European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00109.20W.1222.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 126 Abs 2 GBG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Antragstellerin beantragte die Löschung der ob der in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaft zu B‑LNr 4g eingetragenen Anmerkung der Streitanhängigkeit gemäß § 66 GBG zu AZ 15 St 424/18f – Staatsanwaltschaft Wien. Die Antragstellerin stützte diesen Antrag auf eine Löschungserklärung der Einschreiterin, die diese Anmerkung erwirkt hatte.
[2] Das Erstgericht bewilligte die Löschung.
[3] Gegen diese Entscheidung richtete sich der Rekurs der Einschreiterin. Die Löschungserklärung sei von einem nicht im Firmenbuch eingetragenen, unrechtmäßig und nur vermeintlich namens der Antragstellerin agierenden Geschäftsführer unterfertigt worden. Aufgrund der auch vom Erstgericht (der selben Rechtspflegerin) bewilligten Streitanmerkung hätte das Erstgericht Bedenken an der Richtigkeit der Löschungserklärung haben müssen.
[4] Das Rekursgericht wies den Rekurs der Einschreiterin als verspätet zurück. Der angefochtene Beschluss sei ihr laut dem im Akt befindlichen Zustellnachweis am 29. 8. 2019 zugestellt worden. Diesen Zustellvorgang zweifle die Einschreiterin nicht an, sie vertrete vielmehr die Ansicht, dass der Beschluss nicht ihr selbst, sondern ihrer in dem zur Streitanmerkung führenden Vorverfahren ausgewiesenen Vertreterin zugestellt werden hätte müssen. Aus § 75 Abs 2 GBG iVm § 6 Abs 4 AußStrG, § 31 ZPO ergebe sich jedoch, dass die einem Rechtsanwalt zum Einschreiten in einem Grundbuchverfahren erteilte Vollmacht grundsätzlich nur zur Empfangnahme von gerichtlichen Entscheidungen in diesem Verfahren ermächtige. Zutreffend habe daher das Erstgericht die Zustellung an die Einschreiterin persönlich verfügt. Diese sei am 29. 8. 2019 erfolgt und habe damit den Lauf der 30‑tägigen Rekursfrist (§ 123 GBG) ausgelöst. Der am 5. 12. 2019 eingebrachte Rekurs sei daher verspätet.
Rechtliche Beurteilung
[5] Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Einschreiterin. Dieser zeigt keine dessen Zulässigkeit rechtfertigende Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf.
[6] 1.1. Hat eine Partei für einen Rechtsstreit Prozessvollmacht erteilt, haben gemäß § 93 Abs 1 ZPO bis zur Aufhebung der Prozessvollmacht alle diesen Rechtsstreit betreffenden Zustellungen an den namhaft gemachten Bevollmächtigten zu geschehen. Zustellungen dürfen somit nur an den Prozessbevollmächtigten erfolgen, eine Zustellung an die Partei ist wirkungslos (RIS‑Justiz RS0036252).
[7] 1.2. § 93 Abs 1 ZPO gilt zufolge § 24 Abs 1 AußStrG auch im außerstreitigen Verfahren (RS0102501). Auch im Außerstreitverfahren haben also Zustellungen, wenn eine Partei einen Bevollmächtigten bestellt hat, an diesen zu erfolgen. Eine Zustellung daneben auch an die Partei selbst ist für den Lauf der Rechtsmittelfrist bedeutungslos (RS0006023).
[8] 1.3. Das Grundbuchsgericht entscheidet in Angelegenheiten nach dem GBG im Verfahren außer Streitsachen. Die Vorschriften über das Verfahren außer Streitsachen sind, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt wird, ergänzend heranzuziehen (§ 75 Abs 2 GBG).
[9] 2.1. Die Zustellverpflichtung des § 93 Abs 1 ZPO setzt die Namhaftmachung des Bevollmächtigten durch den Machtgeber für das konkrete Verfahren voraus; solange im konkreten Verfahren der Bevollmächtigte nicht namhaft gemacht wurde, muss und kann wirksam nur an die Partei zugestellt werden (RS0006023 [T3]). Die Berechtigung zur Empfangnahme von Zustellungen – und damit verbunden die Verpflichtung des Gerichts, an den Bevollmächtigten zuzustellen, – erstreckt sich grundsätzlich auch nur auf jenes Verfahren, in dem die Bevollmächtigung erteilt wurde. In der Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, dass die Zustellverpflichtung des Gerichts an den Bevollmächtigten sich auch auf die mit diesem Verfahren unmittelbar zusammenhängenden Streitigkeiten erstreckt, die vom gesetzlichen Umfang der einem Rechtsanwalt erteilten Prozessvollmacht gedeckt sind (1 Ob 115/03y = RS0118682; RS0108052 [T1]; RS0118208).
[10] 2.2. In diesem Sinn unmittelbar zusammenhängende Verfahren sind etwa Abänderungsanträge nach § 72 AußStrG im Hinblick auf das ursprüngliche Verfahren, im Zusammenhang mit Verfahren außer Streitsachen eingeleitete Provisorialverfahren, an ein Verfahren außer Streitsachen anschließende Exekutions‑ und Sicherstellungsverfahren einschließlich der Verfahren nach § 394 EO und verbundene Verfahren (Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Außerstreitgesetz I² § 24 Rz 17 mwN). Zu 1 Ob 115/03y = RS0118681 sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass jedenfalls dann, wenn in einem Scheidungsverfahren auf eine Antragstellung nach § 98 EheG Bezug genommen wurde, im Verfahren über einen solchen Antrag ein derartiger Sachzusammenhang mit dem Scheidungsverfahren besteht, dass die dort erteilten Vollmachten auch im Verfahren nach § 98 EheG Gültigkeit haben. Auch bei Exekutions‑ und Insolvenzverfahren wurde in bestimmten Konstellationen die Wirkung der Prozessvollmacht auf ein im Zusammenhang stehendes Verfahren erstreckt (3 Ob 227/06p mwN; RS0108052; RS0118208). Ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist dieser Grundsatz nunmehr in § 142 AußStrG für Verfahren in Ehe-, Kindschafts‑ und Erwachsenenschutzangelegenheiten. Sind solche Verfahren in einem gemeinschaftlichen Gerichtsakt zusammengefasst, haben alle weiteren Zustellungen an einen als Bevollmächtigten namhaft gemachten Rechtsanwalt oder Notar zu geschehen, soweit die Bevollmächtigung nicht eindeutig beschränkt ist.
[11] 2.3. Die Konstellationen, in welchen sich die Wirkung der Prozessvollmacht auf ein im Zusammenhang stehendes Verfahren erstreckt, sind mit den hier zu beurteilenden Verfahren nicht zu vergleichen. Das auf Löschung einer Eintragung gerichtete Grundbuchverfahren ist im Verhältnis zu dem Verfahren, das zu dieser Grundbuchseintragung geführt hat, vollkommen eigenständig. Mangels eines (auch) verfahrensbezogenen Konnexes hat es daher beim grundsätzlichen Konzept des § 24 AußStrG iVm § 93 ZPO zu bleiben. Im Löschungsverfahren kann nicht an den im Eintragungsverfahren Bevollmächtigten zugestellt werden. Das gilt auch für den besonderen Fall der Streitanmerkung gemäß § 66 GBG. Ausgehend davon, dass der die Löschung der Streitanmerkung bewilligende Beschluss der Person, die die Streitanmerkung erwirkt hat, nach dem Zustellrecht – losgelöst von der Frage des richtigen Adressaten – wirksam zugestellt wurde, besteht auch in diesem Fall das von der Einschreiterin konstatierte Rechtsschutzdefizit nicht.
[12] 3.1. Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu der hier zu beurteilenden Fallgestaltung begründet für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG (RS0102181; RS0110702; RS0107773). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – der Streitfall auf Basis der gesetzlichen Regelung (RS0042656) und den dazu entwickelten Grundsätzen der Rechtsprechung gelöst werden kann und gelöst wurde (RS0042656 [T48]; RS0107773 [T3]; RS0042742 [T13]).
[13] 3.2. Der Revisionsrekurs war daher mangels der Voraussetzungen des § 126 Abs 2 GBG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.
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