ³ II/1 § 30 ZPO Rz 20) sowie einer intendierten Täuschung des Gerichts, mithin durch die Bezichtigung eines (zumindest) disziplinären Fehlverhaltens (RIS‑Justiz RS0089972; Vitek in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 8 RAO Rz 14; Zib in Fasching/Konecny ³ II/1 § 30 ZPO Rz 45/1), seine Rechte im Rahmen der Prozessführung – bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt subjektiv erkennbar und vermeidbar – missbräuchlich ausgeübt und solcherart ein von § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO nicht mehr gedecktes Verhalten gesetzt.
[18] Da die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Verfehlung somit nicht auszuschließen ist und über allfällige Zweifel an der disziplinären Verantwortlichkeit des Beschuldigten nur in einer mündlichen Disziplinarverhandlung entschieden werden kann (vgl RIS‑Justiz RS0110142), war die Einstellung (§ 28 Abs 3 DSt) unzulässig und demnach der angefochtene Beschluss – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.
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