European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00098.20Z.1218.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Soweit die Revision der Beklagten eine nachträgliche Abänderung des Unzulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts gemäß § 508 ZPO dahin anstrebt, dass eine ordentliche Revision doch zugelassen werde, ist sie verfehlt, weil in Streitigkeiten in Arbeits- und Sozialrechtssachen (§ 502 Abs 5 Z 4 ZPO) gemäß § 505 Abs 4 ZPO eine außerordentliche Revision erhoben werden kann, wenn das Berufungsgericht im Berufungsurteil – wie hier – nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision nicht nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Einer Abänderung des Ausspruchs über die Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht bedarf es in diesem Fall nicht. Das vorliegende Rechtsmittel der Beklagten ist als außerordentliche Revision zu behandeln, deren Zulässigkeit vom Obersten Gerichtshof – ohne Bindung an den entsprechenden Ausspruch des Berufungsgerichts – ausschließlich nach § 502 Abs 1 ZPO zu beurteilen ist (9 ObA 99/10i; 9 ObA 55/19g; RIS‑Justiz RS0110049 [T8, T18] uva). Danach ist die Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Prozessrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor:
[2] 2. Ob ein Verhalten des Arbeitgebers als gegen Treu und Glauben verstoßend anzusehen ist, kann immer nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und stellt daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0110900 [T10]). Bis zum Ableben des vormaligen Gesellschaftergeschäftsführers – er hielt 57 % der Geschäftsanteile – war es bei der Beklagten – auch zu deren finanziellen Vorteil – jahrelang Praxis, Überstunden von Dienstnehmern nicht als solche (nämlich mit Zuschlag) zu entlohnen, sondern im Wege der Aufrollung abzugelten. Aufgrund der Feststellung, dass bei keinem Mitarbeiter jemals Überstunden verfielen, sowie der Feststellung, der vormalige Geschäftsführer „hätte nie etwas verjähren oder verfristen lassen“, ging das Berufungsgericht im Einzelfall jedenfalls noch vertretbar davon aus, dass die Klägerin hinsichtlich der Abgeltung ihrer offenen Überstunden mit einem Verjährungs- oder Verfallseinwand der Beklagten gerade nicht rechnen musste, zumal ein solcher wohl Treu und Glauben widersprochen hätte.
[3] Als die Klägerin mangels eines Geschäftsführers mit zwei anderen Prokuristinnen die Geschäfte weiterführte, veranlasste sie im Dezember 2017 eine ihrer Kolleginnen dazu, eine von ihr vorbereitete Änderung ihres eigenen Dienstvertrags zu unterschreiben, mit der (zwecks Abgeltung ihrer Überstunden im Wege einer Aufrollung) rückwirkend per 15. 3. 2017 ihre Arbeitszeit von 20 auf 35 Stunden erhöht und das Gehalt mit 7.551,64 EUR brutto (anstelle 4.356,26 EUR brutto) festgesetzt wurde. Dass das Berufungsgericht in diesem Verhalten der Klägerin – mit dem sie lediglich die Fortführung der vom verstorbenen Geschäftsführer geübten betrieblichen Praxis bewirkte – die von der Beklagten ins Treffen geführten Entlassungsgründe der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Z 1 3. Fall und der Untreue nach § 27 Z 1 1. Fall AngG nicht als erfüllt ansah, bedarf unter Beachtung der besonderen Umstände in diesem Fall keiner höchstgerichtlichen Korrektur.
[4] 3. Der Dienstgeber hat das Vorliegen des Entlassungsgrundes zu beweisen (RS0029127). Es lag damit bei der Beklagten nachzuweisen, dass die Klägerin ohne Überstunden geleistet zu haben eine – hier übliche – Vereinbarung über eine rückwirkende Erhöhung ihres Beschäftigungsausmaßes samt Gehaltserhöhung zwecks Überstundenabgeltung in die Wege leitete. Dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Klägerin nicht diese der Vereinbarung zugrundegelegten Überstundenleistungen erbrachte, fiel hier der Beklagten zur Last.
[5] 4. Bei Angestellten mit einer hohen Vertrauensstellung ist generell ein strengerer Maßstab hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit anzulegen als bei Dienstnehmern mit untergeordneten Tätigkeiten (RS0029341). Daraus lässt sich entgegen der Ansicht der Revisionswerberin für den vorliegenden Fall aber nichts gewinnen, weil die Klägerin lediglich jene Handlung gesetzt bzw initiiert hat, welche zuvor vom verstorbenen Geschäftsführer gewöhnlich praktiziert wurde (rückwirkende Vertragsänderung zwecks Aufrollung der Mehrstunden). Es gab auch keine Vorgabe, dass nunmehr mit Mehr- bzw Überstunden anders zu verfahren wäre. Dass die Klägerin wusste, dass der – damals 9,5 % der Geschäftsanteile haltende – Sohn des vormaligen Geschäftsführers gegen die Aufrollung war, ist unerheblich, weil er zum Zeitpunkt der Aufrollung (Dezember 2017) die Geschäftsführung noch nicht innehatte.
[6] Der Beklagten gelingt es insgesamt nicht, eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
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